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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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prvzentigen Papiers (Ende April d. I. etwa 98,50) auf 102 gestiegen ist.
Die zwei Prozent über u-u! entsprechen dem auf englisches Gold fallenden
Agio, Die Konvcrtirung bildet für den Fiskus eine beträchtliche Ersparnis an
jährlicher Zinszahlung und Amortisation und, wofern die so gewonnenen Mil¬
lionen zur Hebung des Metallschatzes in die Reichsbank fließen, wird eine
Hebung der Valuta auch dann eintreten müssen, wenn eine Verbrennung von
Kreditbillets nicht stattfindet. Eine solche Kurssteigerung wird freilich wiederum
nicht ohne Rückwirkung auf die Exportverhältnisfe des Landes bleiben und
namentlich der Getreideausfuhr ungünstig sein. Wenn diese Aussicht von den
deutschen Landwirten auch mit Befriedigung begrüßt werden dürfte, so wird
dieser Vorteil freilich durch die Schädigung wieder aufgehoben, welche die deutschen
Besitzer russischer Staatspapiere durch die Zinsverkürzuug erleiden. Auf die
Frage näher einzugehen, wie weit Deutschland von derartige" Pläne" berührt
wird, fällt nicht in den Rahmen dieser Abhandlung, Nachdem sich England und
Frankreich den Geldansprüchen Rußlands verschlossen haben, steht Deutschland
in der Reihe der auswärtigen Staatsglänbiger obenan, und die Schwankungen
der russischen Finanzlage werden ohne Zweifel bei uns in den weitesten Volks¬
schichten mit empfunden. Vielleicht kommt die Konversion jetzt noch etwas zu
früh, und viele der bisherigen Inhaber russischer Papiere werden sich ange¬
sichts einer Reduktion auf vier Prozent nach anderweitigen Anlagen umsehen.
Aber das allgemeine Sinken des Zinsfußes ist solchen Operationen nicht günstig,
außerdem vergessen die meisten, daß sie im Laufe der letzten Jahre schon eiuen
beträchtlichen Nutzen aus der Kurssteigerung russischer Effekten gezogen haben.
Immerhin bleibt die Thatsache bemerkenswert, daß das deutsche Publikum trotz
der ernsten Krisen des Nachbarreiches in seinem Vertrauen ans dessen Zahlungs¬
fähigkeit nicht nachgelassen hat. Bestimmend dasür ist neben dem Umstände,
daß Nußland seinen Verpflichtungen gegen das Ausland bisher pünktlich nach¬
gekommen ist, vor allem auch die Überzeugung, daß die Produktionskraft des
Landes noch einer außerordentlichen Steigerung fähig sei.

In erster Hinsicht muß man anerkennen, daß die russische Negierung es
selbst in kritischen Zeiten vermieden hat, die abschüssige Bahn direkter oder in¬
direkter Gewaltthätigkeiten gegen die Staatsgläubiger zu betreten, denen nur in
der Fiuanzgeschichte kontinentaler und transatlantischer Staaten schon oft be¬
gegnet sind. Die Mißgriffe, deren sich die russische Finanzleitung in frühern
Zeiten schuldig gemacht hat, liegen vielmehr auf einem andern Gebiete. Sie
entsprangen der übergroßen Furcht vor dem Defizit und dem Bestreben, dieses
lediglich durch Anleihen, nicht durch Ersparnisse oder Steuerreformen zu be¬
seitigen. Auch im Bank- und Kreditwesen sind Fehler begangen worden, deren
Folgen die Gegenwart zu tragen hat. Ju der Durchführung des Schutzzolles
ist man weiter gegangen, als es die Rücksicht auf ein gutes handelspolitisches
Einvernehmen mit den Nachbarländern ratsam erscheinen läßt. Die Zoll-


prvzentigen Papiers (Ende April d. I. etwa 98,50) auf 102 gestiegen ist.
Die zwei Prozent über u-u! entsprechen dem auf englisches Gold fallenden
Agio, Die Konvcrtirung bildet für den Fiskus eine beträchtliche Ersparnis an
jährlicher Zinszahlung und Amortisation und, wofern die so gewonnenen Mil¬
lionen zur Hebung des Metallschatzes in die Reichsbank fließen, wird eine
Hebung der Valuta auch dann eintreten müssen, wenn eine Verbrennung von
Kreditbillets nicht stattfindet. Eine solche Kurssteigerung wird freilich wiederum
nicht ohne Rückwirkung auf die Exportverhältnisfe des Landes bleiben und
namentlich der Getreideausfuhr ungünstig sein. Wenn diese Aussicht von den
deutschen Landwirten auch mit Befriedigung begrüßt werden dürfte, so wird
dieser Vorteil freilich durch die Schädigung wieder aufgehoben, welche die deutschen
Besitzer russischer Staatspapiere durch die Zinsverkürzuug erleiden. Auf die
Frage näher einzugehen, wie weit Deutschland von derartige» Pläne» berührt
wird, fällt nicht in den Rahmen dieser Abhandlung, Nachdem sich England und
Frankreich den Geldansprüchen Rußlands verschlossen haben, steht Deutschland
in der Reihe der auswärtigen Staatsglänbiger obenan, und die Schwankungen
der russischen Finanzlage werden ohne Zweifel bei uns in den weitesten Volks¬
schichten mit empfunden. Vielleicht kommt die Konversion jetzt noch etwas zu
früh, und viele der bisherigen Inhaber russischer Papiere werden sich ange¬
sichts einer Reduktion auf vier Prozent nach anderweitigen Anlagen umsehen.
Aber das allgemeine Sinken des Zinsfußes ist solchen Operationen nicht günstig,
außerdem vergessen die meisten, daß sie im Laufe der letzten Jahre schon eiuen
beträchtlichen Nutzen aus der Kurssteigerung russischer Effekten gezogen haben.
Immerhin bleibt die Thatsache bemerkenswert, daß das deutsche Publikum trotz
der ernsten Krisen des Nachbarreiches in seinem Vertrauen ans dessen Zahlungs¬
fähigkeit nicht nachgelassen hat. Bestimmend dasür ist neben dem Umstände,
daß Nußland seinen Verpflichtungen gegen das Ausland bisher pünktlich nach¬
gekommen ist, vor allem auch die Überzeugung, daß die Produktionskraft des
Landes noch einer außerordentlichen Steigerung fähig sei.

In erster Hinsicht muß man anerkennen, daß die russische Negierung es
selbst in kritischen Zeiten vermieden hat, die abschüssige Bahn direkter oder in¬
direkter Gewaltthätigkeiten gegen die Staatsgläubiger zu betreten, denen nur in
der Fiuanzgeschichte kontinentaler und transatlantischer Staaten schon oft be¬
gegnet sind. Die Mißgriffe, deren sich die russische Finanzleitung in frühern
Zeiten schuldig gemacht hat, liegen vielmehr auf einem andern Gebiete. Sie
entsprangen der übergroßen Furcht vor dem Defizit und dem Bestreben, dieses
lediglich durch Anleihen, nicht durch Ersparnisse oder Steuerreformen zu be¬
seitigen. Auch im Bank- und Kreditwesen sind Fehler begangen worden, deren
Folgen die Gegenwart zu tragen hat. Ju der Durchführung des Schutzzolles
ist man weiter gegangen, als es die Rücksicht auf ein gutes handelspolitisches
Einvernehmen mit den Nachbarländern ratsam erscheinen läßt. Die Zoll-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/78>, abgerufen am 22.07.2024.