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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche und englische Politik in Bulgarien.

oberste Ziel seiner Berechnungen und Bestrebungen war: die Wahrung und
Sicherstellung der Interessen des deutschen Reiches durch Erhaltung des
Friedens, die wiederum in der Erhaltung des Bündnisses mit Österreich-Ungarn
und in der Verhütung einer Annäherung Rußlands an Frankreich besteht, welche
letztere ihrerseits mir durch Vermittelung der Interessen unsrer Verbündeten an
der Donau mit denen unsrer Freunde an der Newa verhindert werden konnte.
Ohne jemals zur Seite zu blicken und sich beirren zu lassen, sorgte er für den
Weltfrieden, indem er sich zu verhüten bemühte, daß die unselige Verwicklung
in Bulgarien als zersetzende Kraft anf das gute Einvernehmen der drei
europäischen Kaisermächte wirkte, welches die Abmachungen des Berliner Friedens
ergänzte, und welches man -- nicht recht zutreffend -- als Tripelallianz be¬
zeichnet. Zu gleicher Zeit wußte er die Interessen des geeinigten Deutschlands
in andern Richtungen zu sichern und zu fördern, jenes aber stand ihm stets in
erster Reihe. Die vielfach mit Befremden aufgenommenen Äußerungen der Nord¬
deutschen Allgemeinen Zeitung über die bulgarische Sache können als vollkommen
offener und echter Ausdruck der Meinung des Kanzlers angesehen werden, und
wenn sie nicht sofort als richtige Auffassung der Lage erschienen, würde man
sie als solche an dem heftigen Widersprüche erkennen, den sie Vonseiten der
reichsfeindlichen demokratischen und ultramontanen Presse erfuhren. Es war
nicht das erstemal, daß der Kanzler hier bei seinem Spiele die Karten aufgedeckt
auf den Tisch warf. Was auch in Bulgarien jetzt vorgehen möge, so lesen wir
da, es kümmert Deutschland nicht. Dasselbe hat vielmehr seinen Blick fest nach
Westen zu richten, von wo ihm vor allem Gefahr droht. Den Franzosen, die
den Krieg mit uns vorbereiten, aber noch nicht damit fertig find und überhaupt
nicht Wohl daran denken können, einen so verhängnisvollen Schritt wie den
Angriff auf uns ohne Bundesgenossen zu wagen, ist damit wieder einmal
deutlich gesagt worden, daß der leitende Staatsmann Deutschlands vorzüglich
sie als das friedeusfeindliche Element in Europa betrachtet, gegen das deshalb
vor allen andern Vorsicht und Wachsamkeit geboten ist, und dem anderseits nach
wie vor die Möglichkeit entzogen werden muß, sich den ersehnten und in der
That zu einem Kriege mit uns unentbehrlichen Beistand von andrer Seite zu
gewinnen. Dieser könnte, wie die Dinge zu liegen scheinen, nur von Rußland
kommen, wo eine rührige Partei in unklaren, aber gerade deshalb nur heftigerem
Hasse gegen die Deutschen sich mit der französischen Stimmung begegnet und
auf ein Bündnis mit Frankreich hindrängt. Der Einfluß dieser Partei könnte
einmal stärker werden, als er gegenwärtig ist, und er würde gewiß stärker werden,
wenn es der Regierung erscheinen sollte, als verträte die Partei wirkliche Inter¬
essen des Reiches. Anlässe hierzu sind also nach Möglichkeit zu beseitigen, und
dies ist bisher gelungen, ohne daß berechtigte Ansprüche Österreich-Ungarns
darunter zu leiden gehabt hätten, und wird, wie zu hoffen, der diplomatischen
Kunst unsers Kanzlers, welcher das Vertrauen in ihre Aufrichtigkeit in den


Deutsche und englische Politik in Bulgarien.

oberste Ziel seiner Berechnungen und Bestrebungen war: die Wahrung und
Sicherstellung der Interessen des deutschen Reiches durch Erhaltung des
Friedens, die wiederum in der Erhaltung des Bündnisses mit Österreich-Ungarn
und in der Verhütung einer Annäherung Rußlands an Frankreich besteht, welche
letztere ihrerseits mir durch Vermittelung der Interessen unsrer Verbündeten an
der Donau mit denen unsrer Freunde an der Newa verhindert werden konnte.
Ohne jemals zur Seite zu blicken und sich beirren zu lassen, sorgte er für den
Weltfrieden, indem er sich zu verhüten bemühte, daß die unselige Verwicklung
in Bulgarien als zersetzende Kraft anf das gute Einvernehmen der drei
europäischen Kaisermächte wirkte, welches die Abmachungen des Berliner Friedens
ergänzte, und welches man — nicht recht zutreffend — als Tripelallianz be¬
zeichnet. Zu gleicher Zeit wußte er die Interessen des geeinigten Deutschlands
in andern Richtungen zu sichern und zu fördern, jenes aber stand ihm stets in
erster Reihe. Die vielfach mit Befremden aufgenommenen Äußerungen der Nord¬
deutschen Allgemeinen Zeitung über die bulgarische Sache können als vollkommen
offener und echter Ausdruck der Meinung des Kanzlers angesehen werden, und
wenn sie nicht sofort als richtige Auffassung der Lage erschienen, würde man
sie als solche an dem heftigen Widersprüche erkennen, den sie Vonseiten der
reichsfeindlichen demokratischen und ultramontanen Presse erfuhren. Es war
nicht das erstemal, daß der Kanzler hier bei seinem Spiele die Karten aufgedeckt
auf den Tisch warf. Was auch in Bulgarien jetzt vorgehen möge, so lesen wir
da, es kümmert Deutschland nicht. Dasselbe hat vielmehr seinen Blick fest nach
Westen zu richten, von wo ihm vor allem Gefahr droht. Den Franzosen, die
den Krieg mit uns vorbereiten, aber noch nicht damit fertig find und überhaupt
nicht Wohl daran denken können, einen so verhängnisvollen Schritt wie den
Angriff auf uns ohne Bundesgenossen zu wagen, ist damit wieder einmal
deutlich gesagt worden, daß der leitende Staatsmann Deutschlands vorzüglich
sie als das friedeusfeindliche Element in Europa betrachtet, gegen das deshalb
vor allen andern Vorsicht und Wachsamkeit geboten ist, und dem anderseits nach
wie vor die Möglichkeit entzogen werden muß, sich den ersehnten und in der
That zu einem Kriege mit uns unentbehrlichen Beistand von andrer Seite zu
gewinnen. Dieser könnte, wie die Dinge zu liegen scheinen, nur von Rußland
kommen, wo eine rührige Partei in unklaren, aber gerade deshalb nur heftigerem
Hasse gegen die Deutschen sich mit der französischen Stimmung begegnet und
auf ein Bündnis mit Frankreich hindrängt. Der Einfluß dieser Partei könnte
einmal stärker werden, als er gegenwärtig ist, und er würde gewiß stärker werden,
wenn es der Regierung erscheinen sollte, als verträte die Partei wirkliche Inter¬
essen des Reiches. Anlässe hierzu sind also nach Möglichkeit zu beseitigen, und
dies ist bisher gelungen, ohne daß berechtigte Ansprüche Österreich-Ungarns
darunter zu leiden gehabt hätten, und wird, wie zu hoffen, der diplomatischen
Kunst unsers Kanzlers, welcher das Vertrauen in ihre Aufrichtigkeit in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/11>, abgerufen am 20.10.2024.