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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Einmal brachte Cäcilie einen Brief. Du wirst ihn durchsehen müsse",
Therese, ob er etwas enthält, das Beantwortung fordert. Das Schreiben war
an Vohemund gerichtet.

Willst dn nicht lieber --

Aber Cäcilie schüttelte ungeduldig den Kopf; sie hatte mehr zu thun.

Therese hielt den Brief in der Hand und betrachtete lange die gerade,
ordentliche Schrift. Sie gewann diese Buchstaben ordentlich lieb und fand, daß
sie ganz besonders vertrauenerweckend aussähen. Dann las sie. Vohemund
hatte ihr nie Georgs Briefe mitgeteilt. Sie wußte nicht, daß es möglich war,
so viel Güte und Teilnahme, so zart ausgedrückte Besorgnis in eine Reihe
Buchstaben zu legen. Sie lächelte, und Thränen traten ihr in die Augen. Sie
las alle die Rücksicht heraus, mit der Georg, ohne zu verletzen, sagte, was er
sagen mußte.

Er schien aus der Ferne zu sehen, was in Siebenhofen vorging: daß der
neue Inspektor nichts taugte, daß der Hofmarschall sich verleiten ließ, in seinen
Unternehmungen bedenklich weitläufig zu werden, und daß er Männer herbeizog,
an deren Tüchtigkeit man zweifeln mußte. Auch Bohemunds Hoffnung auf die
Nieder-Tetteuheimer Zuckerfabrik teilte Georg uicht.

Ich mochte bei euch sein, schloß er, in Gedanken mache ich mir Sorge um
euch, um dich lind deine Frau. Mir ists, als ob eure Bilder blasser würden
und blasser. Im Traume greife ich darnach, und sie zerrinnen, sodaß mich Angst
aufweckt. Ich kann mich nicht mit Angen überzeugen, wie thöricht solche Angst
ist. Versprich mir, lieber Bruder, auf dich zu achten und auf sie.

Vohemund nahm alle diese Besorgnis nicht schwer, als er später den Brief
selbst las. Er war kein fügsamer Patient, zu früh aufgestanden, zu bald an
die Geschäfte gegangen, wie Petri ärgerlich sagte, aber Riffelshansen hatte keine
Ruhe mehr, sobald er imstande war, sich aufrecht zu halten.

Die Vermessungen nahmen ihren Verlauf, die Berechnungen sahen ihrem
Ende entgegen. Die Einfahrt der Ernte beschäftigte den neuen Inspektor voll¬
auf, und der Hofmarschall hielt es für unumgänglich nötig, die von ihm ins
Werk gesetzte Regulirung des Flußbettes persönlich zu leiten. Aber er war so
ganz von Kräften gekommen, daß ihn die geringste Anstrengung wieder aufs
Bett warf. Dabei quälte er sich und andre in dem Bemühen, seine Kraft¬
losigkeit zu verbergen, und verlangte, daß niemand es bemerkte, wenn er ermattet
ans irgend einem Sofa lag.

Nur keine Aufregung, verehrter Herr Hofmarschall! mahnte Doktor Petri.
Da stürzte Cäcilie ins Zimmer.

Herr Gott, Vohemund! Weißt du's denn schon? Die Tettcnheimer Fabrik
hat fallirt! Der Nichtswürdige zahlt seinen Gläubigern mit Zucker! Zucker!
Als ob wir von dem leben könnten!

Ein paar Tage nach diesem Vorfalle befand sich der Hofmarschall in


Einmal brachte Cäcilie einen Brief. Du wirst ihn durchsehen müsse»,
Therese, ob er etwas enthält, das Beantwortung fordert. Das Schreiben war
an Vohemund gerichtet.

Willst dn nicht lieber —

Aber Cäcilie schüttelte ungeduldig den Kopf; sie hatte mehr zu thun.

Therese hielt den Brief in der Hand und betrachtete lange die gerade,
ordentliche Schrift. Sie gewann diese Buchstaben ordentlich lieb und fand, daß
sie ganz besonders vertrauenerweckend aussähen. Dann las sie. Vohemund
hatte ihr nie Georgs Briefe mitgeteilt. Sie wußte nicht, daß es möglich war,
so viel Güte und Teilnahme, so zart ausgedrückte Besorgnis in eine Reihe
Buchstaben zu legen. Sie lächelte, und Thränen traten ihr in die Augen. Sie
las alle die Rücksicht heraus, mit der Georg, ohne zu verletzen, sagte, was er
sagen mußte.

Er schien aus der Ferne zu sehen, was in Siebenhofen vorging: daß der
neue Inspektor nichts taugte, daß der Hofmarschall sich verleiten ließ, in seinen
Unternehmungen bedenklich weitläufig zu werden, und daß er Männer herbeizog,
an deren Tüchtigkeit man zweifeln mußte. Auch Bohemunds Hoffnung auf die
Nieder-Tetteuheimer Zuckerfabrik teilte Georg uicht.

Ich mochte bei euch sein, schloß er, in Gedanken mache ich mir Sorge um
euch, um dich lind deine Frau. Mir ists, als ob eure Bilder blasser würden
und blasser. Im Traume greife ich darnach, und sie zerrinnen, sodaß mich Angst
aufweckt. Ich kann mich nicht mit Angen überzeugen, wie thöricht solche Angst
ist. Versprich mir, lieber Bruder, auf dich zu achten und auf sie.

Vohemund nahm alle diese Besorgnis nicht schwer, als er später den Brief
selbst las. Er war kein fügsamer Patient, zu früh aufgestanden, zu bald an
die Geschäfte gegangen, wie Petri ärgerlich sagte, aber Riffelshansen hatte keine
Ruhe mehr, sobald er imstande war, sich aufrecht zu halten.

Die Vermessungen nahmen ihren Verlauf, die Berechnungen sahen ihrem
Ende entgegen. Die Einfahrt der Ernte beschäftigte den neuen Inspektor voll¬
auf, und der Hofmarschall hielt es für unumgänglich nötig, die von ihm ins
Werk gesetzte Regulirung des Flußbettes persönlich zu leiten. Aber er war so
ganz von Kräften gekommen, daß ihn die geringste Anstrengung wieder aufs
Bett warf. Dabei quälte er sich und andre in dem Bemühen, seine Kraft¬
losigkeit zu verbergen, und verlangte, daß niemand es bemerkte, wenn er ermattet
ans irgend einem Sofa lag.

Nur keine Aufregung, verehrter Herr Hofmarschall! mahnte Doktor Petri.
Da stürzte Cäcilie ins Zimmer.

Herr Gott, Vohemund! Weißt du's denn schon? Die Tettcnheimer Fabrik
hat fallirt! Der Nichtswürdige zahlt seinen Gläubigern mit Zucker! Zucker!
Als ob wir von dem leben könnten!

Ein paar Tage nach diesem Vorfalle befand sich der Hofmarschall in


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[0624] Einmal brachte Cäcilie einen Brief. Du wirst ihn durchsehen müsse», Therese, ob er etwas enthält, das Beantwortung fordert. Das Schreiben war an Vohemund gerichtet. Willst dn nicht lieber — Aber Cäcilie schüttelte ungeduldig den Kopf; sie hatte mehr zu thun. Therese hielt den Brief in der Hand und betrachtete lange die gerade, ordentliche Schrift. Sie gewann diese Buchstaben ordentlich lieb und fand, daß sie ganz besonders vertrauenerweckend aussähen. Dann las sie. Vohemund hatte ihr nie Georgs Briefe mitgeteilt. Sie wußte nicht, daß es möglich war, so viel Güte und Teilnahme, so zart ausgedrückte Besorgnis in eine Reihe Buchstaben zu legen. Sie lächelte, und Thränen traten ihr in die Augen. Sie las alle die Rücksicht heraus, mit der Georg, ohne zu verletzen, sagte, was er sagen mußte. Er schien aus der Ferne zu sehen, was in Siebenhofen vorging: daß der neue Inspektor nichts taugte, daß der Hofmarschall sich verleiten ließ, in seinen Unternehmungen bedenklich weitläufig zu werden, und daß er Männer herbeizog, an deren Tüchtigkeit man zweifeln mußte. Auch Bohemunds Hoffnung auf die Nieder-Tetteuheimer Zuckerfabrik teilte Georg uicht. Ich mochte bei euch sein, schloß er, in Gedanken mache ich mir Sorge um euch, um dich lind deine Frau. Mir ists, als ob eure Bilder blasser würden und blasser. Im Traume greife ich darnach, und sie zerrinnen, sodaß mich Angst aufweckt. Ich kann mich nicht mit Angen überzeugen, wie thöricht solche Angst ist. Versprich mir, lieber Bruder, auf dich zu achten und auf sie. Vohemund nahm alle diese Besorgnis nicht schwer, als er später den Brief selbst las. Er war kein fügsamer Patient, zu früh aufgestanden, zu bald an die Geschäfte gegangen, wie Petri ärgerlich sagte, aber Riffelshansen hatte keine Ruhe mehr, sobald er imstande war, sich aufrecht zu halten. Die Vermessungen nahmen ihren Verlauf, die Berechnungen sahen ihrem Ende entgegen. Die Einfahrt der Ernte beschäftigte den neuen Inspektor voll¬ auf, und der Hofmarschall hielt es für unumgänglich nötig, die von ihm ins Werk gesetzte Regulirung des Flußbettes persönlich zu leiten. Aber er war so ganz von Kräften gekommen, daß ihn die geringste Anstrengung wieder aufs Bett warf. Dabei quälte er sich und andre in dem Bemühen, seine Kraft¬ losigkeit zu verbergen, und verlangte, daß niemand es bemerkte, wenn er ermattet ans irgend einem Sofa lag. Nur keine Aufregung, verehrter Herr Hofmarschall! mahnte Doktor Petri. Da stürzte Cäcilie ins Zimmer. Herr Gott, Vohemund! Weißt du's denn schon? Die Tettcnheimer Fabrik hat fallirt! Der Nichtswürdige zahlt seinen Gläubigern mit Zucker! Zucker! Als ob wir von dem leben könnten! Ein paar Tage nach diesem Vorfalle befand sich der Hofmarschall in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/624>, abgerufen am 22.07.2024.