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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die moderne Arbeiterbewegung.

Auch die allen diese" Organisationen dienende Presse, welche teils allgemein
politische, teils besondre Fachblätter (der einzelnen Gewerbszweige) mit mehr oder
minder hervortretender sozialistischer Färbung aufweist, ist in steter Zunahme
begriffen und hat ihr Niveau vor Erlaß des Sozialistengesetzes schon längst
überstiegen. So sind die Fachblätter von fünfzehn mit einer Gesamtauflage von
etwa 37000 Exemplaren auf vierundzwanzig mit einer annähernden Gesamtauflage
von 60 000 Exemplaren angewachsen, während die politischen Blätter ihren frühern
Bestand (von etwa 40 mit 150 000 Exemplaren) daneben behauptet haben.

Was die repressiven Maßnahmen gegen die sozialdemokratische Bewegung
betrifft, so haben die bisherigen Versuche, ihre politische Organisation, d. h. die
"Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands" vor das gerichtliche Forum zu ziehen,
erst in jüngster Zeit in dem bekannten Freiberger Prozesse zu einem wirklichen
Ergebnis geführt, insofern die gedachte Partei ihrem Kern nach als eine unter
das Sozialisteugesetz fallende Verbindung bezeichnet worden ist. Welche weitere
Folgen dies für ihren Bestand haben wird, bleibt zunächst abzuwarten; indessen
selbst für den denkbar schlimmsten Fall, daß nunmehr die ganze Organisation
auf Grund des Sozialistcngesetzes verboten und die Bestimmungen desselben gegen
sie wie ihre einzelnen Mitglieder zur vollen Anwendung gebracht werden sollten,
läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen kaum bezweifeln, daß die Partei
schließlich irgendeinen andern niocws vivonäi ausfindig machen wird, um ihre
zersetzende Thätigkeit wieder aufzunehmen und weiter zu betreiben.

Von den bernfsgenossenschaftlichen Organisationen sind bisher der Metall¬
arbeiter-Verband in Mannheim auf Grund des Sozialistengesetzes im August 1884
und die Fachvereinsvrganisationen der Maurer, der Töpfer und der Tapezierer
in Berlin auf Grund des Vereinsgesetzes, im übrigen aber nur vereinzelte Lokal¬
vereine geschlossen worden, welche in anderweit neugeschaffenen Vereinen alsbald
wieder Ersatz fanden. Von den Zentralkassen hat nur die seit dem 24. Oktober 1884
in Dresden als eingeschriebene Hilfskasse zugelassene "Zentral-Kranken- und
Sterbckasse für Fabrik- und Handarbeiter und andre gewerbliche Arbeiter beiderlei
Geschlechts," welche zuletzt etwa 15 000 Mitglieder in einigen fünfzig Zahl¬
stellen zählte, wegen Zahlungsunfähigkeit zur Schließung dnrch die Behörden
geführt, wogegen zu weitern Maßnahmen diese Kassen anscheinend keine
Veranlassung gegeben haben. Von der einschlägigen Presse endlich ist nach
Atzrvtt (sozialdemokratische Druckschriften und Vereine, verboten auf Grund
des Reichsgesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie
vom 21. Oktober 1878, Berlin, Carl Heymann, 1886) ans Grund des Sozia-
listengcsetzes eine ganze Anzahl allgemein-politischer, wie gewerkschaftlicher Blätter
unterdrückt worden, ohne daß dies jedoch dem weitern Zuwachs dieser Presse
wesentlichen Eintrag gethan hätte.

Wie spekulativ übrigens die sozialdemokratische Agitation ist, ergiebt sich
ans der neuesten Erscheinung der Arbeiterinnenbewegung, welche der Voll-


Die moderne Arbeiterbewegung.

Auch die allen diese» Organisationen dienende Presse, welche teils allgemein
politische, teils besondre Fachblätter (der einzelnen Gewerbszweige) mit mehr oder
minder hervortretender sozialistischer Färbung aufweist, ist in steter Zunahme
begriffen und hat ihr Niveau vor Erlaß des Sozialistengesetzes schon längst
überstiegen. So sind die Fachblätter von fünfzehn mit einer Gesamtauflage von
etwa 37000 Exemplaren auf vierundzwanzig mit einer annähernden Gesamtauflage
von 60 000 Exemplaren angewachsen, während die politischen Blätter ihren frühern
Bestand (von etwa 40 mit 150 000 Exemplaren) daneben behauptet haben.

Was die repressiven Maßnahmen gegen die sozialdemokratische Bewegung
betrifft, so haben die bisherigen Versuche, ihre politische Organisation, d. h. die
„Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands" vor das gerichtliche Forum zu ziehen,
erst in jüngster Zeit in dem bekannten Freiberger Prozesse zu einem wirklichen
Ergebnis geführt, insofern die gedachte Partei ihrem Kern nach als eine unter
das Sozialisteugesetz fallende Verbindung bezeichnet worden ist. Welche weitere
Folgen dies für ihren Bestand haben wird, bleibt zunächst abzuwarten; indessen
selbst für den denkbar schlimmsten Fall, daß nunmehr die ganze Organisation
auf Grund des Sozialistcngesetzes verboten und die Bestimmungen desselben gegen
sie wie ihre einzelnen Mitglieder zur vollen Anwendung gebracht werden sollten,
läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen kaum bezweifeln, daß die Partei
schließlich irgendeinen andern niocws vivonäi ausfindig machen wird, um ihre
zersetzende Thätigkeit wieder aufzunehmen und weiter zu betreiben.

Von den bernfsgenossenschaftlichen Organisationen sind bisher der Metall¬
arbeiter-Verband in Mannheim auf Grund des Sozialistengesetzes im August 1884
und die Fachvereinsvrganisationen der Maurer, der Töpfer und der Tapezierer
in Berlin auf Grund des Vereinsgesetzes, im übrigen aber nur vereinzelte Lokal¬
vereine geschlossen worden, welche in anderweit neugeschaffenen Vereinen alsbald
wieder Ersatz fanden. Von den Zentralkassen hat nur die seit dem 24. Oktober 1884
in Dresden als eingeschriebene Hilfskasse zugelassene „Zentral-Kranken- und
Sterbckasse für Fabrik- und Handarbeiter und andre gewerbliche Arbeiter beiderlei
Geschlechts," welche zuletzt etwa 15 000 Mitglieder in einigen fünfzig Zahl¬
stellen zählte, wegen Zahlungsunfähigkeit zur Schließung dnrch die Behörden
geführt, wogegen zu weitern Maßnahmen diese Kassen anscheinend keine
Veranlassung gegeben haben. Von der einschlägigen Presse endlich ist nach
Atzrvtt (sozialdemokratische Druckschriften und Vereine, verboten auf Grund
des Reichsgesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie
vom 21. Oktober 1878, Berlin, Carl Heymann, 1886) ans Grund des Sozia-
listengcsetzes eine ganze Anzahl allgemein-politischer, wie gewerkschaftlicher Blätter
unterdrückt worden, ohne daß dies jedoch dem weitern Zuwachs dieser Presse
wesentlichen Eintrag gethan hätte.

Wie spekulativ übrigens die sozialdemokratische Agitation ist, ergiebt sich
ans der neuesten Erscheinung der Arbeiterinnenbewegung, welche der Voll-


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[0114] Die moderne Arbeiterbewegung. Auch die allen diese» Organisationen dienende Presse, welche teils allgemein politische, teils besondre Fachblätter (der einzelnen Gewerbszweige) mit mehr oder minder hervortretender sozialistischer Färbung aufweist, ist in steter Zunahme begriffen und hat ihr Niveau vor Erlaß des Sozialistengesetzes schon längst überstiegen. So sind die Fachblätter von fünfzehn mit einer Gesamtauflage von etwa 37000 Exemplaren auf vierundzwanzig mit einer annähernden Gesamtauflage von 60 000 Exemplaren angewachsen, während die politischen Blätter ihren frühern Bestand (von etwa 40 mit 150 000 Exemplaren) daneben behauptet haben. Was die repressiven Maßnahmen gegen die sozialdemokratische Bewegung betrifft, so haben die bisherigen Versuche, ihre politische Organisation, d. h. die „Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands" vor das gerichtliche Forum zu ziehen, erst in jüngster Zeit in dem bekannten Freiberger Prozesse zu einem wirklichen Ergebnis geführt, insofern die gedachte Partei ihrem Kern nach als eine unter das Sozialisteugesetz fallende Verbindung bezeichnet worden ist. Welche weitere Folgen dies für ihren Bestand haben wird, bleibt zunächst abzuwarten; indessen selbst für den denkbar schlimmsten Fall, daß nunmehr die ganze Organisation auf Grund des Sozialistcngesetzes verboten und die Bestimmungen desselben gegen sie wie ihre einzelnen Mitglieder zur vollen Anwendung gebracht werden sollten, läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen kaum bezweifeln, daß die Partei schließlich irgendeinen andern niocws vivonäi ausfindig machen wird, um ihre zersetzende Thätigkeit wieder aufzunehmen und weiter zu betreiben. Von den bernfsgenossenschaftlichen Organisationen sind bisher der Metall¬ arbeiter-Verband in Mannheim auf Grund des Sozialistengesetzes im August 1884 und die Fachvereinsvrganisationen der Maurer, der Töpfer und der Tapezierer in Berlin auf Grund des Vereinsgesetzes, im übrigen aber nur vereinzelte Lokal¬ vereine geschlossen worden, welche in anderweit neugeschaffenen Vereinen alsbald wieder Ersatz fanden. Von den Zentralkassen hat nur die seit dem 24. Oktober 1884 in Dresden als eingeschriebene Hilfskasse zugelassene „Zentral-Kranken- und Sterbckasse für Fabrik- und Handarbeiter und andre gewerbliche Arbeiter beiderlei Geschlechts," welche zuletzt etwa 15 000 Mitglieder in einigen fünfzig Zahl¬ stellen zählte, wegen Zahlungsunfähigkeit zur Schließung dnrch die Behörden geführt, wogegen zu weitern Maßnahmen diese Kassen anscheinend keine Veranlassung gegeben haben. Von der einschlägigen Presse endlich ist nach Atzrvtt (sozialdemokratische Druckschriften und Vereine, verboten auf Grund des Reichsgesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878, Berlin, Carl Heymann, 1886) ans Grund des Sozia- listengcsetzes eine ganze Anzahl allgemein-politischer, wie gewerkschaftlicher Blätter unterdrückt worden, ohne daß dies jedoch dem weitern Zuwachs dieser Presse wesentlichen Eintrag gethan hätte. Wie spekulativ übrigens die sozialdemokratische Agitation ist, ergiebt sich ans der neuesten Erscheinung der Arbeiterinnenbewegung, welche der Voll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/114>, abgerufen am 27.09.2024.