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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Marie von Lbner - Lschonbach.

Landvolk auf den Gütern des Vaters oder in der galizischen Garnison oder in
der adlichen Gesellschaft der Residenz gesammelt hat, bauen sich ihre Erzählungen
auf. Und selbst wo sie eine ganz absonderliche Neigung, wie die Leidenschaft
alte Uhren zu sammeln, so anmutig und geistvoll wie in "Lotti der Uhrmacherin"
schildert, geht sie von eignen Erlebnissen aus, denn es ist diese Sammelwut
alter Uhren ihre Privatpassion. Eine mehr kritische als enthusiastische Natur,
neigt sie zur Satire, die ihre hohe weibliche Bildung jedoch humoristisch ab¬
zuschwächen bereit ist. Vor allem richtet sie ihre Satire gegen den eignen
adlichen Stand. Die hohlen Puppen in der weiblichen Aristokratie, die für
nichts als für die materiellen Genüsse des Lebens Sinn haben, ohne Herz und
ohne Liebe sich demjenigen Manne am ehesten verloben, der die meisten Ein¬
künfte hat, sind ihr ein Greuel, wie die Gräfin in der Erzählung "Ein kleiner
Roman" und die kalte Schönheit Thekla in der Novelle "Nach dem Tode."
Mit Nachdruck tritt sie gegen die seltsame Vorliebe der jungen adlichen Damen
Wiens für Turf und Sport auf, wie in "Komtesse Muschi," und fordert einen
gründlicheren Unterricht für dieses von Nntnr aus begabte und liebenswürdige
Geschlecht von Mädchen, als er ihnen durch die unwissenden französischen Gouver¬
nanten vermittelt werden kann, wie in "Komtesse Paula." Auch gegen gewisse
literarische Erscheinungen tritt sie zürnend und strafend auf. In "Lotti der
Uhrmacheriu" schildert sie mit Meisterschaft die Wandlungen eines begabten
Dichters, der mit seinem schwachen Charakter endlich dahin kommt, sein Talent
in den Dienst des schnödesten Gelderwerbes zu stellen, in welchem es immer
mehr verwildert. Und es ist interessant zu lesen, was sie so sehr verurteilt.
Von den Romanen dieses Mannes sagt sie: "Da war dem Tier im Menschen
jede Regung abgelauscht und mit schamloser Genauigkeit auseinandergesetzt.
Da war eine erzwungene, erlogene Sinnlichkeit, aus der die offenbare Ohnmacht
mit bleicher Fratze hervorgrinste. Da war die Fülle niederer Wirklichkeit ans
dem seichten Strom des gemeinen Lebens geschöpft, da fehlte die höchste Wahr¬
heit, die der Poesie. Dn war endlich der Notbehelf, der armselige, einer lahmen
Phantasie: das mil photographischer Treue und Verzerrung gezeichnete Porträt;
Persönlichkeiten aus dem Schutz des Hauses gerissen und an den Pranger ge¬
stellt, zur Augenweide eines Publikums, demjenigen verwandt, das sich zu Hin¬
richtungen drängt." Auch daraus, was ein Mensch liebt oder haßt, erkennen
wir sein Wesen, und diesem Zwecke dient dieses Zitat.

Aber das Sittenbild ist nicht die einzige poetische Gattung, welche Frau
von Ebner-Eschenbach pflegt, in zwei, drei Novellen führt sie den Leser auf das
politische Gebiet, schildert große nationale Leidenschaften und tragische Verwick¬
lungen. Die Historie als poetisches Element, als Hintergrund sittlicher Kon¬
flikte liegt dem Geiste der Aphvristin fern; sie lebt ganz in der Gegenwart
und schreibt nur von dem, was sie selbst mit angesehen und beobachtet hat. Gleich¬
wohl hat sie im "Kreisphysikus" und in "Jnkob Szela" Bilder aus dem polnische"


Marie von Lbner - Lschonbach.

Landvolk auf den Gütern des Vaters oder in der galizischen Garnison oder in
der adlichen Gesellschaft der Residenz gesammelt hat, bauen sich ihre Erzählungen
auf. Und selbst wo sie eine ganz absonderliche Neigung, wie die Leidenschaft
alte Uhren zu sammeln, so anmutig und geistvoll wie in „Lotti der Uhrmacherin"
schildert, geht sie von eignen Erlebnissen aus, denn es ist diese Sammelwut
alter Uhren ihre Privatpassion. Eine mehr kritische als enthusiastische Natur,
neigt sie zur Satire, die ihre hohe weibliche Bildung jedoch humoristisch ab¬
zuschwächen bereit ist. Vor allem richtet sie ihre Satire gegen den eignen
adlichen Stand. Die hohlen Puppen in der weiblichen Aristokratie, die für
nichts als für die materiellen Genüsse des Lebens Sinn haben, ohne Herz und
ohne Liebe sich demjenigen Manne am ehesten verloben, der die meisten Ein¬
künfte hat, sind ihr ein Greuel, wie die Gräfin in der Erzählung „Ein kleiner
Roman" und die kalte Schönheit Thekla in der Novelle „Nach dem Tode."
Mit Nachdruck tritt sie gegen die seltsame Vorliebe der jungen adlichen Damen
Wiens für Turf und Sport auf, wie in „Komtesse Muschi," und fordert einen
gründlicheren Unterricht für dieses von Nntnr aus begabte und liebenswürdige
Geschlecht von Mädchen, als er ihnen durch die unwissenden französischen Gouver¬
nanten vermittelt werden kann, wie in „Komtesse Paula." Auch gegen gewisse
literarische Erscheinungen tritt sie zürnend und strafend auf. In „Lotti der
Uhrmacheriu" schildert sie mit Meisterschaft die Wandlungen eines begabten
Dichters, der mit seinem schwachen Charakter endlich dahin kommt, sein Talent
in den Dienst des schnödesten Gelderwerbes zu stellen, in welchem es immer
mehr verwildert. Und es ist interessant zu lesen, was sie so sehr verurteilt.
Von den Romanen dieses Mannes sagt sie: „Da war dem Tier im Menschen
jede Regung abgelauscht und mit schamloser Genauigkeit auseinandergesetzt.
Da war eine erzwungene, erlogene Sinnlichkeit, aus der die offenbare Ohnmacht
mit bleicher Fratze hervorgrinste. Da war die Fülle niederer Wirklichkeit ans
dem seichten Strom des gemeinen Lebens geschöpft, da fehlte die höchste Wahr¬
heit, die der Poesie. Dn war endlich der Notbehelf, der armselige, einer lahmen
Phantasie: das mil photographischer Treue und Verzerrung gezeichnete Porträt;
Persönlichkeiten aus dem Schutz des Hauses gerissen und an den Pranger ge¬
stellt, zur Augenweide eines Publikums, demjenigen verwandt, das sich zu Hin¬
richtungen drängt." Auch daraus, was ein Mensch liebt oder haßt, erkennen
wir sein Wesen, und diesem Zwecke dient dieses Zitat.

Aber das Sittenbild ist nicht die einzige poetische Gattung, welche Frau
von Ebner-Eschenbach pflegt, in zwei, drei Novellen führt sie den Leser auf das
politische Gebiet, schildert große nationale Leidenschaften und tragische Verwick¬
lungen. Die Historie als poetisches Element, als Hintergrund sittlicher Kon¬
flikte liegt dem Geiste der Aphvristin fern; sie lebt ganz in der Gegenwart
und schreibt nur von dem, was sie selbst mit angesehen und beobachtet hat. Gleich¬
wohl hat sie im „Kreisphysikus" und in „Jnkob Szela" Bilder aus dem polnische«


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[0085] Marie von Lbner - Lschonbach. Landvolk auf den Gütern des Vaters oder in der galizischen Garnison oder in der adlichen Gesellschaft der Residenz gesammelt hat, bauen sich ihre Erzählungen auf. Und selbst wo sie eine ganz absonderliche Neigung, wie die Leidenschaft alte Uhren zu sammeln, so anmutig und geistvoll wie in „Lotti der Uhrmacherin" schildert, geht sie von eignen Erlebnissen aus, denn es ist diese Sammelwut alter Uhren ihre Privatpassion. Eine mehr kritische als enthusiastische Natur, neigt sie zur Satire, die ihre hohe weibliche Bildung jedoch humoristisch ab¬ zuschwächen bereit ist. Vor allem richtet sie ihre Satire gegen den eignen adlichen Stand. Die hohlen Puppen in der weiblichen Aristokratie, die für nichts als für die materiellen Genüsse des Lebens Sinn haben, ohne Herz und ohne Liebe sich demjenigen Manne am ehesten verloben, der die meisten Ein¬ künfte hat, sind ihr ein Greuel, wie die Gräfin in der Erzählung „Ein kleiner Roman" und die kalte Schönheit Thekla in der Novelle „Nach dem Tode." Mit Nachdruck tritt sie gegen die seltsame Vorliebe der jungen adlichen Damen Wiens für Turf und Sport auf, wie in „Komtesse Muschi," und fordert einen gründlicheren Unterricht für dieses von Nntnr aus begabte und liebenswürdige Geschlecht von Mädchen, als er ihnen durch die unwissenden französischen Gouver¬ nanten vermittelt werden kann, wie in „Komtesse Paula." Auch gegen gewisse literarische Erscheinungen tritt sie zürnend und strafend auf. In „Lotti der Uhrmacheriu" schildert sie mit Meisterschaft die Wandlungen eines begabten Dichters, der mit seinem schwachen Charakter endlich dahin kommt, sein Talent in den Dienst des schnödesten Gelderwerbes zu stellen, in welchem es immer mehr verwildert. Und es ist interessant zu lesen, was sie so sehr verurteilt. Von den Romanen dieses Mannes sagt sie: „Da war dem Tier im Menschen jede Regung abgelauscht und mit schamloser Genauigkeit auseinandergesetzt. Da war eine erzwungene, erlogene Sinnlichkeit, aus der die offenbare Ohnmacht mit bleicher Fratze hervorgrinste. Da war die Fülle niederer Wirklichkeit ans dem seichten Strom des gemeinen Lebens geschöpft, da fehlte die höchste Wahr¬ heit, die der Poesie. Dn war endlich der Notbehelf, der armselige, einer lahmen Phantasie: das mil photographischer Treue und Verzerrung gezeichnete Porträt; Persönlichkeiten aus dem Schutz des Hauses gerissen und an den Pranger ge¬ stellt, zur Augenweide eines Publikums, demjenigen verwandt, das sich zu Hin¬ richtungen drängt." Auch daraus, was ein Mensch liebt oder haßt, erkennen wir sein Wesen, und diesem Zwecke dient dieses Zitat. Aber das Sittenbild ist nicht die einzige poetische Gattung, welche Frau von Ebner-Eschenbach pflegt, in zwei, drei Novellen führt sie den Leser auf das politische Gebiet, schildert große nationale Leidenschaften und tragische Verwick¬ lungen. Die Historie als poetisches Element, als Hintergrund sittlicher Kon¬ flikte liegt dem Geiste der Aphvristin fern; sie lebt ganz in der Gegenwart und schreibt nur von dem, was sie selbst mit angesehen und beobachtet hat. Gleich¬ wohl hat sie im „Kreisphysikus" und in „Jnkob Szela" Bilder aus dem polnische«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/85>, abgerufen am 22.07.2024.