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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Land und Leute in Bulgarien.

die Union nicht leicht ganz ungeschehen machen lassen, und so betrachten wir im
folgenden Bulgarien in diesem Sinne.

Wir haben dann das Land vor uns, welches sich zwischen 44° 13' und
41° 36' nördlicher Breite und zwischen 39° 52' und 46° 9' östlicher Länge
ausbreitet und im Norden von Rumänien, im Osten vom Schwarzen Meere,
im Süden von der Türkei und im Westen von Serbien begrenzt wird. Es um¬
faßt einen Flächenraum von 99872 Quadratkilometern, ist also erheblich größer
als Vaiern und Württemberg zusammen, und hat nach der Zählung von 1881
eine Bevölkerung von 2823365 Seelen, mit der es zwischen der des König¬
reichs Sachsen und derjenigen der Schweiz ungefähr die Mitte hält. Durch
das Land streicht die Kette des Balkan hin, der im Volksmunde "Stara Planina"
(das alte Gebirge) heißt, und trennt es in eine Nord- und eine Südhälfte,
doch fällt die politische Grenze zwischen den letzteren, zwischen dem Fürstentume
Bulgarien und der autonomen Provinz Ostrumelien, nicht durchweg mit dem
Kamme des Balkans zusammen, vielmehr biegt sie bei Zlatika plötzlich in süd¬
licher Richtung von ihm ab und erreicht dann im Süden von Samokow das
Nhodopegebirge, sodaß die Provinz Sofia noch zum Fürstentume gehört. Der
Balkan giebt dem ganzen Gebiete seine Physiognomie, etwa wie die Apenninen¬
kette Italien charakterisirt. Seine Länge beträgt, wenn wir ihm von der ser¬
bischen Grenze bis an den Pontus folgen, ungefähr 600 Kilometer. Er zer¬
fällt in verschiedne Abteilungen, die ihre eignen Namen führen, und bildet im
Osten sowie im Westen einen doppelten Bergzug. Über seine Höhen führen
mehr als dreißig Pässe, unter denen (wir zählen von Westen nach Osten gehend
auf) die von Sweti Nit'viel, von Ginzi, von Ister, von Baba Konak, von No-
salita, von Schipka, von Hainköj, von Kasan und von Demir Kapu die wich¬
tigsten sind. Nirgends erreichen seine Gipfel die Höhe des ewigen Schnees,
denn selbst sein höchster, der Mara Gedük, erhebt sich nur 2330 Meter über
die Meeresfläche. Die Landschaften, die er bildet, weichen in ihrem Charakter
sehr von einander ab. Einige erinnern mit ihren dichten Wäldern von Eichen,
Buchen, Linden und andern Laubbäumen an die Pyrenäen, andre sind nackte,
zerklüftete Felswüsten, wie man sie in Montenegro und Albanien antrifft. Am
Südabhange herrschen milde Lüfte und lange Sommer, sodaß hier Obstgärten
und Nebenpflanzungen gedeihen und eine großartige Rosenzucht getrieben wird;
auf der nördlichen Abdachung dagegen ist das Wetter meist rauh, und der
Winter tritt ziemlich früh ein. Diese fällt an den meisten Stellen auch steiler
ab als jene; oft ziehen sich die Vorberge bis dicht an die Donau hin, und
selbst wo sie in Ebnen übergehen, ist das Ufer beträchtlich höher als das voll¬
ständig flache drüben in Rumänien. Die vom Balkan herabkommenden, der
Donau zuströmenden Flüsse und Bäche bilden, tief in die Hochfläche einschneidend,
weite Thäler, die von diesen im Sommer großenteils seichten und oft halb¬
versiegten Wasserläufen im Frühling, wenn droben der Schnee des Winters


Land und Leute in Bulgarien.

die Union nicht leicht ganz ungeschehen machen lassen, und so betrachten wir im
folgenden Bulgarien in diesem Sinne.

Wir haben dann das Land vor uns, welches sich zwischen 44° 13' und
41° 36' nördlicher Breite und zwischen 39° 52' und 46° 9' östlicher Länge
ausbreitet und im Norden von Rumänien, im Osten vom Schwarzen Meere,
im Süden von der Türkei und im Westen von Serbien begrenzt wird. Es um¬
faßt einen Flächenraum von 99872 Quadratkilometern, ist also erheblich größer
als Vaiern und Württemberg zusammen, und hat nach der Zählung von 1881
eine Bevölkerung von 2823365 Seelen, mit der es zwischen der des König¬
reichs Sachsen und derjenigen der Schweiz ungefähr die Mitte hält. Durch
das Land streicht die Kette des Balkan hin, der im Volksmunde „Stara Planina"
(das alte Gebirge) heißt, und trennt es in eine Nord- und eine Südhälfte,
doch fällt die politische Grenze zwischen den letzteren, zwischen dem Fürstentume
Bulgarien und der autonomen Provinz Ostrumelien, nicht durchweg mit dem
Kamme des Balkans zusammen, vielmehr biegt sie bei Zlatika plötzlich in süd¬
licher Richtung von ihm ab und erreicht dann im Süden von Samokow das
Nhodopegebirge, sodaß die Provinz Sofia noch zum Fürstentume gehört. Der
Balkan giebt dem ganzen Gebiete seine Physiognomie, etwa wie die Apenninen¬
kette Italien charakterisirt. Seine Länge beträgt, wenn wir ihm von der ser¬
bischen Grenze bis an den Pontus folgen, ungefähr 600 Kilometer. Er zer¬
fällt in verschiedne Abteilungen, die ihre eignen Namen führen, und bildet im
Osten sowie im Westen einen doppelten Bergzug. Über seine Höhen führen
mehr als dreißig Pässe, unter denen (wir zählen von Westen nach Osten gehend
auf) die von Sweti Nit'viel, von Ginzi, von Ister, von Baba Konak, von No-
salita, von Schipka, von Hainköj, von Kasan und von Demir Kapu die wich¬
tigsten sind. Nirgends erreichen seine Gipfel die Höhe des ewigen Schnees,
denn selbst sein höchster, der Mara Gedük, erhebt sich nur 2330 Meter über
die Meeresfläche. Die Landschaften, die er bildet, weichen in ihrem Charakter
sehr von einander ab. Einige erinnern mit ihren dichten Wäldern von Eichen,
Buchen, Linden und andern Laubbäumen an die Pyrenäen, andre sind nackte,
zerklüftete Felswüsten, wie man sie in Montenegro und Albanien antrifft. Am
Südabhange herrschen milde Lüfte und lange Sommer, sodaß hier Obstgärten
und Nebenpflanzungen gedeihen und eine großartige Rosenzucht getrieben wird;
auf der nördlichen Abdachung dagegen ist das Wetter meist rauh, und der
Winter tritt ziemlich früh ein. Diese fällt an den meisten Stellen auch steiler
ab als jene; oft ziehen sich die Vorberge bis dicht an die Donau hin, und
selbst wo sie in Ebnen übergehen, ist das Ufer beträchtlich höher als das voll¬
ständig flache drüben in Rumänien. Die vom Balkan herabkommenden, der
Donau zuströmenden Flüsse und Bäche bilden, tief in die Hochfläche einschneidend,
weite Thäler, die von diesen im Sommer großenteils seichten und oft halb¬
versiegten Wasserläufen im Frühling, wenn droben der Schnee des Winters


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[0106] Land und Leute in Bulgarien. die Union nicht leicht ganz ungeschehen machen lassen, und so betrachten wir im folgenden Bulgarien in diesem Sinne. Wir haben dann das Land vor uns, welches sich zwischen 44° 13' und 41° 36' nördlicher Breite und zwischen 39° 52' und 46° 9' östlicher Länge ausbreitet und im Norden von Rumänien, im Osten vom Schwarzen Meere, im Süden von der Türkei und im Westen von Serbien begrenzt wird. Es um¬ faßt einen Flächenraum von 99872 Quadratkilometern, ist also erheblich größer als Vaiern und Württemberg zusammen, und hat nach der Zählung von 1881 eine Bevölkerung von 2823365 Seelen, mit der es zwischen der des König¬ reichs Sachsen und derjenigen der Schweiz ungefähr die Mitte hält. Durch das Land streicht die Kette des Balkan hin, der im Volksmunde „Stara Planina" (das alte Gebirge) heißt, und trennt es in eine Nord- und eine Südhälfte, doch fällt die politische Grenze zwischen den letzteren, zwischen dem Fürstentume Bulgarien und der autonomen Provinz Ostrumelien, nicht durchweg mit dem Kamme des Balkans zusammen, vielmehr biegt sie bei Zlatika plötzlich in süd¬ licher Richtung von ihm ab und erreicht dann im Süden von Samokow das Nhodopegebirge, sodaß die Provinz Sofia noch zum Fürstentume gehört. Der Balkan giebt dem ganzen Gebiete seine Physiognomie, etwa wie die Apenninen¬ kette Italien charakterisirt. Seine Länge beträgt, wenn wir ihm von der ser¬ bischen Grenze bis an den Pontus folgen, ungefähr 600 Kilometer. Er zer¬ fällt in verschiedne Abteilungen, die ihre eignen Namen führen, und bildet im Osten sowie im Westen einen doppelten Bergzug. Über seine Höhen führen mehr als dreißig Pässe, unter denen (wir zählen von Westen nach Osten gehend auf) die von Sweti Nit'viel, von Ginzi, von Ister, von Baba Konak, von No- salita, von Schipka, von Hainköj, von Kasan und von Demir Kapu die wich¬ tigsten sind. Nirgends erreichen seine Gipfel die Höhe des ewigen Schnees, denn selbst sein höchster, der Mara Gedük, erhebt sich nur 2330 Meter über die Meeresfläche. Die Landschaften, die er bildet, weichen in ihrem Charakter sehr von einander ab. Einige erinnern mit ihren dichten Wäldern von Eichen, Buchen, Linden und andern Laubbäumen an die Pyrenäen, andre sind nackte, zerklüftete Felswüsten, wie man sie in Montenegro und Albanien antrifft. Am Südabhange herrschen milde Lüfte und lange Sommer, sodaß hier Obstgärten und Nebenpflanzungen gedeihen und eine großartige Rosenzucht getrieben wird; auf der nördlichen Abdachung dagegen ist das Wetter meist rauh, und der Winter tritt ziemlich früh ein. Diese fällt an den meisten Stellen auch steiler ab als jene; oft ziehen sich die Vorberge bis dicht an die Donau hin, und selbst wo sie in Ebnen übergehen, ist das Ufer beträchtlich höher als das voll¬ ständig flache drüben in Rumänien. Die vom Balkan herabkommenden, der Donau zuströmenden Flüsse und Bäche bilden, tief in die Hochfläche einschneidend, weite Thäler, die von diesen im Sommer großenteils seichten und oft halb¬ versiegten Wasserläufen im Frühling, wenn droben der Schnee des Winters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/106>, abgerufen am 27.09.2024.