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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Reform des juristischen Studiums.

Bundes war noch in den Anfängen, das partikulare Staatsrecht so sehr von
privatrechtlichen Anschauungen befangen, daß es eine eigne Behandlung kaum
ertragen konnte. Auch in der Praxis war der zu bewältigende Stoff lange Zeit
in dem einzigen Landrecht kodifizirt, der Prozeß war nach der allgemeinen Ge¬
richtsordnung mehr eine Instruktion, sodaß es für den Durchschnittsbeamten nicht
schwer war, die Kenntnis, die er nötig hatte, zu erwerben und das Erworbene
richtig anzuwenden. Bis zur Herausgabe der ersten Präjudizien des obersten
Gerichtshofes und bis zur ersten wirklich wissenschaftlichen Behandlung des
preußischen Rechtes war seit Emanation des Landrechts nahezu ein Menschen¬
alter verstrichen.

Endlich ist aber nicht zu vergessen, daß das ganze Leben viel einfacher
und anspruchsloser war. Manche Präsidenten oberster Kollegien werden sich
erinnern, wie sie bei einem einfachen Talglicht haben studiren müssen. Der
Student hielt es nicht für nötig, nach der letzten französischen Mode gekleidet
zu sein, Sekt zu trinken und in Karossen spazieren zu fahren. Der Lebensgenuß
war bescheiden, die Verlockungen seltener und geringer, und schon aus diesem
Grunde das Studium ein ernsteres.

Es bedarf keiner näheren Ausführung, daß alle diese Verhältnisse sich von
Grund aus geändert haben. Trotzdem ist die Art des Universitütsstudiums
dieselbe geblieben, nur daß sich die Disziplinen, welche von den juristischen
Professoren vorgetragen werden, vermehrt haben. Halten wir uns nur an das
ganz nahe Liegende, so hat schon Puchta darüber Klage geführt, daß bei der
Betrachtung der Uuiversitätsmcthode, wie sie sich bei den Juristen darstellt,
der Eindruck erweckt wird, als sei die Buchdruckerkunst niemals erfunden
worden.

Die Jurisprudenz ist eine positive Wissenschaft, deren Sätze nicht nur
verstanden, sondern dem Gedächtnis eingeprägt werden wollen. Sie ist anderseits
eine zu abstrakte Wissenschaft, als daß jemand mit dem bloßen Hören sie in sich
aufnehmen oder auch nur mit vollem Verständnis sofort die gegebenen Defini¬
tionen begreifen und behalten könnte. So viel Mühe sich der Professor geben
mag, um klar und systematisch seineu Zuhörern den Gegenstand zu entwickeln,
er wird nur bis zu einem gewissen Grade das Interesse für denselben rege
machen, aber niemals denselben den Zuhörern so einprägen können, daß diese
imstande wären, ihr Wissen als bereichert zu betrachten, wenn sie den Hörsaal
verlassen. Der Professor ist aber bei dem gegenwärtigen, durch eine Fülle von
Detailstudien bereicherten Stande der Wissenschaft nicht in der Lage, seinen
Gegenstand zu erschöpfen; je mehr er dies in Rücksicht auf die ihm zu Gebote
stehende Zeit thun muß, desto gedrängter und präziser muß er sich fassen und
desto weniger wird er seinen Zuhörern verständlich. Man frage nur einmal,
ob sich ein Student für eine bestimmte Materie aus einem nachgeschriebenen
Kollegienheft zu seinem nächsten Ziele, dem Examen, vorbereiten kann; er wird


Zur Reform des juristischen Studiums.

Bundes war noch in den Anfängen, das partikulare Staatsrecht so sehr von
privatrechtlichen Anschauungen befangen, daß es eine eigne Behandlung kaum
ertragen konnte. Auch in der Praxis war der zu bewältigende Stoff lange Zeit
in dem einzigen Landrecht kodifizirt, der Prozeß war nach der allgemeinen Ge¬
richtsordnung mehr eine Instruktion, sodaß es für den Durchschnittsbeamten nicht
schwer war, die Kenntnis, die er nötig hatte, zu erwerben und das Erworbene
richtig anzuwenden. Bis zur Herausgabe der ersten Präjudizien des obersten
Gerichtshofes und bis zur ersten wirklich wissenschaftlichen Behandlung des
preußischen Rechtes war seit Emanation des Landrechts nahezu ein Menschen¬
alter verstrichen.

Endlich ist aber nicht zu vergessen, daß das ganze Leben viel einfacher
und anspruchsloser war. Manche Präsidenten oberster Kollegien werden sich
erinnern, wie sie bei einem einfachen Talglicht haben studiren müssen. Der
Student hielt es nicht für nötig, nach der letzten französischen Mode gekleidet
zu sein, Sekt zu trinken und in Karossen spazieren zu fahren. Der Lebensgenuß
war bescheiden, die Verlockungen seltener und geringer, und schon aus diesem
Grunde das Studium ein ernsteres.

Es bedarf keiner näheren Ausführung, daß alle diese Verhältnisse sich von
Grund aus geändert haben. Trotzdem ist die Art des Universitütsstudiums
dieselbe geblieben, nur daß sich die Disziplinen, welche von den juristischen
Professoren vorgetragen werden, vermehrt haben. Halten wir uns nur an das
ganz nahe Liegende, so hat schon Puchta darüber Klage geführt, daß bei der
Betrachtung der Uuiversitätsmcthode, wie sie sich bei den Juristen darstellt,
der Eindruck erweckt wird, als sei die Buchdruckerkunst niemals erfunden
worden.

Die Jurisprudenz ist eine positive Wissenschaft, deren Sätze nicht nur
verstanden, sondern dem Gedächtnis eingeprägt werden wollen. Sie ist anderseits
eine zu abstrakte Wissenschaft, als daß jemand mit dem bloßen Hören sie in sich
aufnehmen oder auch nur mit vollem Verständnis sofort die gegebenen Defini¬
tionen begreifen und behalten könnte. So viel Mühe sich der Professor geben
mag, um klar und systematisch seineu Zuhörern den Gegenstand zu entwickeln,
er wird nur bis zu einem gewissen Grade das Interesse für denselben rege
machen, aber niemals denselben den Zuhörern so einprägen können, daß diese
imstande wären, ihr Wissen als bereichert zu betrachten, wenn sie den Hörsaal
verlassen. Der Professor ist aber bei dem gegenwärtigen, durch eine Fülle von
Detailstudien bereicherten Stande der Wissenschaft nicht in der Lage, seinen
Gegenstand zu erschöpfen; je mehr er dies in Rücksicht auf die ihm zu Gebote
stehende Zeit thun muß, desto gedrängter und präziser muß er sich fassen und
desto weniger wird er seinen Zuhörern verständlich. Man frage nur einmal,
ob sich ein Student für eine bestimmte Materie aus einem nachgeschriebenen
Kollegienheft zu seinem nächsten Ziele, dem Examen, vorbereiten kann; er wird


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[0155] Zur Reform des juristischen Studiums. Bundes war noch in den Anfängen, das partikulare Staatsrecht so sehr von privatrechtlichen Anschauungen befangen, daß es eine eigne Behandlung kaum ertragen konnte. Auch in der Praxis war der zu bewältigende Stoff lange Zeit in dem einzigen Landrecht kodifizirt, der Prozeß war nach der allgemeinen Ge¬ richtsordnung mehr eine Instruktion, sodaß es für den Durchschnittsbeamten nicht schwer war, die Kenntnis, die er nötig hatte, zu erwerben und das Erworbene richtig anzuwenden. Bis zur Herausgabe der ersten Präjudizien des obersten Gerichtshofes und bis zur ersten wirklich wissenschaftlichen Behandlung des preußischen Rechtes war seit Emanation des Landrechts nahezu ein Menschen¬ alter verstrichen. Endlich ist aber nicht zu vergessen, daß das ganze Leben viel einfacher und anspruchsloser war. Manche Präsidenten oberster Kollegien werden sich erinnern, wie sie bei einem einfachen Talglicht haben studiren müssen. Der Student hielt es nicht für nötig, nach der letzten französischen Mode gekleidet zu sein, Sekt zu trinken und in Karossen spazieren zu fahren. Der Lebensgenuß war bescheiden, die Verlockungen seltener und geringer, und schon aus diesem Grunde das Studium ein ernsteres. Es bedarf keiner näheren Ausführung, daß alle diese Verhältnisse sich von Grund aus geändert haben. Trotzdem ist die Art des Universitütsstudiums dieselbe geblieben, nur daß sich die Disziplinen, welche von den juristischen Professoren vorgetragen werden, vermehrt haben. Halten wir uns nur an das ganz nahe Liegende, so hat schon Puchta darüber Klage geführt, daß bei der Betrachtung der Uuiversitätsmcthode, wie sie sich bei den Juristen darstellt, der Eindruck erweckt wird, als sei die Buchdruckerkunst niemals erfunden worden. Die Jurisprudenz ist eine positive Wissenschaft, deren Sätze nicht nur verstanden, sondern dem Gedächtnis eingeprägt werden wollen. Sie ist anderseits eine zu abstrakte Wissenschaft, als daß jemand mit dem bloßen Hören sie in sich aufnehmen oder auch nur mit vollem Verständnis sofort die gegebenen Defini¬ tionen begreifen und behalten könnte. So viel Mühe sich der Professor geben mag, um klar und systematisch seineu Zuhörern den Gegenstand zu entwickeln, er wird nur bis zu einem gewissen Grade das Interesse für denselben rege machen, aber niemals denselben den Zuhörern so einprägen können, daß diese imstande wären, ihr Wissen als bereichert zu betrachten, wenn sie den Hörsaal verlassen. Der Professor ist aber bei dem gegenwärtigen, durch eine Fülle von Detailstudien bereicherten Stande der Wissenschaft nicht in der Lage, seinen Gegenstand zu erschöpfen; je mehr er dies in Rücksicht auf die ihm zu Gebote stehende Zeit thun muß, desto gedrängter und präziser muß er sich fassen und desto weniger wird er seinen Zuhörern verständlich. Man frage nur einmal, ob sich ein Student für eine bestimmte Materie aus einem nachgeschriebenen Kollegienheft zu seinem nächsten Ziele, dem Examen, vorbereiten kann; er wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/155>, abgerufen am 27.09.2024.