Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Alexander von Roberts.

Fugen! Die Dichter aber, die sich doch die Lehrer der Menschheit nennen,
fanden es sehr bequem, ihre Phantasien in entlegnen, mumienhaft duftenden
Zeiten und in völlig unkontrolirbaren Dämmerkultcn spazieren zu führen. Das
stand ihnen äußerst gelehrt, und der große Haufe staunte -- ich versichere dir,
es ist viel schwieriger, das Labyrinth der Gegenwart mit festem Ange zu durch¬
dringen und seine unendlich wechselnden Gestaltungen im geläuterten Bilde zu
fassen," Man kann sich nach diesem Bekenntnis keinen größeren Gegensatz denken
als den, welchen die naturalistische Richtung, die im jüngsten Deutschland sich
geräuschvoll breit macht, zu Roberts' Novellistik bildet. Auch der Gegensatz zu
einem andern in den Grenzboten vor einiger Zeit charakterisirten neuen Autor
drängt sich auf, der zu Gustav Schwarzkopf, dem galligen Satiriker des modernen
Wiener Lebens.

In jener Novelle "Es," mit welcher Roberts zuerst erfolgreich in die
Literatur eintrat, hat er nach jeder Richtung, in Stoff und Form, den Ton
angeschlagen, der ihm der natürlichste zu sein scheint. Da wurde die Geschichte
eines jungen Paares erzählt, das in seiner durch den Willen der Eltern, mit
Rücksicht ans die beiderseitigen Vermögen geschlossenen Ehe ohne Liebe dahin¬
lebt, bis die gemeinsame Liebe zu einem angenommenen fremden Kinde sie auch
einander näher bringt; aus der kalten Vernunftehe entsteht endlich ein Liebes¬
verhältnis. Die Anmut, der diskrete Humor, die zarte Empfindung, mit welcher
diese Geschichte vorgetragen wird, haben mit Recht einstimmigen Beifall gefunden.
Und die gleichen Vorzüge bewährt Roberts in einer Reihe ähnlicher Geschichten,
die das Glück oder das heitere Unglück junger Ehe- oder Brautpaare mit Humor
schiloern. Der Cyklus "Aus der Chronik des Glücks" in demselben Bande
enthält die anmutigsten Szenen aus den Hvnigwochen eines solchen Paares:
ein schelmisches Weibchen, ein dienstfertiger Ehemann, der noch mit Überwindung
seiner Junggesellcugcwohnheiten zu kämpfen hat. Diese Skizzen halten den
Vergleich mit denen Salvatore Farinas in "Mein Sohn" füglich aus. "Frei¬
gesprochen" (in "Unmusikalisch und Anderes," Dresden, Minden, 1886) schildert
die drollige Eifersucht einer Braut auf die Klientin ihres Verlobten, eines
hoffnungsvollen Rechtscmwaltes. Sein juristischer Feuereifer für den interessanten
Fall der Verteidigung einer Ehebrecherin, die das junge Mädchen natürlich in
Heller Entrüstung verabscheut, erregt ihren Argwohn, ihren Zorn, bis sie von
ihrem Unrecht überzeugt wird. "Unmnsikalisch" führt in launiger Weise die
Leiden eines unmusikalischen Bräutigams vor, der aber durch einen glücklichen
Zufall im Verkehr mit einem genialen Musiker Sinn für das verhaßte Klavierspiel
und damit die Möglichkeit eiues ungetrübten Eheglücks gewinnt. Kurz: das
Glück des Familienlebens, das Glück der jungen Liebe liebt Roberts zu ver¬
herrlichen.

Schön vertieft erscheint dieses Streben in der besten seiner Novellen, in
der "Pensionärin" (Dresden, 1884). An einen kleinen Bankbeamten, der bei


Alexander von Roberts.

Fugen! Die Dichter aber, die sich doch die Lehrer der Menschheit nennen,
fanden es sehr bequem, ihre Phantasien in entlegnen, mumienhaft duftenden
Zeiten und in völlig unkontrolirbaren Dämmerkultcn spazieren zu führen. Das
stand ihnen äußerst gelehrt, und der große Haufe staunte — ich versichere dir,
es ist viel schwieriger, das Labyrinth der Gegenwart mit festem Ange zu durch¬
dringen und seine unendlich wechselnden Gestaltungen im geläuterten Bilde zu
fassen," Man kann sich nach diesem Bekenntnis keinen größeren Gegensatz denken
als den, welchen die naturalistische Richtung, die im jüngsten Deutschland sich
geräuschvoll breit macht, zu Roberts' Novellistik bildet. Auch der Gegensatz zu
einem andern in den Grenzboten vor einiger Zeit charakterisirten neuen Autor
drängt sich auf, der zu Gustav Schwarzkopf, dem galligen Satiriker des modernen
Wiener Lebens.

In jener Novelle „Es," mit welcher Roberts zuerst erfolgreich in die
Literatur eintrat, hat er nach jeder Richtung, in Stoff und Form, den Ton
angeschlagen, der ihm der natürlichste zu sein scheint. Da wurde die Geschichte
eines jungen Paares erzählt, das in seiner durch den Willen der Eltern, mit
Rücksicht ans die beiderseitigen Vermögen geschlossenen Ehe ohne Liebe dahin¬
lebt, bis die gemeinsame Liebe zu einem angenommenen fremden Kinde sie auch
einander näher bringt; aus der kalten Vernunftehe entsteht endlich ein Liebes¬
verhältnis. Die Anmut, der diskrete Humor, die zarte Empfindung, mit welcher
diese Geschichte vorgetragen wird, haben mit Recht einstimmigen Beifall gefunden.
Und die gleichen Vorzüge bewährt Roberts in einer Reihe ähnlicher Geschichten,
die das Glück oder das heitere Unglück junger Ehe- oder Brautpaare mit Humor
schiloern. Der Cyklus „Aus der Chronik des Glücks" in demselben Bande
enthält die anmutigsten Szenen aus den Hvnigwochen eines solchen Paares:
ein schelmisches Weibchen, ein dienstfertiger Ehemann, der noch mit Überwindung
seiner Junggesellcugcwohnheiten zu kämpfen hat. Diese Skizzen halten den
Vergleich mit denen Salvatore Farinas in „Mein Sohn" füglich aus. „Frei¬
gesprochen" (in „Unmusikalisch und Anderes," Dresden, Minden, 1886) schildert
die drollige Eifersucht einer Braut auf die Klientin ihres Verlobten, eines
hoffnungsvollen Rechtscmwaltes. Sein juristischer Feuereifer für den interessanten
Fall der Verteidigung einer Ehebrecherin, die das junge Mädchen natürlich in
Heller Entrüstung verabscheut, erregt ihren Argwohn, ihren Zorn, bis sie von
ihrem Unrecht überzeugt wird. „Unmnsikalisch" führt in launiger Weise die
Leiden eines unmusikalischen Bräutigams vor, der aber durch einen glücklichen
Zufall im Verkehr mit einem genialen Musiker Sinn für das verhaßte Klavierspiel
und damit die Möglichkeit eiues ungetrübten Eheglücks gewinnt. Kurz: das
Glück des Familienlebens, das Glück der jungen Liebe liebt Roberts zu ver¬
herrlichen.

Schön vertieft erscheint dieses Streben in der besten seiner Novellen, in
der „Pensionärin" (Dresden, 1884). An einen kleinen Bankbeamten, der bei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0612" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199332"/>
          <fw type="header" place="top"> Alexander von Roberts.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2095" prev="#ID_2094"> Fugen! Die Dichter aber, die sich doch die Lehrer der Menschheit nennen,<lb/>
fanden es sehr bequem, ihre Phantasien in entlegnen, mumienhaft duftenden<lb/>
Zeiten und in völlig unkontrolirbaren Dämmerkultcn spazieren zu führen. Das<lb/>
stand ihnen äußerst gelehrt, und der große Haufe staunte &#x2014; ich versichere dir,<lb/>
es ist viel schwieriger, das Labyrinth der Gegenwart mit festem Ange zu durch¬<lb/>
dringen und seine unendlich wechselnden Gestaltungen im geläuterten Bilde zu<lb/>
fassen," Man kann sich nach diesem Bekenntnis keinen größeren Gegensatz denken<lb/>
als den, welchen die naturalistische Richtung, die im jüngsten Deutschland sich<lb/>
geräuschvoll breit macht, zu Roberts' Novellistik bildet. Auch der Gegensatz zu<lb/>
einem andern in den Grenzboten vor einiger Zeit charakterisirten neuen Autor<lb/>
drängt sich auf, der zu Gustav Schwarzkopf, dem galligen Satiriker des modernen<lb/>
Wiener Lebens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2096"> In jener Novelle &#x201E;Es," mit welcher Roberts zuerst erfolgreich in die<lb/>
Literatur eintrat, hat er nach jeder Richtung, in Stoff und Form, den Ton<lb/>
angeschlagen, der ihm der natürlichste zu sein scheint. Da wurde die Geschichte<lb/>
eines jungen Paares erzählt, das in seiner durch den Willen der Eltern, mit<lb/>
Rücksicht ans die beiderseitigen Vermögen geschlossenen Ehe ohne Liebe dahin¬<lb/>
lebt, bis die gemeinsame Liebe zu einem angenommenen fremden Kinde sie auch<lb/>
einander näher bringt; aus der kalten Vernunftehe entsteht endlich ein Liebes¬<lb/>
verhältnis. Die Anmut, der diskrete Humor, die zarte Empfindung, mit welcher<lb/>
diese Geschichte vorgetragen wird, haben mit Recht einstimmigen Beifall gefunden.<lb/>
Und die gleichen Vorzüge bewährt Roberts in einer Reihe ähnlicher Geschichten,<lb/>
die das Glück oder das heitere Unglück junger Ehe- oder Brautpaare mit Humor<lb/>
schiloern. Der Cyklus &#x201E;Aus der Chronik des Glücks" in demselben Bande<lb/>
enthält die anmutigsten Szenen aus den Hvnigwochen eines solchen Paares:<lb/>
ein schelmisches Weibchen, ein dienstfertiger Ehemann, der noch mit Überwindung<lb/>
seiner Junggesellcugcwohnheiten zu kämpfen hat. Diese Skizzen halten den<lb/>
Vergleich mit denen Salvatore Farinas in &#x201E;Mein Sohn" füglich aus. &#x201E;Frei¬<lb/>
gesprochen" (in &#x201E;Unmusikalisch und Anderes," Dresden, Minden, 1886) schildert<lb/>
die drollige Eifersucht einer Braut auf die Klientin ihres Verlobten, eines<lb/>
hoffnungsvollen Rechtscmwaltes. Sein juristischer Feuereifer für den interessanten<lb/>
Fall der Verteidigung einer Ehebrecherin, die das junge Mädchen natürlich in<lb/>
Heller Entrüstung verabscheut, erregt ihren Argwohn, ihren Zorn, bis sie von<lb/>
ihrem Unrecht überzeugt wird. &#x201E;Unmnsikalisch" führt in launiger Weise die<lb/>
Leiden eines unmusikalischen Bräutigams vor, der aber durch einen glücklichen<lb/>
Zufall im Verkehr mit einem genialen Musiker Sinn für das verhaßte Klavierspiel<lb/>
und damit die Möglichkeit eiues ungetrübten Eheglücks gewinnt. Kurz: das<lb/>
Glück des Familienlebens, das Glück der jungen Liebe liebt Roberts zu ver¬<lb/>
herrlichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2097" next="#ID_2098"> Schön vertieft erscheint dieses Streben in der besten seiner Novellen, in<lb/>
der &#x201E;Pensionärin" (Dresden, 1884).  An einen kleinen Bankbeamten, der bei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0612] Alexander von Roberts. Fugen! Die Dichter aber, die sich doch die Lehrer der Menschheit nennen, fanden es sehr bequem, ihre Phantasien in entlegnen, mumienhaft duftenden Zeiten und in völlig unkontrolirbaren Dämmerkultcn spazieren zu führen. Das stand ihnen äußerst gelehrt, und der große Haufe staunte — ich versichere dir, es ist viel schwieriger, das Labyrinth der Gegenwart mit festem Ange zu durch¬ dringen und seine unendlich wechselnden Gestaltungen im geläuterten Bilde zu fassen," Man kann sich nach diesem Bekenntnis keinen größeren Gegensatz denken als den, welchen die naturalistische Richtung, die im jüngsten Deutschland sich geräuschvoll breit macht, zu Roberts' Novellistik bildet. Auch der Gegensatz zu einem andern in den Grenzboten vor einiger Zeit charakterisirten neuen Autor drängt sich auf, der zu Gustav Schwarzkopf, dem galligen Satiriker des modernen Wiener Lebens. In jener Novelle „Es," mit welcher Roberts zuerst erfolgreich in die Literatur eintrat, hat er nach jeder Richtung, in Stoff und Form, den Ton angeschlagen, der ihm der natürlichste zu sein scheint. Da wurde die Geschichte eines jungen Paares erzählt, das in seiner durch den Willen der Eltern, mit Rücksicht ans die beiderseitigen Vermögen geschlossenen Ehe ohne Liebe dahin¬ lebt, bis die gemeinsame Liebe zu einem angenommenen fremden Kinde sie auch einander näher bringt; aus der kalten Vernunftehe entsteht endlich ein Liebes¬ verhältnis. Die Anmut, der diskrete Humor, die zarte Empfindung, mit welcher diese Geschichte vorgetragen wird, haben mit Recht einstimmigen Beifall gefunden. Und die gleichen Vorzüge bewährt Roberts in einer Reihe ähnlicher Geschichten, die das Glück oder das heitere Unglück junger Ehe- oder Brautpaare mit Humor schiloern. Der Cyklus „Aus der Chronik des Glücks" in demselben Bande enthält die anmutigsten Szenen aus den Hvnigwochen eines solchen Paares: ein schelmisches Weibchen, ein dienstfertiger Ehemann, der noch mit Überwindung seiner Junggesellcugcwohnheiten zu kämpfen hat. Diese Skizzen halten den Vergleich mit denen Salvatore Farinas in „Mein Sohn" füglich aus. „Frei¬ gesprochen" (in „Unmusikalisch und Anderes," Dresden, Minden, 1886) schildert die drollige Eifersucht einer Braut auf die Klientin ihres Verlobten, eines hoffnungsvollen Rechtscmwaltes. Sein juristischer Feuereifer für den interessanten Fall der Verteidigung einer Ehebrecherin, die das junge Mädchen natürlich in Heller Entrüstung verabscheut, erregt ihren Argwohn, ihren Zorn, bis sie von ihrem Unrecht überzeugt wird. „Unmnsikalisch" führt in launiger Weise die Leiden eines unmusikalischen Bräutigams vor, der aber durch einen glücklichen Zufall im Verkehr mit einem genialen Musiker Sinn für das verhaßte Klavierspiel und damit die Möglichkeit eiues ungetrübten Eheglücks gewinnt. Kurz: das Glück des Familienlebens, das Glück der jungen Liebe liebt Roberts zu ver¬ herrlichen. Schön vertieft erscheint dieses Streben in der besten seiner Novellen, in der „Pensionärin" (Dresden, 1884). An einen kleinen Bankbeamten, der bei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/612
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/612>, abgerufen am 22.07.2024.