Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

unsrer Strafrechtspflege eintreten wird. Der jetzige Zustand, der nur als ein
Kompromißzustand bezeichnet werden kann und der in dem Gesetze jeder Ansicht
ein wenig Rechnung trügt, indem er Schwurgerichte, Schnellgerichte und Juristen¬
gerichte einführt, ist auf die Dauer unhaltbar. Die Gesetzgebung muß sich ent¬
scheiden für Juristcngerichte oder für Volksgerichte oder -- und das wird sie
voraussichtlich thun -- für die harmonische Vereinigung beider, für die Schöffen¬
gerichte. Immerhin möchte ich, wenn es überhaupt nötig sein sollte, warnen
vor allzugroßem Drängen nach Änderung der jetzigen Gesetzgebung. Noch sind
die Schöffengerichte nicht lange in Wirksamkeit, noch sind die heutigen Juristen
nicht gewohnt, mit ihnen zu arbeiten. Zur vollen Geltung werden sie erst
kommen, wenn eine jüngere Generation herangewachsen sein wird, die sie als
etwas Bestehendes selbstverständlich hinnimmt und ihnen ohne Mißtrauen ent¬
gegentritt. Dann erst wird die Frage der Ausdehnung der Schöffengerichte
auf die Gerichte aller Ordnungen zur Entscheidung reif sein, und dann erst
wird man mich in der Lage sein, ihnen auf Grund gemachter Erfahrungen die¬
jenige Gestaltung zu geben, die sie am besten zur Erfüllung ihrer Aufgabe ge¬
eignet machen.




Germanische Altertümer
aus den Bauerdörfern Nordungarns.
Von Rarl Rhamm.
I.. Durch slowakisches Land nach Deutsch - prab en.
(Schluß.)

on hier an, überhaupt in Nordungarn, ist der Reisende, wenn
er auf die Dörfer geht, auf Gnade und Barmherzigkeit den jü¬
dischen Wirten preisgegeben, die, wie mir scheint, das Gast¬
wirtsgewerbe nicht mit christlicher Fürsorge betreiben, sondern
dasselbe mehr als Aushängeschild benutzen, um mit Hilfe be¬
sonders des Schnapses auf den Bauernfang auszugehen. Man sitzt ohnehin
nur mit Verdruß in diesen Kneipen, da man das Gefühl nicht los werden kann,
daß dieser kurze, fette, verdrossen aussehende Bursche, der mit untergeschlagenen
Armen in der Stube spaziert, sich von dem Schweiße der armen Bauern mästet,
die sich bei der dürftigsten Nahrung, nur mit Hemd und Leinenhose bekleidet,
von früh bis spat auf ihren steilen und unfruchtbaren Feldern abmühen. Indes
der jüdische Wirt, den ich hier vor seinem Hause traf, wie er einige Münich-
wicser Bauern überwachte, die auf einem Tische einige Schafe für ihn schoren,


Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.

unsrer Strafrechtspflege eintreten wird. Der jetzige Zustand, der nur als ein
Kompromißzustand bezeichnet werden kann und der in dem Gesetze jeder Ansicht
ein wenig Rechnung trügt, indem er Schwurgerichte, Schnellgerichte und Juristen¬
gerichte einführt, ist auf die Dauer unhaltbar. Die Gesetzgebung muß sich ent¬
scheiden für Juristcngerichte oder für Volksgerichte oder — und das wird sie
voraussichtlich thun — für die harmonische Vereinigung beider, für die Schöffen¬
gerichte. Immerhin möchte ich, wenn es überhaupt nötig sein sollte, warnen
vor allzugroßem Drängen nach Änderung der jetzigen Gesetzgebung. Noch sind
die Schöffengerichte nicht lange in Wirksamkeit, noch sind die heutigen Juristen
nicht gewohnt, mit ihnen zu arbeiten. Zur vollen Geltung werden sie erst
kommen, wenn eine jüngere Generation herangewachsen sein wird, die sie als
etwas Bestehendes selbstverständlich hinnimmt und ihnen ohne Mißtrauen ent¬
gegentritt. Dann erst wird die Frage der Ausdehnung der Schöffengerichte
auf die Gerichte aller Ordnungen zur Entscheidung reif sein, und dann erst
wird man mich in der Lage sein, ihnen auf Grund gemachter Erfahrungen die¬
jenige Gestaltung zu geben, die sie am besten zur Erfüllung ihrer Aufgabe ge¬
eignet machen.




Germanische Altertümer
aus den Bauerdörfern Nordungarns.
Von Rarl Rhamm.
I.. Durch slowakisches Land nach Deutsch - prab en.
(Schluß.)

on hier an, überhaupt in Nordungarn, ist der Reisende, wenn
er auf die Dörfer geht, auf Gnade und Barmherzigkeit den jü¬
dischen Wirten preisgegeben, die, wie mir scheint, das Gast¬
wirtsgewerbe nicht mit christlicher Fürsorge betreiben, sondern
dasselbe mehr als Aushängeschild benutzen, um mit Hilfe be¬
sonders des Schnapses auf den Bauernfang auszugehen. Man sitzt ohnehin
nur mit Verdruß in diesen Kneipen, da man das Gefühl nicht los werden kann,
daß dieser kurze, fette, verdrossen aussehende Bursche, der mit untergeschlagenen
Armen in der Stube spaziert, sich von dem Schweiße der armen Bauern mästet,
die sich bei der dürftigsten Nahrung, nur mit Hemd und Leinenhose bekleidet,
von früh bis spat auf ihren steilen und unfruchtbaren Feldern abmühen. Indes
der jüdische Wirt, den ich hier vor seinem Hause traf, wie er einige Münich-
wicser Bauern überwachte, die auf einem Tische einige Schafe für ihn schoren,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0600" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199320"/>
          <fw type="header" place="top"> Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2064" prev="#ID_2063"> unsrer Strafrechtspflege eintreten wird. Der jetzige Zustand, der nur als ein<lb/>
Kompromißzustand bezeichnet werden kann und der in dem Gesetze jeder Ansicht<lb/>
ein wenig Rechnung trügt, indem er Schwurgerichte, Schnellgerichte und Juristen¬<lb/>
gerichte einführt, ist auf die Dauer unhaltbar. Die Gesetzgebung muß sich ent¬<lb/>
scheiden für Juristcngerichte oder für Volksgerichte oder &#x2014; und das wird sie<lb/>
voraussichtlich thun &#x2014; für die harmonische Vereinigung beider, für die Schöffen¬<lb/>
gerichte. Immerhin möchte ich, wenn es überhaupt nötig sein sollte, warnen<lb/>
vor allzugroßem Drängen nach Änderung der jetzigen Gesetzgebung. Noch sind<lb/>
die Schöffengerichte nicht lange in Wirksamkeit, noch sind die heutigen Juristen<lb/>
nicht gewohnt, mit ihnen zu arbeiten. Zur vollen Geltung werden sie erst<lb/>
kommen, wenn eine jüngere Generation herangewachsen sein wird, die sie als<lb/>
etwas Bestehendes selbstverständlich hinnimmt und ihnen ohne Mißtrauen ent¬<lb/>
gegentritt. Dann erst wird die Frage der Ausdehnung der Schöffengerichte<lb/>
auf die Gerichte aller Ordnungen zur Entscheidung reif sein, und dann erst<lb/>
wird man mich in der Lage sein, ihnen auf Grund gemachter Erfahrungen die¬<lb/>
jenige Gestaltung zu geben, die sie am besten zur Erfüllung ihrer Aufgabe ge¬<lb/>
eignet machen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Germanische Altertümer<lb/>
aus den Bauerdörfern Nordungarns.<lb/><note type="byline"> Von Rarl Rhamm.</note><lb/>
I.. Durch slowakisches Land nach Deutsch - prab en.<lb/>
(Schluß.)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2065" next="#ID_2066"> on hier an, überhaupt in Nordungarn, ist der Reisende, wenn<lb/>
er auf die Dörfer geht, auf Gnade und Barmherzigkeit den jü¬<lb/>
dischen Wirten preisgegeben, die, wie mir scheint, das Gast¬<lb/>
wirtsgewerbe nicht mit christlicher Fürsorge betreiben, sondern<lb/>
dasselbe mehr als Aushängeschild benutzen, um mit Hilfe be¬<lb/>
sonders des Schnapses auf den Bauernfang auszugehen. Man sitzt ohnehin<lb/>
nur mit Verdruß in diesen Kneipen, da man das Gefühl nicht los werden kann,<lb/>
daß dieser kurze, fette, verdrossen aussehende Bursche, der mit untergeschlagenen<lb/>
Armen in der Stube spaziert, sich von dem Schweiße der armen Bauern mästet,<lb/>
die sich bei der dürftigsten Nahrung, nur mit Hemd und Leinenhose bekleidet,<lb/>
von früh bis spat auf ihren steilen und unfruchtbaren Feldern abmühen. Indes<lb/>
der jüdische Wirt, den ich hier vor seinem Hause traf, wie er einige Münich-<lb/>
wicser Bauern überwachte, die auf einem Tische einige Schafe für ihn schoren,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0600] Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns. unsrer Strafrechtspflege eintreten wird. Der jetzige Zustand, der nur als ein Kompromißzustand bezeichnet werden kann und der in dem Gesetze jeder Ansicht ein wenig Rechnung trügt, indem er Schwurgerichte, Schnellgerichte und Juristen¬ gerichte einführt, ist auf die Dauer unhaltbar. Die Gesetzgebung muß sich ent¬ scheiden für Juristcngerichte oder für Volksgerichte oder — und das wird sie voraussichtlich thun — für die harmonische Vereinigung beider, für die Schöffen¬ gerichte. Immerhin möchte ich, wenn es überhaupt nötig sein sollte, warnen vor allzugroßem Drängen nach Änderung der jetzigen Gesetzgebung. Noch sind die Schöffengerichte nicht lange in Wirksamkeit, noch sind die heutigen Juristen nicht gewohnt, mit ihnen zu arbeiten. Zur vollen Geltung werden sie erst kommen, wenn eine jüngere Generation herangewachsen sein wird, die sie als etwas Bestehendes selbstverständlich hinnimmt und ihnen ohne Mißtrauen ent¬ gegentritt. Dann erst wird die Frage der Ausdehnung der Schöffengerichte auf die Gerichte aller Ordnungen zur Entscheidung reif sein, und dann erst wird man mich in der Lage sein, ihnen auf Grund gemachter Erfahrungen die¬ jenige Gestaltung zu geben, die sie am besten zur Erfüllung ihrer Aufgabe ge¬ eignet machen. Germanische Altertümer aus den Bauerdörfern Nordungarns. Von Rarl Rhamm. I.. Durch slowakisches Land nach Deutsch - prab en. (Schluß.) on hier an, überhaupt in Nordungarn, ist der Reisende, wenn er auf die Dörfer geht, auf Gnade und Barmherzigkeit den jü¬ dischen Wirten preisgegeben, die, wie mir scheint, das Gast¬ wirtsgewerbe nicht mit christlicher Fürsorge betreiben, sondern dasselbe mehr als Aushängeschild benutzen, um mit Hilfe be¬ sonders des Schnapses auf den Bauernfang auszugehen. Man sitzt ohnehin nur mit Verdruß in diesen Kneipen, da man das Gefühl nicht los werden kann, daß dieser kurze, fette, verdrossen aussehende Bursche, der mit untergeschlagenen Armen in der Stube spaziert, sich von dem Schweiße der armen Bauern mästet, die sich bei der dürftigsten Nahrung, nur mit Hemd und Leinenhose bekleidet, von früh bis spat auf ihren steilen und unfruchtbaren Feldern abmühen. Indes der jüdische Wirt, den ich hier vor seinem Hause traf, wie er einige Münich- wicser Bauern überwachte, die auf einem Tische einige Schafe für ihn schoren,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/600
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/600>, abgerufen am 03.07.2024.