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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Zukunft des Zentrums.

es nicht ganz so schön steht, gesteht sich der Parteiführer wohl selbst. Er ist
wie die Kirche elastisch und sieht auch die mächtigen Hindernisse, die dem Siege
der Kirche über die ketzerischen Fürsten und Völker noch im Wege stehen, klar
ein. Die moderne Zeit ist leider, wie schon Ketteler bedauerte, nach Gottes Zu¬
lassung in die Irre geraten, große Länder wollen von der alleinigen Wahrheit
der römischen Kirche und ihrem Anspruch auf allgemeine höchste Souveränität
nichts mehr wissen. Aber wenn somit die Durchführung der Ketzerbekämpfuug
durch den Staat für jetzt nicht erreichbar ist, so kann doch durch Gottes Gnade
die Zeit wiederkommen, wo die Wasser des protestantischen modernen Unglaubens
wieder ablaufen. Dann treten die alten Ketzergcsetze wieder in Kraft. Und
diesen herrlichen Zustand endlich herbeizuführen, muß das stete Ziel der seel-
sorgerlichem Arbeit der Kurie sein. Ist es schwer zu erreichen, so ist es umso-
mehr geboten, daß die Maschinerie der politischen Wahlen, die bisher schon so
manches geleistet hat, daß die Organisation des Zentrums fortbestehe und in
kluger Zusammenwirkung mit allen Parteien, die sich zu diesem Zwecke benutzen
lassen, den Staat so leite, daß er nach und nach dem Papste alle Seelen unter¬
werfe, zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohl wie zum Wohl der Gesellschaft.
Dies ist ein völlig verständlicher Gesichtspunkt. Dieser Trieb wird jede Kirche,
die göttlich-unfehlbare Wahrheiten zu besitzen glaubt, zur Anwendung der wirk¬
samsten Mittel zwingen, um sich den Staat zu unterwerfen, in unsern Tagen
also auch zur Benutzung der parlamentarischen Künste.

Denn die Sache ist keineswegs spezifisch der römischen Kirche eigen. Unser
Kanzler hat von Anfang an gesehen, daß es sich bei diesem Kampfe um den
uralten Gegensatz handelt, der schon in dem Rencontre zwischen Samuel und
Saal hervortritt. Eine leichte Erwägung zeigt, daß zwei Elemente, die gewöhn¬
lich miteinander verbunden sind, dieselben Reibungen mit dem Staate nach sich
ziehen, welche die modernen kulturpolitischen Kämpfe charaktensiren, der Glaube
an eine göttliche Offenbarung, deren Annahme und Beobachtung das göttliche
Heil bedingt, und deren einzigen Depositäre wir, diese kirchliche Korporation,
eben sind, und ein einflußreicher, kirchlicher Stand, ein Klerus, der diese Offen¬
barung auslegt, handhabt und vertritt. Auf die bestimmte Natur des Glaubens
kommt es weniger an, wem? nur die nötige Intoleranz und die Energie einer
herrschenden Direktion vorhanden ist. Dann entsteht sofort das Streben, alle
profane Macht dieser religiösen Gemeinschaft dienstbar zu machen oder ihr doch
soviele "Freiheiten" als möglich abzuringen. Man nennt diese Motive "ideal,"
denn scheinbar handelt es sich um die Rettung der Seelen. Mit einem "Gott
will es!" tritt der große Haufe an Handlungen heran, die ganz ordinäre Zwecke
verfolgen. Das Mittelalter lebte fortwährend in solchen Kämpfen, kirchliche
Virchows hätten damals vom "heiligen Kultuskampf," dem umgekehrten Kultur¬
kampfe, sprechen können, wie er gegen die Albigenser geführt wurde, und sonst
wie oft!


Die Zukunft des Zentrums.

es nicht ganz so schön steht, gesteht sich der Parteiführer wohl selbst. Er ist
wie die Kirche elastisch und sieht auch die mächtigen Hindernisse, die dem Siege
der Kirche über die ketzerischen Fürsten und Völker noch im Wege stehen, klar
ein. Die moderne Zeit ist leider, wie schon Ketteler bedauerte, nach Gottes Zu¬
lassung in die Irre geraten, große Länder wollen von der alleinigen Wahrheit
der römischen Kirche und ihrem Anspruch auf allgemeine höchste Souveränität
nichts mehr wissen. Aber wenn somit die Durchführung der Ketzerbekämpfuug
durch den Staat für jetzt nicht erreichbar ist, so kann doch durch Gottes Gnade
die Zeit wiederkommen, wo die Wasser des protestantischen modernen Unglaubens
wieder ablaufen. Dann treten die alten Ketzergcsetze wieder in Kraft. Und
diesen herrlichen Zustand endlich herbeizuführen, muß das stete Ziel der seel-
sorgerlichem Arbeit der Kurie sein. Ist es schwer zu erreichen, so ist es umso-
mehr geboten, daß die Maschinerie der politischen Wahlen, die bisher schon so
manches geleistet hat, daß die Organisation des Zentrums fortbestehe und in
kluger Zusammenwirkung mit allen Parteien, die sich zu diesem Zwecke benutzen
lassen, den Staat so leite, daß er nach und nach dem Papste alle Seelen unter¬
werfe, zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohl wie zum Wohl der Gesellschaft.
Dies ist ein völlig verständlicher Gesichtspunkt. Dieser Trieb wird jede Kirche,
die göttlich-unfehlbare Wahrheiten zu besitzen glaubt, zur Anwendung der wirk¬
samsten Mittel zwingen, um sich den Staat zu unterwerfen, in unsern Tagen
also auch zur Benutzung der parlamentarischen Künste.

Denn die Sache ist keineswegs spezifisch der römischen Kirche eigen. Unser
Kanzler hat von Anfang an gesehen, daß es sich bei diesem Kampfe um den
uralten Gegensatz handelt, der schon in dem Rencontre zwischen Samuel und
Saal hervortritt. Eine leichte Erwägung zeigt, daß zwei Elemente, die gewöhn¬
lich miteinander verbunden sind, dieselben Reibungen mit dem Staate nach sich
ziehen, welche die modernen kulturpolitischen Kämpfe charaktensiren, der Glaube
an eine göttliche Offenbarung, deren Annahme und Beobachtung das göttliche
Heil bedingt, und deren einzigen Depositäre wir, diese kirchliche Korporation,
eben sind, und ein einflußreicher, kirchlicher Stand, ein Klerus, der diese Offen¬
barung auslegt, handhabt und vertritt. Auf die bestimmte Natur des Glaubens
kommt es weniger an, wem? nur die nötige Intoleranz und die Energie einer
herrschenden Direktion vorhanden ist. Dann entsteht sofort das Streben, alle
profane Macht dieser religiösen Gemeinschaft dienstbar zu machen oder ihr doch
soviele „Freiheiten" als möglich abzuringen. Man nennt diese Motive „ideal,"
denn scheinbar handelt es sich um die Rettung der Seelen. Mit einem „Gott
will es!" tritt der große Haufe an Handlungen heran, die ganz ordinäre Zwecke
verfolgen. Das Mittelalter lebte fortwährend in solchen Kämpfen, kirchliche
Virchows hätten damals vom „heiligen Kultuskampf," dem umgekehrten Kultur¬
kampfe, sprechen können, wie er gegen die Albigenser geführt wurde, und sonst
wie oft!


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[0062] Die Zukunft des Zentrums. es nicht ganz so schön steht, gesteht sich der Parteiführer wohl selbst. Er ist wie die Kirche elastisch und sieht auch die mächtigen Hindernisse, die dem Siege der Kirche über die ketzerischen Fürsten und Völker noch im Wege stehen, klar ein. Die moderne Zeit ist leider, wie schon Ketteler bedauerte, nach Gottes Zu¬ lassung in die Irre geraten, große Länder wollen von der alleinigen Wahrheit der römischen Kirche und ihrem Anspruch auf allgemeine höchste Souveränität nichts mehr wissen. Aber wenn somit die Durchführung der Ketzerbekämpfuug durch den Staat für jetzt nicht erreichbar ist, so kann doch durch Gottes Gnade die Zeit wiederkommen, wo die Wasser des protestantischen modernen Unglaubens wieder ablaufen. Dann treten die alten Ketzergcsetze wieder in Kraft. Und diesen herrlichen Zustand endlich herbeizuführen, muß das stete Ziel der seel- sorgerlichem Arbeit der Kurie sein. Ist es schwer zu erreichen, so ist es umso- mehr geboten, daß die Maschinerie der politischen Wahlen, die bisher schon so manches geleistet hat, daß die Organisation des Zentrums fortbestehe und in kluger Zusammenwirkung mit allen Parteien, die sich zu diesem Zwecke benutzen lassen, den Staat so leite, daß er nach und nach dem Papste alle Seelen unter¬ werfe, zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohl wie zum Wohl der Gesellschaft. Dies ist ein völlig verständlicher Gesichtspunkt. Dieser Trieb wird jede Kirche, die göttlich-unfehlbare Wahrheiten zu besitzen glaubt, zur Anwendung der wirk¬ samsten Mittel zwingen, um sich den Staat zu unterwerfen, in unsern Tagen also auch zur Benutzung der parlamentarischen Künste. Denn die Sache ist keineswegs spezifisch der römischen Kirche eigen. Unser Kanzler hat von Anfang an gesehen, daß es sich bei diesem Kampfe um den uralten Gegensatz handelt, der schon in dem Rencontre zwischen Samuel und Saal hervortritt. Eine leichte Erwägung zeigt, daß zwei Elemente, die gewöhn¬ lich miteinander verbunden sind, dieselben Reibungen mit dem Staate nach sich ziehen, welche die modernen kulturpolitischen Kämpfe charaktensiren, der Glaube an eine göttliche Offenbarung, deren Annahme und Beobachtung das göttliche Heil bedingt, und deren einzigen Depositäre wir, diese kirchliche Korporation, eben sind, und ein einflußreicher, kirchlicher Stand, ein Klerus, der diese Offen¬ barung auslegt, handhabt und vertritt. Auf die bestimmte Natur des Glaubens kommt es weniger an, wem? nur die nötige Intoleranz und die Energie einer herrschenden Direktion vorhanden ist. Dann entsteht sofort das Streben, alle profane Macht dieser religiösen Gemeinschaft dienstbar zu machen oder ihr doch soviele „Freiheiten" als möglich abzuringen. Man nennt diese Motive „ideal," denn scheinbar handelt es sich um die Rettung der Seelen. Mit einem „Gott will es!" tritt der große Haufe an Handlungen heran, die ganz ordinäre Zwecke verfolgen. Das Mittelalter lebte fortwährend in solchen Kämpfen, kirchliche Virchows hätten damals vom „heiligen Kultuskampf," dem umgekehrten Kultur¬ kampfe, sprechen können, wie er gegen die Albigenser geführt wurde, und sonst wie oft!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/62>, abgerufen am 22.07.2024.