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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schwur- und Schöffengerichte.

Wie? bei der Fragestellung sind in der Theorie immer noch bestritten, wenn
auch die Gesetzgebung sich bemüht hat, für die Abgrenzung des Urteilsgeschäftes
feste Formen zu finden. Die Feststellung der Thatsachen, die Beantwortung der
Thatfrage, hat man gemeint, sei Sache der Laien, dagegen die Bestimmung der
rechtliche" Bedeutung dieser Thatsachen, die Lösung der Rechtsfrage, sei die
Aufgabe des Juristen. Da man bei der Durchführung dieses Teilungsprinzips
auf Schwierigkeiten stieß, so kam man darauf, den Urtcilsstoff in die Schuld-
und Straffrage abzugrenzen, die Geschwornen sollten die Schuld, die rechts¬
gelehrten Richter die Strafe bestimmen. Derartige Formeln treffen nur in der
Hauptsache zu. Sie reichen nicht aus, zur Grundlage der Entscheidung sür die
einzelnen Fälle zu dienen. Um sich klar zu werden, welche Thätigkeit die Urteils-
findung von den Urteilern verlangt, muß mau sie in ihre einzelnen Bestandteile
zerlegen.

Jedes Strafurteil enthält: 1. eine Feststellung darüber, ob der zum
Gegenstande der Verhandlung gemachte verletzende Erfolg eingetreten ist oder
nicht (im Juristendeutsch die Feststellung des objektive" Thatbestandes). Sodann
ist 2. im Urteil festzustellen die Thäterschaft, d. h. daß der Angeklagte es war,
der den Erfolg durch seine Thätigkeit verursacht habe; 3. die Zurechenbarteit
der That oder die Schuld des Angeklagten, d. h. es muß festgestellt werden,
daß das Ereignis von dem Angeklagten vorsätzlich oder fahrlässtgerweise herbei¬
geführt wurde. (Die Thätigkeit unter 2 und 3 nennt der deutsche Jurist auch
Feststellung des subjektiven Thatbestandes.) 4. Das Urteil hat festzustellen
die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Dieselbe ist gewöhnlich mit der Zurechen-
barkeit entschieden. Es ist indessen möglich, daß besondre Umstünde -- Straf-
ausschließungsgründe -- die gewollte Verletzung als straflos erscheinen lassen,
Umstände, die den Thäter zur Verletzung der Rechtsnorm berechtigen oder
sogar verpflichten, z. B. Notwehr, Notstand. 5. Steht der Thatbestand in
objektiver und subjektiver Beziehung fest und liegt auch kein Strufausschließungs-
grund vor, dann ist die sogenannte juristische Qualifikation vorzunehmen, d. h.
es ist zu bestimmen, welches gesetzliche Gebot oder Verbot durch die vorgeworfene
That übertreten wurde, ob Mord, Totschlag, Diebstahl oder Raub u. s. w.
Sodann ist 6. die Strafe zu bestimmen, sowohl der Art, als auch, wenn nicht
eine sogenannte absolute Strafe in Frage kommt, dem Maße nach. Ist endlich
7. ein Strafaushebungsgrund geltend gemacht worden, z. B. Verjährung,
Mangel des Antrags, so ist auch hierüber eine Feststellung nötig.

Es ist klar und wird auch dem Nichtjuristen einleuchten, daß eine derartige
Trennung in einzelne Teile das Geschäft der Urteilsfindung nicht einfacher
gestaltet. Und trotzdem ist sie dnrch die Gesetzgebung, soweit die vor die
Schwurgerichte gehörigen Strafthaten in Betracht kommen, eingeführt. Man
hat die Feststellung der unter 1 bis 4 aufgeführten Umstände den Laien, die
rechtliche Qualifikation der festgestellten That, die Strafzumessung n. s. w. den


Schwur- und Schöffengerichte.

Wie? bei der Fragestellung sind in der Theorie immer noch bestritten, wenn
auch die Gesetzgebung sich bemüht hat, für die Abgrenzung des Urteilsgeschäftes
feste Formen zu finden. Die Feststellung der Thatsachen, die Beantwortung der
Thatfrage, hat man gemeint, sei Sache der Laien, dagegen die Bestimmung der
rechtliche» Bedeutung dieser Thatsachen, die Lösung der Rechtsfrage, sei die
Aufgabe des Juristen. Da man bei der Durchführung dieses Teilungsprinzips
auf Schwierigkeiten stieß, so kam man darauf, den Urtcilsstoff in die Schuld-
und Straffrage abzugrenzen, die Geschwornen sollten die Schuld, die rechts¬
gelehrten Richter die Strafe bestimmen. Derartige Formeln treffen nur in der
Hauptsache zu. Sie reichen nicht aus, zur Grundlage der Entscheidung sür die
einzelnen Fälle zu dienen. Um sich klar zu werden, welche Thätigkeit die Urteils-
findung von den Urteilern verlangt, muß mau sie in ihre einzelnen Bestandteile
zerlegen.

Jedes Strafurteil enthält: 1. eine Feststellung darüber, ob der zum
Gegenstande der Verhandlung gemachte verletzende Erfolg eingetreten ist oder
nicht (im Juristendeutsch die Feststellung des objektive» Thatbestandes). Sodann
ist 2. im Urteil festzustellen die Thäterschaft, d. h. daß der Angeklagte es war,
der den Erfolg durch seine Thätigkeit verursacht habe; 3. die Zurechenbarteit
der That oder die Schuld des Angeklagten, d. h. es muß festgestellt werden,
daß das Ereignis von dem Angeklagten vorsätzlich oder fahrlässtgerweise herbei¬
geführt wurde. (Die Thätigkeit unter 2 und 3 nennt der deutsche Jurist auch
Feststellung des subjektiven Thatbestandes.) 4. Das Urteil hat festzustellen
die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Dieselbe ist gewöhnlich mit der Zurechen-
barkeit entschieden. Es ist indessen möglich, daß besondre Umstünde — Straf-
ausschließungsgründe — die gewollte Verletzung als straflos erscheinen lassen,
Umstände, die den Thäter zur Verletzung der Rechtsnorm berechtigen oder
sogar verpflichten, z. B. Notwehr, Notstand. 5. Steht der Thatbestand in
objektiver und subjektiver Beziehung fest und liegt auch kein Strufausschließungs-
grund vor, dann ist die sogenannte juristische Qualifikation vorzunehmen, d. h.
es ist zu bestimmen, welches gesetzliche Gebot oder Verbot durch die vorgeworfene
That übertreten wurde, ob Mord, Totschlag, Diebstahl oder Raub u. s. w.
Sodann ist 6. die Strafe zu bestimmen, sowohl der Art, als auch, wenn nicht
eine sogenannte absolute Strafe in Frage kommt, dem Maße nach. Ist endlich
7. ein Strafaushebungsgrund geltend gemacht worden, z. B. Verjährung,
Mangel des Antrags, so ist auch hierüber eine Feststellung nötig.

Es ist klar und wird auch dem Nichtjuristen einleuchten, daß eine derartige
Trennung in einzelne Teile das Geschäft der Urteilsfindung nicht einfacher
gestaltet. Und trotzdem ist sie dnrch die Gesetzgebung, soweit die vor die
Schwurgerichte gehörigen Strafthaten in Betracht kommen, eingeführt. Man
hat die Feststellung der unter 1 bis 4 aufgeführten Umstände den Laien, die
rechtliche Qualifikation der festgestellten That, die Strafzumessung n. s. w. den


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[0596] Schwur- und Schöffengerichte. Wie? bei der Fragestellung sind in der Theorie immer noch bestritten, wenn auch die Gesetzgebung sich bemüht hat, für die Abgrenzung des Urteilsgeschäftes feste Formen zu finden. Die Feststellung der Thatsachen, die Beantwortung der Thatfrage, hat man gemeint, sei Sache der Laien, dagegen die Bestimmung der rechtliche» Bedeutung dieser Thatsachen, die Lösung der Rechtsfrage, sei die Aufgabe des Juristen. Da man bei der Durchführung dieses Teilungsprinzips auf Schwierigkeiten stieß, so kam man darauf, den Urtcilsstoff in die Schuld- und Straffrage abzugrenzen, die Geschwornen sollten die Schuld, die rechts¬ gelehrten Richter die Strafe bestimmen. Derartige Formeln treffen nur in der Hauptsache zu. Sie reichen nicht aus, zur Grundlage der Entscheidung sür die einzelnen Fälle zu dienen. Um sich klar zu werden, welche Thätigkeit die Urteils- findung von den Urteilern verlangt, muß mau sie in ihre einzelnen Bestandteile zerlegen. Jedes Strafurteil enthält: 1. eine Feststellung darüber, ob der zum Gegenstande der Verhandlung gemachte verletzende Erfolg eingetreten ist oder nicht (im Juristendeutsch die Feststellung des objektive» Thatbestandes). Sodann ist 2. im Urteil festzustellen die Thäterschaft, d. h. daß der Angeklagte es war, der den Erfolg durch seine Thätigkeit verursacht habe; 3. die Zurechenbarteit der That oder die Schuld des Angeklagten, d. h. es muß festgestellt werden, daß das Ereignis von dem Angeklagten vorsätzlich oder fahrlässtgerweise herbei¬ geführt wurde. (Die Thätigkeit unter 2 und 3 nennt der deutsche Jurist auch Feststellung des subjektiven Thatbestandes.) 4. Das Urteil hat festzustellen die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Dieselbe ist gewöhnlich mit der Zurechen- barkeit entschieden. Es ist indessen möglich, daß besondre Umstünde — Straf- ausschließungsgründe — die gewollte Verletzung als straflos erscheinen lassen, Umstände, die den Thäter zur Verletzung der Rechtsnorm berechtigen oder sogar verpflichten, z. B. Notwehr, Notstand. 5. Steht der Thatbestand in objektiver und subjektiver Beziehung fest und liegt auch kein Strufausschließungs- grund vor, dann ist die sogenannte juristische Qualifikation vorzunehmen, d. h. es ist zu bestimmen, welches gesetzliche Gebot oder Verbot durch die vorgeworfene That übertreten wurde, ob Mord, Totschlag, Diebstahl oder Raub u. s. w. Sodann ist 6. die Strafe zu bestimmen, sowohl der Art, als auch, wenn nicht eine sogenannte absolute Strafe in Frage kommt, dem Maße nach. Ist endlich 7. ein Strafaushebungsgrund geltend gemacht worden, z. B. Verjährung, Mangel des Antrags, so ist auch hierüber eine Feststellung nötig. Es ist klar und wird auch dem Nichtjuristen einleuchten, daß eine derartige Trennung in einzelne Teile das Geschäft der Urteilsfindung nicht einfacher gestaltet. Und trotzdem ist sie dnrch die Gesetzgebung, soweit die vor die Schwurgerichte gehörigen Strafthaten in Betracht kommen, eingeführt. Man hat die Feststellung der unter 1 bis 4 aufgeführten Umstände den Laien, die rechtliche Qualifikation der festgestellten That, die Strafzumessung n. s. w. den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/596>, abgerufen am 22.07.2024.