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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

auf die Wiederherstellung des Parikurses setzen. Dieser Kredit der Noteninhaber
ist allen Schwankungen ausgesetzt, welche politische und wirtschaftliche Vorgänge
hervorrufen; ja selbst die Deutung solcher Vorgänge, Gerüchte, Mutmaßungen,
falsche Nachrichten wirken belebend oder herabflimmert auf den Kurs. Diese
unsichere Lage wird meist verstärkt durch die Maßnahmen des Staates, der nicht
imstande ist, die Grenzen des Notenbedarfes zu erkennen und bei seinen tastenden
Versuchen noch durch das Steigen der Preise irregeleitet wird. Solchen Übel¬
ständen ist ein niedriger, aber einigermaßen beständiger Kurs bei weitem vor¬
zuziehen. Das handeltreibende Publikum gewöhnt sich daran, denselben allen
Geschäftsabschlüssen zu Grnnde zu legen; gegen unerwartete kleine Schwankungen
kann es sich durch eine Versicherungsprämie decken. Das ganze Verkchrslebcn
nimmt allmählich denselben Charakter an, als wäre der Kurs ein normaler.
Denn jede Spekulation auf einen durch Herstellung der Valuta zu erzielenden
Gewinn gilt als aussichtslos. Der Verlust, den die Entwertung den Noten¬
besitzern während der Krisis selbst brachte, ist begrenzt und kann sich nicht anf
die spätern Abnehmer dieser Noten übertragen. Dieser Zustand herrscht gegen¬
wärtig auch in Rußland und ist bestimmend für seine Geschäfte mit dem Auslande.

Als Herr Bunge im Mai 1881 das Finauzportefeuille übernahm, befanden
sich 1133 Millionen Rubel Kreditbillcts im Umlauf, denen nur eine Metalldeckung
von 171 Millionen gegenüberstand. Von jenen Kreditbilleten waren allein
417 Millionen für Kriegserfordernisse emittirt. Dieses Mißverhältnis machte
sich in der anhaltenden Baisse des Nubelkurses geltend. Anfangs war die¬
selbe im Inlande nicht so fühlbar, da die Zollzahlungen in Gold und die Rubel¬
entwertung wie Schutzmaßregeln für die heimische Industrie wirkten und die
Ausfuhr belebten. Erst allmählich traten die nachteiligen Folgen des tiefen
Standes zu Tage und steigerten sich unter der Mitwirkung schlechter Ernten
in den ersten achtziger Jahren zu eiuer Art von Krisis. Die allgemeine Ver¬
teuerung der Lebensmittel, welche für jeden einzelnen Hausstand größere Auf¬
wendungen an Geld oder Geldfurrogat für die gleichen Bedürfnisse erforderte,
zog das wenige Metall, das noch im Umlauf war, aus dem Verkehr, verringerte
die Depots bei den Kreditanstalten und zwang so wiederum den Staat zu neuer
Vermehrung der papiernen Umlanfsmittel. Es ist eine häufig beobachtete Er¬
scheinung, daß in solchen Zeiten das Gold in unzähligen kleinen Beträgen durch
vorsichtige Kapitalisten, namentlich durch die kleinen Besitzer auf dem Lande, fest¬
gehalten wird. Bei der letztgenannten Volksklasse, bei den Bauern, den kleinen
Ackerbürgern und Dienstboten wird die ohnehin bestehende Neigung zum Geld¬
aufspeichern durch die Schwierigkeiten verstärkt, welche die lokale Entfernung von
den Banken einer zinsbaren Anlage entgegenstellt. In russischen Provinzen ist
auch heute sicher noch weit mehr Gold im Einzelbesitz vorhanden, als der Um¬
lauf erkennen läßt. Diese zwar nicht in Ziffern festzustellende, aber doch durch
die Gvldexportstatistik einigermaßen abzuschätzende Metnllreserve des Landes ist


Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

auf die Wiederherstellung des Parikurses setzen. Dieser Kredit der Noteninhaber
ist allen Schwankungen ausgesetzt, welche politische und wirtschaftliche Vorgänge
hervorrufen; ja selbst die Deutung solcher Vorgänge, Gerüchte, Mutmaßungen,
falsche Nachrichten wirken belebend oder herabflimmert auf den Kurs. Diese
unsichere Lage wird meist verstärkt durch die Maßnahmen des Staates, der nicht
imstande ist, die Grenzen des Notenbedarfes zu erkennen und bei seinen tastenden
Versuchen noch durch das Steigen der Preise irregeleitet wird. Solchen Übel¬
ständen ist ein niedriger, aber einigermaßen beständiger Kurs bei weitem vor¬
zuziehen. Das handeltreibende Publikum gewöhnt sich daran, denselben allen
Geschäftsabschlüssen zu Grnnde zu legen; gegen unerwartete kleine Schwankungen
kann es sich durch eine Versicherungsprämie decken. Das ganze Verkchrslebcn
nimmt allmählich denselben Charakter an, als wäre der Kurs ein normaler.
Denn jede Spekulation auf einen durch Herstellung der Valuta zu erzielenden
Gewinn gilt als aussichtslos. Der Verlust, den die Entwertung den Noten¬
besitzern während der Krisis selbst brachte, ist begrenzt und kann sich nicht anf
die spätern Abnehmer dieser Noten übertragen. Dieser Zustand herrscht gegen¬
wärtig auch in Rußland und ist bestimmend für seine Geschäfte mit dem Auslande.

Als Herr Bunge im Mai 1881 das Finauzportefeuille übernahm, befanden
sich 1133 Millionen Rubel Kreditbillcts im Umlauf, denen nur eine Metalldeckung
von 171 Millionen gegenüberstand. Von jenen Kreditbilleten waren allein
417 Millionen für Kriegserfordernisse emittirt. Dieses Mißverhältnis machte
sich in der anhaltenden Baisse des Nubelkurses geltend. Anfangs war die¬
selbe im Inlande nicht so fühlbar, da die Zollzahlungen in Gold und die Rubel¬
entwertung wie Schutzmaßregeln für die heimische Industrie wirkten und die
Ausfuhr belebten. Erst allmählich traten die nachteiligen Folgen des tiefen
Standes zu Tage und steigerten sich unter der Mitwirkung schlechter Ernten
in den ersten achtziger Jahren zu eiuer Art von Krisis. Die allgemeine Ver¬
teuerung der Lebensmittel, welche für jeden einzelnen Hausstand größere Auf¬
wendungen an Geld oder Geldfurrogat für die gleichen Bedürfnisse erforderte,
zog das wenige Metall, das noch im Umlauf war, aus dem Verkehr, verringerte
die Depots bei den Kreditanstalten und zwang so wiederum den Staat zu neuer
Vermehrung der papiernen Umlanfsmittel. Es ist eine häufig beobachtete Er¬
scheinung, daß in solchen Zeiten das Gold in unzähligen kleinen Beträgen durch
vorsichtige Kapitalisten, namentlich durch die kleinen Besitzer auf dem Lande, fest¬
gehalten wird. Bei der letztgenannten Volksklasse, bei den Bauern, den kleinen
Ackerbürgern und Dienstboten wird die ohnehin bestehende Neigung zum Geld¬
aufspeichern durch die Schwierigkeiten verstärkt, welche die lokale Entfernung von
den Banken einer zinsbaren Anlage entgegenstellt. In russischen Provinzen ist
auch heute sicher noch weit mehr Gold im Einzelbesitz vorhanden, als der Um¬
lauf erkennen läßt. Diese zwar nicht in Ziffern festzustellende, aber doch durch
die Gvldexportstatistik einigermaßen abzuschätzende Metnllreserve des Landes ist


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[0072] Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta. auf die Wiederherstellung des Parikurses setzen. Dieser Kredit der Noteninhaber ist allen Schwankungen ausgesetzt, welche politische und wirtschaftliche Vorgänge hervorrufen; ja selbst die Deutung solcher Vorgänge, Gerüchte, Mutmaßungen, falsche Nachrichten wirken belebend oder herabflimmert auf den Kurs. Diese unsichere Lage wird meist verstärkt durch die Maßnahmen des Staates, der nicht imstande ist, die Grenzen des Notenbedarfes zu erkennen und bei seinen tastenden Versuchen noch durch das Steigen der Preise irregeleitet wird. Solchen Übel¬ ständen ist ein niedriger, aber einigermaßen beständiger Kurs bei weitem vor¬ zuziehen. Das handeltreibende Publikum gewöhnt sich daran, denselben allen Geschäftsabschlüssen zu Grnnde zu legen; gegen unerwartete kleine Schwankungen kann es sich durch eine Versicherungsprämie decken. Das ganze Verkchrslebcn nimmt allmählich denselben Charakter an, als wäre der Kurs ein normaler. Denn jede Spekulation auf einen durch Herstellung der Valuta zu erzielenden Gewinn gilt als aussichtslos. Der Verlust, den die Entwertung den Noten¬ besitzern während der Krisis selbst brachte, ist begrenzt und kann sich nicht anf die spätern Abnehmer dieser Noten übertragen. Dieser Zustand herrscht gegen¬ wärtig auch in Rußland und ist bestimmend für seine Geschäfte mit dem Auslande. Als Herr Bunge im Mai 1881 das Finauzportefeuille übernahm, befanden sich 1133 Millionen Rubel Kreditbillcts im Umlauf, denen nur eine Metalldeckung von 171 Millionen gegenüberstand. Von jenen Kreditbilleten waren allein 417 Millionen für Kriegserfordernisse emittirt. Dieses Mißverhältnis machte sich in der anhaltenden Baisse des Nubelkurses geltend. Anfangs war die¬ selbe im Inlande nicht so fühlbar, da die Zollzahlungen in Gold und die Rubel¬ entwertung wie Schutzmaßregeln für die heimische Industrie wirkten und die Ausfuhr belebten. Erst allmählich traten die nachteiligen Folgen des tiefen Standes zu Tage und steigerten sich unter der Mitwirkung schlechter Ernten in den ersten achtziger Jahren zu eiuer Art von Krisis. Die allgemeine Ver¬ teuerung der Lebensmittel, welche für jeden einzelnen Hausstand größere Auf¬ wendungen an Geld oder Geldfurrogat für die gleichen Bedürfnisse erforderte, zog das wenige Metall, das noch im Umlauf war, aus dem Verkehr, verringerte die Depots bei den Kreditanstalten und zwang so wiederum den Staat zu neuer Vermehrung der papiernen Umlanfsmittel. Es ist eine häufig beobachtete Er¬ scheinung, daß in solchen Zeiten das Gold in unzähligen kleinen Beträgen durch vorsichtige Kapitalisten, namentlich durch die kleinen Besitzer auf dem Lande, fest¬ gehalten wird. Bei der letztgenannten Volksklasse, bei den Bauern, den kleinen Ackerbürgern und Dienstboten wird die ohnehin bestehende Neigung zum Geld¬ aufspeichern durch die Schwierigkeiten verstärkt, welche die lokale Entfernung von den Banken einer zinsbaren Anlage entgegenstellt. In russischen Provinzen ist auch heute sicher noch weit mehr Gold im Einzelbesitz vorhanden, als der Um¬ lauf erkennen läßt. Diese zwar nicht in Ziffern festzustellende, aber doch durch die Gvldexportstatistik einigermaßen abzuschätzende Metnllreserve des Landes ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/72>, abgerufen am 22.07.2024.