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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Vichterfreundmnen.

einzig lieb und glaube, beiß ich dein bin und dein bleiben will und muß." Am
27. Dezember: "Ich möchte dir immer etwas schicken und etwas sagen, damit du
meines Andenkens gewiß bleibst. Es schmerzt mich nur, so immer getrennt von
dir zu sein. Ich gehe nicht auf die Redoute und will um sieben auf deinem
Zimmer sein." Am 30. Dezember: " Wann werden wir wieder ruhige Abende
und gesellige Tage zusammen leben?"

Die Entfremdung steigerte sich im Jahre 1786, wurde zur Entwöhnung
während der italienischen Reise und führte zum vollständigen Bruche, als Goethe
sich nach seiner Rückkehr an Christiane Vulpius anschloß.

Die angeführten Stellen sind die wärmsten und bewegtesten in dem ganzen
brieflichen Verkehre von zehn Jahren. Sie sind es, aus denen die einen
hochgeschraubte platonische Liebe, die andern grobsinnlichen Verkehr herauslesen.
Ich meine, dem unbefangenen Leser drängt sich die Frage nach dem letzten Grade
der äußern Vertraulichkeit garnicht auf, so tief geistig ist das ganze Verhältnis.
Wer möchte in diesem Ringen zweier Herzen als juristischer Inquisitor fungiren?
Wenn eine Frau, deren Ehe nur eine konventionelle ist, einen hochbegabten,
hinreißend liebenswürdigen jungen Mann, den "Apoll" von Weimar, den sie
liebt, in dem sie sich gleichsam verjüngt und der leidenschaftlich um sie wirbt,
fünf lange Jahre hindurch trotz der engen Berührung in engen Verhältnissen
in die streng sittlichen Schranken freiwilliger Selbstentfernung zurückzwingen
kann, so ist dies gewiß kein Zeichen weiblicher Schwäche, und wenn der ruge--
buntere Sohn des "Sturnies und Dranges" sich ebenso lange und noch länger
in die Zucht einer solchen Frau begiebt,, seine Leidenschaft dämpft, zum gehaltenen,
mächtig strebenden, rastlos schaffenden Manne heranreift, dann sind die Zärt¬
lichkeiten, womit die allmählich alternde Frau den ernsten Mann in weiteren
fünf Jahren zu belohnen, zu entschädigen, aufzurichten sucht, welcher Art sie
auch gewesen sein mögen, kein Gegenstand für neugierige Untersuchungen. Wußte
die Dreiunddreißigjührigc, wie sie das Verhältnis zu dem liebeglühenden sechs-
undzwanzigjührigen jungen Manne adeln könnte, so wird die Achtunddreißigjührige
dem eiuunddreißigjührigen Freunde gegenüber nicht plötzlich ihre Würde von
sich geworfen haben. Etwas andres ist die Frage, ob wir eine so vertrauliche
Annäherung zwischen einem jungen Manne und einer verheirateten Frau, wie
sie in den Briefen wirklich zu Tage tritt, überhaupt gut heißen dürfen. Die
Seelenfreundschaft, von der uns Düutzer so umständlich berichtet, ist doch sehr
versetzt mit unzähligen Geständnissen glühender Liebe, mit verliebten Tändeleien,
die in einen Geheimkultus von Halstüchern, Bändern, Haaren und Ringen aus¬
gehen, mit Vorsichtsmaßregeln, die den Zweck haben, das Verhältnis zu ver¬
bergen. Wohl mag die lockere Sitte der Zeit, das Hofleben, das Zusammen¬
wohnen aus eng begrenztem Raume vieles entschuldigen, unser Urteil wird dn
durch nicht verändert. Wohl mag der Gatte der angebeteten Frau sehr nach¬
sichtig oder sehr vertrauensvoll gewesen sein, so vertrauensvoll, daß er die
Liebesbriefe hin- und hertragen half; sicher ist doch, daß die Seelenfreundschaft


Vichterfreundmnen.

einzig lieb und glaube, beiß ich dein bin und dein bleiben will und muß." Am
27. Dezember: „Ich möchte dir immer etwas schicken und etwas sagen, damit du
meines Andenkens gewiß bleibst. Es schmerzt mich nur, so immer getrennt von
dir zu sein. Ich gehe nicht auf die Redoute und will um sieben auf deinem
Zimmer sein." Am 30. Dezember: „ Wann werden wir wieder ruhige Abende
und gesellige Tage zusammen leben?"

Die Entfremdung steigerte sich im Jahre 1786, wurde zur Entwöhnung
während der italienischen Reise und führte zum vollständigen Bruche, als Goethe
sich nach seiner Rückkehr an Christiane Vulpius anschloß.

Die angeführten Stellen sind die wärmsten und bewegtesten in dem ganzen
brieflichen Verkehre von zehn Jahren. Sie sind es, aus denen die einen
hochgeschraubte platonische Liebe, die andern grobsinnlichen Verkehr herauslesen.
Ich meine, dem unbefangenen Leser drängt sich die Frage nach dem letzten Grade
der äußern Vertraulichkeit garnicht auf, so tief geistig ist das ganze Verhältnis.
Wer möchte in diesem Ringen zweier Herzen als juristischer Inquisitor fungiren?
Wenn eine Frau, deren Ehe nur eine konventionelle ist, einen hochbegabten,
hinreißend liebenswürdigen jungen Mann, den „Apoll" von Weimar, den sie
liebt, in dem sie sich gleichsam verjüngt und der leidenschaftlich um sie wirbt,
fünf lange Jahre hindurch trotz der engen Berührung in engen Verhältnissen
in die streng sittlichen Schranken freiwilliger Selbstentfernung zurückzwingen
kann, so ist dies gewiß kein Zeichen weiblicher Schwäche, und wenn der ruge--
buntere Sohn des „Sturnies und Dranges" sich ebenso lange und noch länger
in die Zucht einer solchen Frau begiebt,, seine Leidenschaft dämpft, zum gehaltenen,
mächtig strebenden, rastlos schaffenden Manne heranreift, dann sind die Zärt¬
lichkeiten, womit die allmählich alternde Frau den ernsten Mann in weiteren
fünf Jahren zu belohnen, zu entschädigen, aufzurichten sucht, welcher Art sie
auch gewesen sein mögen, kein Gegenstand für neugierige Untersuchungen. Wußte
die Dreiunddreißigjührigc, wie sie das Verhältnis zu dem liebeglühenden sechs-
undzwanzigjührigen jungen Manne adeln könnte, so wird die Achtunddreißigjührige
dem eiuunddreißigjührigen Freunde gegenüber nicht plötzlich ihre Würde von
sich geworfen haben. Etwas andres ist die Frage, ob wir eine so vertrauliche
Annäherung zwischen einem jungen Manne und einer verheirateten Frau, wie
sie in den Briefen wirklich zu Tage tritt, überhaupt gut heißen dürfen. Die
Seelenfreundschaft, von der uns Düutzer so umständlich berichtet, ist doch sehr
versetzt mit unzähligen Geständnissen glühender Liebe, mit verliebten Tändeleien,
die in einen Geheimkultus von Halstüchern, Bändern, Haaren und Ringen aus¬
gehen, mit Vorsichtsmaßregeln, die den Zweck haben, das Verhältnis zu ver¬
bergen. Wohl mag die lockere Sitte der Zeit, das Hofleben, das Zusammen¬
wohnen aus eng begrenztem Raume vieles entschuldigen, unser Urteil wird dn
durch nicht verändert. Wohl mag der Gatte der angebeteten Frau sehr nach¬
sichtig oder sehr vertrauensvoll gewesen sein, so vertrauensvoll, daß er die
Liebesbriefe hin- und hertragen half; sicher ist doch, daß die Seelenfreundschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/131>, abgerufen am 27.09.2024.