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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche und englische Politik in Bulgarien.

und Bedürfnisse des andern Teiles zu beschränken, wenn billiger Sinn und Liebe
zum Frieden vorhanden waren, und wenn ein nicht direkt beteiligter Vermittler
zur Auffindung des Ausweges ans der Gefahr von Konflikten seinen Beistand
lieh. Die Parteien, immer unbillig, immer übertreibend und überstürzend, die
Mvsknncr Panslawisten, die magyarischen Heißsporne und andre "Volkspolitiker"
besaßen jenen guten Willen nicht, wohl aber die Regierung auf beiden Seiten,
und der Vermittler fehlte auch nicht. So wurde der Weg zu einer Verstän¬
digung gesunden und betreten, und wenn er in manchen Teilen noch zu ebnen
ist, wenn noch Schwierigkeiten hinwegzuräumen sind, im Prinzip ist man, wie
wir Grund zu glauben haben, in der Sache einig. Auf Grund gegenseitiger
Zugeständnisse wird Rußland einen großen Teil dessen haben, was es zu be¬
dürfen glaubt, und das Gleiche wird mit Österreich-Ungarn der Fall sein. Dieses
wird seine Machtsphäre allmählich über die westliche Hälfte der Balkanländer,
jenes die seine über die östliche ausdehnen dürfen. Das Wie? wird von den
Verhältnissen abhängen, aber wenig oder garnicht von dem Willen der Winkel¬
politiker, welche unter diesen Barbaren oder Halbbarbaren Agitation für Hirn¬
gespinste treiben und dafür von unsern demokratischen Blättern gefeiert werden.
Nußland wird zunächst sein, was Österreich-Ungarn in Serbien, dann mit der
Zeit, was dieses in Bosnien und der Herzegowina ist. Über spätere Ziele dieser
Entwicklung, solche, welche außerhalb des Nahmens, der mit dem Berliner
Frieden geschaffen worden ist, Hinansliegen, brauchen wir uns vorläufig keine
Gedanken zu machen, wenn wir wissen, daß sie Zug um Zug, immer mit Aus¬
gleichung der Bedürfnisse und Anforderungen beider Parteien, erstrebt werden
sollen. Auch der Gedanke eines Vordringens der Russen nach Konstantinopel
und einer Festsetzung derselben am Bosporus, dessen Bedeutung für die Welt
und somit auch fiir uns überhaupt bis zum Aberglauben übertrieben worden
ist -- das Interesse der Welt war hier im Grnnde fast uur das englische --,
hätte nichts Ungeheuerliches, wenn bei seiner Verwirklichung die Fahnen Öster¬
reichs über Salonik und seinen Hinterländern wehten. Das sind aber dämmernde
Dinge, über die wir uns nicht erhitzen, sondern zu einer nciherliegenden Betrach¬
tung, zu der Stellung übergehen, welche die deutsche und englische Politik zu der
bulgarischen Frage eingenommen hat. Blicken wir ans die Entwicklung der¬
selben zurück, so gewahren wir, so wenig tief und genau sich auch auf solchem
Gebiete von dein Nichteingeweihten sehen läßt, unverkennbar den klaren Blick
und die glückliche Hand, mit welchen der deutsche Reichskanzler in der politischen
Welt waltet. Wenn irgend eine von deu an diesen Angelegenheiten interessirten
Mächten einen bestimmten Zweck vor Augen hatte und mit Konsequenz
durch alle Wandlungen der Verhältnisse verfolgte, so war es die, für welche
Fürst Bismarck die Geschäfte betreibt und das Wort führt. Keinerlei Einflüsse,
am wenigsten die, welche von der sogenannten öffentlichen Meinung ausgingen,
vermochten ihn von dem abzulenken, was ihm zu allen Zeiten das erste und


Deutsche und englische Politik in Bulgarien.

und Bedürfnisse des andern Teiles zu beschränken, wenn billiger Sinn und Liebe
zum Frieden vorhanden waren, und wenn ein nicht direkt beteiligter Vermittler
zur Auffindung des Ausweges ans der Gefahr von Konflikten seinen Beistand
lieh. Die Parteien, immer unbillig, immer übertreibend und überstürzend, die
Mvsknncr Panslawisten, die magyarischen Heißsporne und andre „Volkspolitiker"
besaßen jenen guten Willen nicht, wohl aber die Regierung auf beiden Seiten,
und der Vermittler fehlte auch nicht. So wurde der Weg zu einer Verstän¬
digung gesunden und betreten, und wenn er in manchen Teilen noch zu ebnen
ist, wenn noch Schwierigkeiten hinwegzuräumen sind, im Prinzip ist man, wie
wir Grund zu glauben haben, in der Sache einig. Auf Grund gegenseitiger
Zugeständnisse wird Rußland einen großen Teil dessen haben, was es zu be¬
dürfen glaubt, und das Gleiche wird mit Österreich-Ungarn der Fall sein. Dieses
wird seine Machtsphäre allmählich über die westliche Hälfte der Balkanländer,
jenes die seine über die östliche ausdehnen dürfen. Das Wie? wird von den
Verhältnissen abhängen, aber wenig oder garnicht von dem Willen der Winkel¬
politiker, welche unter diesen Barbaren oder Halbbarbaren Agitation für Hirn¬
gespinste treiben und dafür von unsern demokratischen Blättern gefeiert werden.
Nußland wird zunächst sein, was Österreich-Ungarn in Serbien, dann mit der
Zeit, was dieses in Bosnien und der Herzegowina ist. Über spätere Ziele dieser
Entwicklung, solche, welche außerhalb des Nahmens, der mit dem Berliner
Frieden geschaffen worden ist, Hinansliegen, brauchen wir uns vorläufig keine
Gedanken zu machen, wenn wir wissen, daß sie Zug um Zug, immer mit Aus¬
gleichung der Bedürfnisse und Anforderungen beider Parteien, erstrebt werden
sollen. Auch der Gedanke eines Vordringens der Russen nach Konstantinopel
und einer Festsetzung derselben am Bosporus, dessen Bedeutung für die Welt
und somit auch fiir uns überhaupt bis zum Aberglauben übertrieben worden
ist — das Interesse der Welt war hier im Grnnde fast uur das englische —,
hätte nichts Ungeheuerliches, wenn bei seiner Verwirklichung die Fahnen Öster¬
reichs über Salonik und seinen Hinterländern wehten. Das sind aber dämmernde
Dinge, über die wir uns nicht erhitzen, sondern zu einer nciherliegenden Betrach¬
tung, zu der Stellung übergehen, welche die deutsche und englische Politik zu der
bulgarischen Frage eingenommen hat. Blicken wir ans die Entwicklung der¬
selben zurück, so gewahren wir, so wenig tief und genau sich auch auf solchem
Gebiete von dein Nichteingeweihten sehen läßt, unverkennbar den klaren Blick
und die glückliche Hand, mit welchen der deutsche Reichskanzler in der politischen
Welt waltet. Wenn irgend eine von deu an diesen Angelegenheiten interessirten
Mächten einen bestimmten Zweck vor Augen hatte und mit Konsequenz
durch alle Wandlungen der Verhältnisse verfolgte, so war es die, für welche
Fürst Bismarck die Geschäfte betreibt und das Wort führt. Keinerlei Einflüsse,
am wenigsten die, welche von der sogenannten öffentlichen Meinung ausgingen,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/10>, abgerufen am 27.09.2024.