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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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erhöhungen, welche in den letzten Jahren, namentlich auf Eisen, Metallfabrikate
verschiedner Art und Maschinen gelegt wurden, haben den Charakter einer Zoll¬
sperre angenommen, welche leicht Repressalien der ausgeschlossenen Staaten
hervorrusen und dem russischen Ausfuhrhandel unbequeme Schranken ziehen
kann. Es zeugt nicht von weiser Voraussicht, wenn die russische Regierung
sich namentlich mit Deutschland in einen Zollkrieg verwickelt, einem Lande,
dessen Kredit es für den Ausbau seines Eisenbahnnetzes noch weiter in Anspruch
zu nehmen genötigt sein dürfte.

Der andre der beiden oben genannten Hanptfaktoren des russischen Kredits
liegt in den unerschlossenen Hilfsquellen des Landes. Hierbei fällt dem Eisen¬
bahnbau die bedeutendste Aufgabe zu. Ein Teil der darauf gesetzten Hoffnungen
ist bereits in dem heutigen Kurs russischer Werte eskvmptirt; aber große Auf¬
gaben sind noch ungelöst. In seinen Handelsbeziehungen wird Rußland mehr
und mehr von dem europäischen Markte nach dem asiatischen Weltteile hinüber¬
gedrängt werden. Die Ausfuhr nach Westen, die jetzt der niedrige Rubelkurs
begünstigt, wird sich trotz aller zollpolitischen Anstrengungen nicht immer auf
derselben Höhe erhalten.

Schon der Krimkrieg hatte gezeigt', daß Europa kommerziell ziemlich un¬
abhängig von Rußland bestehen kann. Selbst für die billigsten Naturprodukte
wie Talg, Hanf, Häute, Pelze ze. hatten sich während der zwei Kriegsjcchre andre
Bezugsquellen ausgeschlossen. Dagegen wurden und werden noch jetzt die asta¬
tischen Beziehungen durch die finanzielle" und merkantilen Verhältnisse des euro-
päisch-russischen Lebens so gut wie garnicht berührt, und diese günstige Lage
zwischen zwei Weltteilen, welche Rußland gerade den unermeßlichen Vorteil bietet,
seine Handelsthäiigkeit nach Belieben bald auf das eine, bald auf das andre
Ländcrgebiet richten zu könne", ist ein wichtiger Umstand sür die künftige Ge¬
staltung der Finanzlage. Allerdings hat der Aufschwung, den der russische
Exporthandel seit den sechziger Jahren genommen hat, eine günstigere Gestal¬
tung der Neichshaushaltsbilanz nicht bewirkt. Für den europäischen Handel ist
aber die geographische Lage des Reiches auch keineswegs günstig. Von den
Zentralstellen des Welthandels, dem Westen Europas, dem Süden Asiens und
der Handelssphärc Amerikas, ist Nußland entfernter als die übrigen Kultur-
länder, welche als Handelsstaaten in Betracht kommen, und wenn sich auch in
Bezug auf den Verkehr mit den ostindischen Hafenplätzen die Lage Rußlands
durch Eröffnung des Suezkanals einigermaßen gebessert hat, so kommt diese Ver¬
besserung doch direkt nur den südlichen Provinzen des Reiches, streng genommen
nur dem Handelsbezirk von Odessa, zu Gute. Auch der Umstand, daß der
größte Teil der in den Häfen der Ostsee gecharterten Ausfuhrwaaren (Ge¬
treide, Wolle, Flachs) sehr umfangreich ist, während die Einfuhrwaareu aus
weniger umfangreichen Fabrikaten bestehen, wirkt störend auf den Seehandel,
indem er die Ursache ist, daß eine große Anzahl von Schiffen mit Ballast in


erhöhungen, welche in den letzten Jahren, namentlich auf Eisen, Metallfabrikate
verschiedner Art und Maschinen gelegt wurden, haben den Charakter einer Zoll¬
sperre angenommen, welche leicht Repressalien der ausgeschlossenen Staaten
hervorrusen und dem russischen Ausfuhrhandel unbequeme Schranken ziehen
kann. Es zeugt nicht von weiser Voraussicht, wenn die russische Regierung
sich namentlich mit Deutschland in einen Zollkrieg verwickelt, einem Lande,
dessen Kredit es für den Ausbau seines Eisenbahnnetzes noch weiter in Anspruch
zu nehmen genötigt sein dürfte.

Der andre der beiden oben genannten Hanptfaktoren des russischen Kredits
liegt in den unerschlossenen Hilfsquellen des Landes. Hierbei fällt dem Eisen¬
bahnbau die bedeutendste Aufgabe zu. Ein Teil der darauf gesetzten Hoffnungen
ist bereits in dem heutigen Kurs russischer Werte eskvmptirt; aber große Auf¬
gaben sind noch ungelöst. In seinen Handelsbeziehungen wird Rußland mehr
und mehr von dem europäischen Markte nach dem asiatischen Weltteile hinüber¬
gedrängt werden. Die Ausfuhr nach Westen, die jetzt der niedrige Rubelkurs
begünstigt, wird sich trotz aller zollpolitischen Anstrengungen nicht immer auf
derselben Höhe erhalten.

Schon der Krimkrieg hatte gezeigt', daß Europa kommerziell ziemlich un¬
abhängig von Rußland bestehen kann. Selbst für die billigsten Naturprodukte
wie Talg, Hanf, Häute, Pelze ze. hatten sich während der zwei Kriegsjcchre andre
Bezugsquellen ausgeschlossen. Dagegen wurden und werden noch jetzt die asta¬
tischen Beziehungen durch die finanzielle« und merkantilen Verhältnisse des euro-
päisch-russischen Lebens so gut wie garnicht berührt, und diese günstige Lage
zwischen zwei Weltteilen, welche Rußland gerade den unermeßlichen Vorteil bietet,
seine Handelsthäiigkeit nach Belieben bald auf das eine, bald auf das andre
Ländcrgebiet richten zu könne», ist ein wichtiger Umstand sür die künftige Ge¬
staltung der Finanzlage. Allerdings hat der Aufschwung, den der russische
Exporthandel seit den sechziger Jahren genommen hat, eine günstigere Gestal¬
tung der Neichshaushaltsbilanz nicht bewirkt. Für den europäischen Handel ist
aber die geographische Lage des Reiches auch keineswegs günstig. Von den
Zentralstellen des Welthandels, dem Westen Europas, dem Süden Asiens und
der Handelssphärc Amerikas, ist Nußland entfernter als die übrigen Kultur-
länder, welche als Handelsstaaten in Betracht kommen, und wenn sich auch in
Bezug auf den Verkehr mit den ostindischen Hafenplätzen die Lage Rußlands
durch Eröffnung des Suezkanals einigermaßen gebessert hat, so kommt diese Ver¬
besserung doch direkt nur den südlichen Provinzen des Reiches, streng genommen
nur dem Handelsbezirk von Odessa, zu Gute. Auch der Umstand, daß der
größte Teil der in den Häfen der Ostsee gecharterten Ausfuhrwaaren (Ge¬
treide, Wolle, Flachs) sehr umfangreich ist, während die Einfuhrwaareu aus
weniger umfangreichen Fabrikaten bestehen, wirkt störend auf den Seehandel,
indem er die Ursache ist, daß eine große Anzahl von Schiffen mit Ballast in


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[0079] erhöhungen, welche in den letzten Jahren, namentlich auf Eisen, Metallfabrikate verschiedner Art und Maschinen gelegt wurden, haben den Charakter einer Zoll¬ sperre angenommen, welche leicht Repressalien der ausgeschlossenen Staaten hervorrusen und dem russischen Ausfuhrhandel unbequeme Schranken ziehen kann. Es zeugt nicht von weiser Voraussicht, wenn die russische Regierung sich namentlich mit Deutschland in einen Zollkrieg verwickelt, einem Lande, dessen Kredit es für den Ausbau seines Eisenbahnnetzes noch weiter in Anspruch zu nehmen genötigt sein dürfte. Der andre der beiden oben genannten Hanptfaktoren des russischen Kredits liegt in den unerschlossenen Hilfsquellen des Landes. Hierbei fällt dem Eisen¬ bahnbau die bedeutendste Aufgabe zu. Ein Teil der darauf gesetzten Hoffnungen ist bereits in dem heutigen Kurs russischer Werte eskvmptirt; aber große Auf¬ gaben sind noch ungelöst. In seinen Handelsbeziehungen wird Rußland mehr und mehr von dem europäischen Markte nach dem asiatischen Weltteile hinüber¬ gedrängt werden. Die Ausfuhr nach Westen, die jetzt der niedrige Rubelkurs begünstigt, wird sich trotz aller zollpolitischen Anstrengungen nicht immer auf derselben Höhe erhalten. Schon der Krimkrieg hatte gezeigt', daß Europa kommerziell ziemlich un¬ abhängig von Rußland bestehen kann. Selbst für die billigsten Naturprodukte wie Talg, Hanf, Häute, Pelze ze. hatten sich während der zwei Kriegsjcchre andre Bezugsquellen ausgeschlossen. Dagegen wurden und werden noch jetzt die asta¬ tischen Beziehungen durch die finanzielle« und merkantilen Verhältnisse des euro- päisch-russischen Lebens so gut wie garnicht berührt, und diese günstige Lage zwischen zwei Weltteilen, welche Rußland gerade den unermeßlichen Vorteil bietet, seine Handelsthäiigkeit nach Belieben bald auf das eine, bald auf das andre Ländcrgebiet richten zu könne», ist ein wichtiger Umstand sür die künftige Ge¬ staltung der Finanzlage. Allerdings hat der Aufschwung, den der russische Exporthandel seit den sechziger Jahren genommen hat, eine günstigere Gestal¬ tung der Neichshaushaltsbilanz nicht bewirkt. Für den europäischen Handel ist aber die geographische Lage des Reiches auch keineswegs günstig. Von den Zentralstellen des Welthandels, dem Westen Europas, dem Süden Asiens und der Handelssphärc Amerikas, ist Nußland entfernter als die übrigen Kultur- länder, welche als Handelsstaaten in Betracht kommen, und wenn sich auch in Bezug auf den Verkehr mit den ostindischen Hafenplätzen die Lage Rußlands durch Eröffnung des Suezkanals einigermaßen gebessert hat, so kommt diese Ver¬ besserung doch direkt nur den südlichen Provinzen des Reiches, streng genommen nur dem Handelsbezirk von Odessa, zu Gute. Auch der Umstand, daß der größte Teil der in den Häfen der Ostsee gecharterten Ausfuhrwaaren (Ge¬ treide, Wolle, Flachs) sehr umfangreich ist, während die Einfuhrwaareu aus weniger umfangreichen Fabrikaten bestehen, wirkt störend auf den Seehandel, indem er die Ursache ist, daß eine große Anzahl von Schiffen mit Ballast in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/79>, abgerufen am 22.07.2024.