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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Reform des juristischen Studiums.

in Unfleiß und Verbummelung gerät und, einmal in den Sumpf geraten, sich
nicht mehr herausretten kann, sondern elendiglich darin zu Grnnde geht. Es
wird über die verkommenen Studenten keine Statistik geführt, aber ihre Zahl
ist groß, wie jeder bestätigen kann, der sich seiner Kommilitonen erinnert, die
zu Grunde gegangen sind. Bei der großen Überproduktion der gelehrten Be-
rufsarten in Deutschland mag dies nach der Manchesterlehre sehr heilsam sein,
wie man ja anch dem Kriege eine gute Seite abgewinnen kaun, weil er durch
das Fortraffeu so vieler Existenzen ander"? Platz macht. Trotzdem hat noch
niemand den Krieg über den Frieden gestellt, und besser ist es sicherlich, wen"
jede Kraft sich und dem Ganzen erhalten bleibt.

Man hat auch vor dem geschilderten Maugel des juristischen Studiums
nicht die Augen verschlossen; man hat gesehen, wie bei dem praktischen Berufe
der Mediziner und Philologen der Anschauungsunterricht eine Hauptrolle spielt,
und hat versucht, denselben auf die juristischen Vorlesungen zu übertragen. Nach
Art der philologischen gründete man juristische Seminare, in denen Arbeiten
öefertigt und besprochen werden. Sehr glückliche Ergebnisse hat man nicht damit
erzielt; die Zahl der Semiiiarstudenteu kann nur eine beschränkte sein, sie ver¬
schwindet bei großen Universitäten gänzlich, und die Anfertigung der Arbeiten
setzt eine Kenntnis voraus, welche sich der Student eben verschaffen soll und bei
der Art des jetzigen Studienganges nicht verschaffen kann. Einzelne Dozenten
fingirten, um die Sache zu beleben, Prozesse mit verteilten Rollen; das zieht
zuweilen Zuhörer an, artet aber in der Regel in eine Spielerei aus, denn eine
einzige Frage nimmt ganze Stunden in Anspruch und bildet doch nur einen
kleinen Teil des großen Stoffes. In allerneuester Zeit haben einzelne Dozenten zu
dem Mittel von Disputationen gegriffen, indem sie dem Studenten das Studium
nach dem Lehrbuche überlassen und während der Vorlesung Fragen richten.
Diese Methode wird aber vou der Allgemeinheit der Professoreuschaft nicht als
voll angesehen, nach ihrer Meinung degradirt diese Art des Lehrens die Wissen¬
schaft und bei dem Mangel jeder Kontrole ist auch hier der praktische Nutzen
gering. Überwiegend endlich ist die Masse derer, welche unser Beamtentum
-- was ja auch unbestritten ist -- durchschnittlich als ein tüchtiges bezeichnen,
und indem sie auf dieses Ergebnis mit Stolz hinweisen, es als Folge des
bisherigen Stndiensystems hinstellen, also jede Änderung als einen Eingriff in
die durch Jahrhunderte geheiligte Universitätsfreiheit brandmarken.

Erst ein Franzose war es, welcher bei dem Studium des deutschen Universi¬
tätsganges diesen Maugel der Welt rücksichtslos verkündete, und es ist besonders
anerkennenswert, daß dieser Appell bei zwei Professoren der Berliner Universität
einen lebhaften Wiederhall gefunden hat. Der bekannte Nativnalvkonom Pro¬
fessor Schmoller hat unter Hinweis auf deu französischen Kritiker vorgeschlagen,
den Besuch der Vorlesungen zu kontroliren und beim Abgangszeugnisse zu ver¬
merken, wie oft der Zuhörer gefehlt hat. Professor Dernburg hat dem Gegen-


Zur Reform des juristischen Studiums.

in Unfleiß und Verbummelung gerät und, einmal in den Sumpf geraten, sich
nicht mehr herausretten kann, sondern elendiglich darin zu Grnnde geht. Es
wird über die verkommenen Studenten keine Statistik geführt, aber ihre Zahl
ist groß, wie jeder bestätigen kann, der sich seiner Kommilitonen erinnert, die
zu Grunde gegangen sind. Bei der großen Überproduktion der gelehrten Be-
rufsarten in Deutschland mag dies nach der Manchesterlehre sehr heilsam sein,
wie man ja anch dem Kriege eine gute Seite abgewinnen kaun, weil er durch
das Fortraffeu so vieler Existenzen ander»? Platz macht. Trotzdem hat noch
niemand den Krieg über den Frieden gestellt, und besser ist es sicherlich, wen»
jede Kraft sich und dem Ganzen erhalten bleibt.

Man hat auch vor dem geschilderten Maugel des juristischen Studiums
nicht die Augen verschlossen; man hat gesehen, wie bei dem praktischen Berufe
der Mediziner und Philologen der Anschauungsunterricht eine Hauptrolle spielt,
und hat versucht, denselben auf die juristischen Vorlesungen zu übertragen. Nach
Art der philologischen gründete man juristische Seminare, in denen Arbeiten
öefertigt und besprochen werden. Sehr glückliche Ergebnisse hat man nicht damit
erzielt; die Zahl der Semiiiarstudenteu kann nur eine beschränkte sein, sie ver¬
schwindet bei großen Universitäten gänzlich, und die Anfertigung der Arbeiten
setzt eine Kenntnis voraus, welche sich der Student eben verschaffen soll und bei
der Art des jetzigen Studienganges nicht verschaffen kann. Einzelne Dozenten
fingirten, um die Sache zu beleben, Prozesse mit verteilten Rollen; das zieht
zuweilen Zuhörer an, artet aber in der Regel in eine Spielerei aus, denn eine
einzige Frage nimmt ganze Stunden in Anspruch und bildet doch nur einen
kleinen Teil des großen Stoffes. In allerneuester Zeit haben einzelne Dozenten zu
dem Mittel von Disputationen gegriffen, indem sie dem Studenten das Studium
nach dem Lehrbuche überlassen und während der Vorlesung Fragen richten.
Diese Methode wird aber vou der Allgemeinheit der Professoreuschaft nicht als
voll angesehen, nach ihrer Meinung degradirt diese Art des Lehrens die Wissen¬
schaft und bei dem Mangel jeder Kontrole ist auch hier der praktische Nutzen
gering. Überwiegend endlich ist die Masse derer, welche unser Beamtentum
— was ja auch unbestritten ist — durchschnittlich als ein tüchtiges bezeichnen,
und indem sie auf dieses Ergebnis mit Stolz hinweisen, es als Folge des
bisherigen Stndiensystems hinstellen, also jede Änderung als einen Eingriff in
die durch Jahrhunderte geheiligte Universitätsfreiheit brandmarken.

Erst ein Franzose war es, welcher bei dem Studium des deutschen Universi¬
tätsganges diesen Maugel der Welt rücksichtslos verkündete, und es ist besonders
anerkennenswert, daß dieser Appell bei zwei Professoren der Berliner Universität
einen lebhaften Wiederhall gefunden hat. Der bekannte Nativnalvkonom Pro¬
fessor Schmoller hat unter Hinweis auf deu französischen Kritiker vorgeschlagen,
den Besuch der Vorlesungen zu kontroliren und beim Abgangszeugnisse zu ver¬
merken, wie oft der Zuhörer gefehlt hat. Professor Dernburg hat dem Gegen-


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[0157] Zur Reform des juristischen Studiums. in Unfleiß und Verbummelung gerät und, einmal in den Sumpf geraten, sich nicht mehr herausretten kann, sondern elendiglich darin zu Grnnde geht. Es wird über die verkommenen Studenten keine Statistik geführt, aber ihre Zahl ist groß, wie jeder bestätigen kann, der sich seiner Kommilitonen erinnert, die zu Grunde gegangen sind. Bei der großen Überproduktion der gelehrten Be- rufsarten in Deutschland mag dies nach der Manchesterlehre sehr heilsam sein, wie man ja anch dem Kriege eine gute Seite abgewinnen kaun, weil er durch das Fortraffeu so vieler Existenzen ander»? Platz macht. Trotzdem hat noch niemand den Krieg über den Frieden gestellt, und besser ist es sicherlich, wen» jede Kraft sich und dem Ganzen erhalten bleibt. Man hat auch vor dem geschilderten Maugel des juristischen Studiums nicht die Augen verschlossen; man hat gesehen, wie bei dem praktischen Berufe der Mediziner und Philologen der Anschauungsunterricht eine Hauptrolle spielt, und hat versucht, denselben auf die juristischen Vorlesungen zu übertragen. Nach Art der philologischen gründete man juristische Seminare, in denen Arbeiten öefertigt und besprochen werden. Sehr glückliche Ergebnisse hat man nicht damit erzielt; die Zahl der Semiiiarstudenteu kann nur eine beschränkte sein, sie ver¬ schwindet bei großen Universitäten gänzlich, und die Anfertigung der Arbeiten setzt eine Kenntnis voraus, welche sich der Student eben verschaffen soll und bei der Art des jetzigen Studienganges nicht verschaffen kann. Einzelne Dozenten fingirten, um die Sache zu beleben, Prozesse mit verteilten Rollen; das zieht zuweilen Zuhörer an, artet aber in der Regel in eine Spielerei aus, denn eine einzige Frage nimmt ganze Stunden in Anspruch und bildet doch nur einen kleinen Teil des großen Stoffes. In allerneuester Zeit haben einzelne Dozenten zu dem Mittel von Disputationen gegriffen, indem sie dem Studenten das Studium nach dem Lehrbuche überlassen und während der Vorlesung Fragen richten. Diese Methode wird aber vou der Allgemeinheit der Professoreuschaft nicht als voll angesehen, nach ihrer Meinung degradirt diese Art des Lehrens die Wissen¬ schaft und bei dem Mangel jeder Kontrole ist auch hier der praktische Nutzen gering. Überwiegend endlich ist die Masse derer, welche unser Beamtentum — was ja auch unbestritten ist — durchschnittlich als ein tüchtiges bezeichnen, und indem sie auf dieses Ergebnis mit Stolz hinweisen, es als Folge des bisherigen Stndiensystems hinstellen, also jede Änderung als einen Eingriff in die durch Jahrhunderte geheiligte Universitätsfreiheit brandmarken. Erst ein Franzose war es, welcher bei dem Studium des deutschen Universi¬ tätsganges diesen Maugel der Welt rücksichtslos verkündete, und es ist besonders anerkennenswert, daß dieser Appell bei zwei Professoren der Berliner Universität einen lebhaften Wiederhall gefunden hat. Der bekannte Nativnalvkonom Pro¬ fessor Schmoller hat unter Hinweis auf deu französischen Kritiker vorgeschlagen, den Besuch der Vorlesungen zu kontroliren und beim Abgangszeugnisse zu ver¬ merken, wie oft der Zuhörer gefehlt hat. Professor Dernburg hat dem Gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/157>, abgerufen am 27.09.2024.