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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Ausweg hatte, und doch war er nicht da. Sie sah nach dem Fenster; aber
dies führte von beträchtlicher Höhe nach dem Wallgraben. Der jetzt mit Hagel
vermischte Regen wühlte den Grund des Grabens auf, daß das Wasser in
schmutzigen, dunkeln Wellen gegen die alte Steinwand stieß. Auf einmal be¬
merkte sie, daß das Fenster, welches sie sorgfältig geschlossen hatte, nur anlehnte;
es schien mit Anstrengung von außen angezogen zu werden. Ihr schwindelte.
Wenn er diesen Ausweg genommen hat, dachte sie, dann war es sein Tod!
Mit leisem Stöhnen sank sie in die Kniee und lehnte den Kopf an die Wand.
Der Hofmarschall, der einen Blick auf sie warf, bemerkte einen Gegenstand unter
dem Fenster am Boden liegen. Es war ein feiner Herrenhandschuh.




Neunzehntes Aapitel.

Jakob, der Kutscher des Grafen Daida, stand leise fluchend in dem Stalle
des Gutshofes, der durch einige Fensterlöcher unter der Decke sein spärliches
Licht empfing.

Sie sollten einmal einen neuen bauen, diese schäbigen Siebenhofer, brummte
er und klopfte den großen Braunen auf den glänzenden Hals. Da vernahm
er ein heftiges Pochen an der niedrigen Thür nach der Straßenseite -- wie,
war das nicht der Herr? -- Mache auf, du Esel! tönte es durch das Rauschen
des Regens. Ja, das war schon der Graf. Aber um aller Heiligen willen
(Jakob war, wie sein Herr, Katholik), gnädigster Herr Graf! rief er bestürzt, als
dieser triefend und schlammbedeckt wirklich eintrat.

Schweig! Meinen Mantel her. So, nun spann augenblicklich ein, ich muß
mit dem nächsten Zuge fort -- nach Berlin. Ist der Hegel hier.

Der ist hier, Herr Graf, ich will ihn sofort rufe".

Aber sei gescheit, Alter, daß du kein Aufsehen machst. Und eil dich! Eil
dich, sag' ich dir, du schläfriges Flußpferd!

Daida hüllte sich schaudernd in seinen Mantel und setzte sich auf ein Bündel
Stroh in dem dunkeln Stalle. Dort wartete er ungeduldig, den eilenden Kutscher
noch antreibend. Der wollte kaum Augen und Ohren trauen, wagte aber keine
Entgegnung. Nur mit stillem Kummer bedachte er, daß ein derartiger Ge-
wittersturm nicht zum besten im Jagdwagen auf offener Landstraße abzuwarten
sei. Dennoch spannte er mit dem herbeigeholten Hegel in möglichster Hast die
Pferde vor.

Nu, rappelts bei euch? schrie der Großknecht, der aus der Thür des Ge-
sindehauses schaute.

Was gehts denn euch an? Wir haben Nachrichten, und mein Herr muß
nach Berlin.

So dumm! brummte der Großkuecht und schlug die Thür zu.


Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Ausweg hatte, und doch war er nicht da. Sie sah nach dem Fenster; aber
dies führte von beträchtlicher Höhe nach dem Wallgraben. Der jetzt mit Hagel
vermischte Regen wühlte den Grund des Grabens auf, daß das Wasser in
schmutzigen, dunkeln Wellen gegen die alte Steinwand stieß. Auf einmal be¬
merkte sie, daß das Fenster, welches sie sorgfältig geschlossen hatte, nur anlehnte;
es schien mit Anstrengung von außen angezogen zu werden. Ihr schwindelte.
Wenn er diesen Ausweg genommen hat, dachte sie, dann war es sein Tod!
Mit leisem Stöhnen sank sie in die Kniee und lehnte den Kopf an die Wand.
Der Hofmarschall, der einen Blick auf sie warf, bemerkte einen Gegenstand unter
dem Fenster am Boden liegen. Es war ein feiner Herrenhandschuh.




Neunzehntes Aapitel.

Jakob, der Kutscher des Grafen Daida, stand leise fluchend in dem Stalle
des Gutshofes, der durch einige Fensterlöcher unter der Decke sein spärliches
Licht empfing.

Sie sollten einmal einen neuen bauen, diese schäbigen Siebenhofer, brummte
er und klopfte den großen Braunen auf den glänzenden Hals. Da vernahm
er ein heftiges Pochen an der niedrigen Thür nach der Straßenseite — wie,
war das nicht der Herr? — Mache auf, du Esel! tönte es durch das Rauschen
des Regens. Ja, das war schon der Graf. Aber um aller Heiligen willen
(Jakob war, wie sein Herr, Katholik), gnädigster Herr Graf! rief er bestürzt, als
dieser triefend und schlammbedeckt wirklich eintrat.

Schweig! Meinen Mantel her. So, nun spann augenblicklich ein, ich muß
mit dem nächsten Zuge fort — nach Berlin. Ist der Hegel hier.

Der ist hier, Herr Graf, ich will ihn sofort rufe».

Aber sei gescheit, Alter, daß du kein Aufsehen machst. Und eil dich! Eil
dich, sag' ich dir, du schläfriges Flußpferd!

Daida hüllte sich schaudernd in seinen Mantel und setzte sich auf ein Bündel
Stroh in dem dunkeln Stalle. Dort wartete er ungeduldig, den eilenden Kutscher
noch antreibend. Der wollte kaum Augen und Ohren trauen, wagte aber keine
Entgegnung. Nur mit stillem Kummer bedachte er, daß ein derartiger Ge-
wittersturm nicht zum besten im Jagdwagen auf offener Landstraße abzuwarten
sei. Dennoch spannte er mit dem herbeigeholten Hegel in möglichster Hast die
Pferde vor.

Nu, rappelts bei euch? schrie der Großknecht, der aus der Thür des Ge-
sindehauses schaute.

Was gehts denn euch an? Wir haben Nachrichten, und mein Herr muß
nach Berlin.

So dumm! brummte der Großkuecht und schlug die Thür zu.


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[0620] Aus der Chronik derer von Riffelshausen. Ausweg hatte, und doch war er nicht da. Sie sah nach dem Fenster; aber dies führte von beträchtlicher Höhe nach dem Wallgraben. Der jetzt mit Hagel vermischte Regen wühlte den Grund des Grabens auf, daß das Wasser in schmutzigen, dunkeln Wellen gegen die alte Steinwand stieß. Auf einmal be¬ merkte sie, daß das Fenster, welches sie sorgfältig geschlossen hatte, nur anlehnte; es schien mit Anstrengung von außen angezogen zu werden. Ihr schwindelte. Wenn er diesen Ausweg genommen hat, dachte sie, dann war es sein Tod! Mit leisem Stöhnen sank sie in die Kniee und lehnte den Kopf an die Wand. Der Hofmarschall, der einen Blick auf sie warf, bemerkte einen Gegenstand unter dem Fenster am Boden liegen. Es war ein feiner Herrenhandschuh. Neunzehntes Aapitel. Jakob, der Kutscher des Grafen Daida, stand leise fluchend in dem Stalle des Gutshofes, der durch einige Fensterlöcher unter der Decke sein spärliches Licht empfing. Sie sollten einmal einen neuen bauen, diese schäbigen Siebenhofer, brummte er und klopfte den großen Braunen auf den glänzenden Hals. Da vernahm er ein heftiges Pochen an der niedrigen Thür nach der Straßenseite — wie, war das nicht der Herr? — Mache auf, du Esel! tönte es durch das Rauschen des Regens. Ja, das war schon der Graf. Aber um aller Heiligen willen (Jakob war, wie sein Herr, Katholik), gnädigster Herr Graf! rief er bestürzt, als dieser triefend und schlammbedeckt wirklich eintrat. Schweig! Meinen Mantel her. So, nun spann augenblicklich ein, ich muß mit dem nächsten Zuge fort — nach Berlin. Ist der Hegel hier. Der ist hier, Herr Graf, ich will ihn sofort rufe». Aber sei gescheit, Alter, daß du kein Aufsehen machst. Und eil dich! Eil dich, sag' ich dir, du schläfriges Flußpferd! Daida hüllte sich schaudernd in seinen Mantel und setzte sich auf ein Bündel Stroh in dem dunkeln Stalle. Dort wartete er ungeduldig, den eilenden Kutscher noch antreibend. Der wollte kaum Augen und Ohren trauen, wagte aber keine Entgegnung. Nur mit stillem Kummer bedachte er, daß ein derartiger Ge- wittersturm nicht zum besten im Jagdwagen auf offener Landstraße abzuwarten sei. Dennoch spannte er mit dem herbeigeholten Hegel in möglichster Hast die Pferde vor. Nu, rappelts bei euch? schrie der Großknecht, der aus der Thür des Ge- sindehauses schaute. Was gehts denn euch an? Wir haben Nachrichten, und mein Herr muß nach Berlin. So dumm! brummte der Großkuecht und schlug die Thür zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/620>, abgerufen am 22.07.2024.