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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Dichterfreundinnen.

geschlossen. Ohne zu murren hatte er dessen Härten und Launen hingenommen,
war ihm gefolgt wie ein treuer Vasall und hatte ihm im Krankenzimmer Ge¬
sellschaft geleistet. So schloß er sich in Weimar an die ältere Frau an. Kränk¬
lichkeit, Launenhaftigkeit, Zweifelsucht und Bitterkeit scheuchten ihn nicht aus
ihrer Nähe, er betrachtete sie als seinen Schutzgeist und hielt aus bei ihr, bis
sein Geist über den ihren weit hinaus gewachsen war und sie ihm nichts mehr
sein konnte. Erst dann vermochte ihre Empfindlichkeit den Bruch des geschlossenen
Bundes herbeizuführen.

Charlotte von Stein ist mit dem Entwicklungsgange des Dichters in dem
bedeutendsten Abschnitte seines Lebens so eng verknüpft, daß der Goethebiograph
ohne ein tieferes Eingehen auf ihr Verhältnis zum Dichter garnicht auskommen
kann. Ihr Name ist in die wichtigste Epoche der deutschen Literaturgeschichte
innig verwebt, und Knebel hat wohl Recht, wenn er sie ein Wesen nennt,
"dessen Dasein und Art in Deutschland schwerlich oft wieder zu stände kommen
dürfte."

Man hat die Frage aufgeworfen, warum Goethe die geliebte Frau nicht
bewogen habe, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen und ihm ehelich ver¬
bunden ganz anzugehören. Daß es nicht geschehen ist, spricht vielleicht für die
Geistigkeit des ganzen Verhältnisses. Möglich, daß Frau von Stein um ihrer
Kinder willen und aus Rücksichten auf ihre Stellung am Hofe es selbst nicht
gewünscht hat, wahrscheinlicher noch, daß Goethe in ihrer Nähe hauptsächlich
nur das Wachsen seines geistigen Wesens fühlte und es ahnte, daß eine
Zeit kommen müsse, in der er andrer Anregungen bedürfte; die Liebe machte
Goethe nicht blind, das hatte er schon vorher wiederholt bewiesen.

Dies führt uns zu der andern Seite des Verhältnisses. Soweit es ein
Liebesverhältnis war, wirkte es nachteilig auf Goethes Lebensgang. Freilich
ist diese Seite nicht so bequem zu beleuchten als die des geistigen Verkehrs, es
wird hier immer dunkle Stellen geben, aber die Übeln Folgen lassen sich wenigstens
im allgemeinen nachweisen. So ist es wohl anzunehmen, daß sich Goethe durch
seine Liebe zur Stein von einer ehelichen Verbindung abhalten ließ. Unter
den Huldigungen, die er der verheirateten Frau brachte, unter den Liebes-
tündeleien auf verbotenen Wege verstrich ihm das Jahrzehnt seines Lebens, in
dem er eine Gattin hätte wählen sollen. Wohin diese Wahl möglicherweise ge¬
fallen wäre, darüber zu entscheiden ist ein thörichter Versuch. Robert Keil
meint, Corona Schröter sei es gewesen, mit der sich Goethe sicher verbunden
hätte, wenn Frau von Stein ihn nicht mit allen ihr zu Gebote stehenden
Mitteln an sich gefesselt hätte. Dies ist eben auch nur eine Vermutung, für
die sich ein sicherer Beweis nicht beibringen läßt. Wohl hat Goethe der schönen
Sängerin, der idealen Darstellerin seiner Iphigenie die wärmste, vielleicht sogar
zeitweise eine leidenschaftliche Zuneigung entgegengebracht, wohl hielt sich Corona
vertrauensvoll zu ihm wie zu ihrem Beschützer, aber daß er an eine Verbindung


Dichterfreundinnen.

geschlossen. Ohne zu murren hatte er dessen Härten und Launen hingenommen,
war ihm gefolgt wie ein treuer Vasall und hatte ihm im Krankenzimmer Ge¬
sellschaft geleistet. So schloß er sich in Weimar an die ältere Frau an. Kränk¬
lichkeit, Launenhaftigkeit, Zweifelsucht und Bitterkeit scheuchten ihn nicht aus
ihrer Nähe, er betrachtete sie als seinen Schutzgeist und hielt aus bei ihr, bis
sein Geist über den ihren weit hinaus gewachsen war und sie ihm nichts mehr
sein konnte. Erst dann vermochte ihre Empfindlichkeit den Bruch des geschlossenen
Bundes herbeizuführen.

Charlotte von Stein ist mit dem Entwicklungsgange des Dichters in dem
bedeutendsten Abschnitte seines Lebens so eng verknüpft, daß der Goethebiograph
ohne ein tieferes Eingehen auf ihr Verhältnis zum Dichter garnicht auskommen
kann. Ihr Name ist in die wichtigste Epoche der deutschen Literaturgeschichte
innig verwebt, und Knebel hat wohl Recht, wenn er sie ein Wesen nennt,
„dessen Dasein und Art in Deutschland schwerlich oft wieder zu stände kommen
dürfte."

Man hat die Frage aufgeworfen, warum Goethe die geliebte Frau nicht
bewogen habe, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen und ihm ehelich ver¬
bunden ganz anzugehören. Daß es nicht geschehen ist, spricht vielleicht für die
Geistigkeit des ganzen Verhältnisses. Möglich, daß Frau von Stein um ihrer
Kinder willen und aus Rücksichten auf ihre Stellung am Hofe es selbst nicht
gewünscht hat, wahrscheinlicher noch, daß Goethe in ihrer Nähe hauptsächlich
nur das Wachsen seines geistigen Wesens fühlte und es ahnte, daß eine
Zeit kommen müsse, in der er andrer Anregungen bedürfte; die Liebe machte
Goethe nicht blind, das hatte er schon vorher wiederholt bewiesen.

Dies führt uns zu der andern Seite des Verhältnisses. Soweit es ein
Liebesverhältnis war, wirkte es nachteilig auf Goethes Lebensgang. Freilich
ist diese Seite nicht so bequem zu beleuchten als die des geistigen Verkehrs, es
wird hier immer dunkle Stellen geben, aber die Übeln Folgen lassen sich wenigstens
im allgemeinen nachweisen. So ist es wohl anzunehmen, daß sich Goethe durch
seine Liebe zur Stein von einer ehelichen Verbindung abhalten ließ. Unter
den Huldigungen, die er der verheirateten Frau brachte, unter den Liebes-
tündeleien auf verbotenen Wege verstrich ihm das Jahrzehnt seines Lebens, in
dem er eine Gattin hätte wählen sollen. Wohin diese Wahl möglicherweise ge¬
fallen wäre, darüber zu entscheiden ist ein thörichter Versuch. Robert Keil
meint, Corona Schröter sei es gewesen, mit der sich Goethe sicher verbunden
hätte, wenn Frau von Stein ihn nicht mit allen ihr zu Gebote stehenden
Mitteln an sich gefesselt hätte. Dies ist eben auch nur eine Vermutung, für
die sich ein sicherer Beweis nicht beibringen läßt. Wohl hat Goethe der schönen
Sängerin, der idealen Darstellerin seiner Iphigenie die wärmste, vielleicht sogar
zeitweise eine leidenschaftliche Zuneigung entgegengebracht, wohl hielt sich Corona
vertrauensvoll zu ihm wie zu ihrem Beschützer, aber daß er an eine Verbindung


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[0136] Dichterfreundinnen. geschlossen. Ohne zu murren hatte er dessen Härten und Launen hingenommen, war ihm gefolgt wie ein treuer Vasall und hatte ihm im Krankenzimmer Ge¬ sellschaft geleistet. So schloß er sich in Weimar an die ältere Frau an. Kränk¬ lichkeit, Launenhaftigkeit, Zweifelsucht und Bitterkeit scheuchten ihn nicht aus ihrer Nähe, er betrachtete sie als seinen Schutzgeist und hielt aus bei ihr, bis sein Geist über den ihren weit hinaus gewachsen war und sie ihm nichts mehr sein konnte. Erst dann vermochte ihre Empfindlichkeit den Bruch des geschlossenen Bundes herbeizuführen. Charlotte von Stein ist mit dem Entwicklungsgange des Dichters in dem bedeutendsten Abschnitte seines Lebens so eng verknüpft, daß der Goethebiograph ohne ein tieferes Eingehen auf ihr Verhältnis zum Dichter garnicht auskommen kann. Ihr Name ist in die wichtigste Epoche der deutschen Literaturgeschichte innig verwebt, und Knebel hat wohl Recht, wenn er sie ein Wesen nennt, „dessen Dasein und Art in Deutschland schwerlich oft wieder zu stände kommen dürfte." Man hat die Frage aufgeworfen, warum Goethe die geliebte Frau nicht bewogen habe, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen und ihm ehelich ver¬ bunden ganz anzugehören. Daß es nicht geschehen ist, spricht vielleicht für die Geistigkeit des ganzen Verhältnisses. Möglich, daß Frau von Stein um ihrer Kinder willen und aus Rücksichten auf ihre Stellung am Hofe es selbst nicht gewünscht hat, wahrscheinlicher noch, daß Goethe in ihrer Nähe hauptsächlich nur das Wachsen seines geistigen Wesens fühlte und es ahnte, daß eine Zeit kommen müsse, in der er andrer Anregungen bedürfte; die Liebe machte Goethe nicht blind, das hatte er schon vorher wiederholt bewiesen. Dies führt uns zu der andern Seite des Verhältnisses. Soweit es ein Liebesverhältnis war, wirkte es nachteilig auf Goethes Lebensgang. Freilich ist diese Seite nicht so bequem zu beleuchten als die des geistigen Verkehrs, es wird hier immer dunkle Stellen geben, aber die Übeln Folgen lassen sich wenigstens im allgemeinen nachweisen. So ist es wohl anzunehmen, daß sich Goethe durch seine Liebe zur Stein von einer ehelichen Verbindung abhalten ließ. Unter den Huldigungen, die er der verheirateten Frau brachte, unter den Liebes- tündeleien auf verbotenen Wege verstrich ihm das Jahrzehnt seines Lebens, in dem er eine Gattin hätte wählen sollen. Wohin diese Wahl möglicherweise ge¬ fallen wäre, darüber zu entscheiden ist ein thörichter Versuch. Robert Keil meint, Corona Schröter sei es gewesen, mit der sich Goethe sicher verbunden hätte, wenn Frau von Stein ihn nicht mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln an sich gefesselt hätte. Dies ist eben auch nur eine Vermutung, für die sich ein sicherer Beweis nicht beibringen läßt. Wohl hat Goethe der schönen Sängerin, der idealen Darstellerin seiner Iphigenie die wärmste, vielleicht sogar zeitweise eine leidenschaftliche Zuneigung entgegengebracht, wohl hielt sich Corona vertrauensvoll zu ihm wie zu ihrem Beschützer, aber daß er an eine Verbindung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/136>, abgerufen am 27.09.2024.