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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Zukunft dos Jeutrums.

Um dieser gemeinsamen edeln Sache willen vergaßen sie, daß das Zentrum
den sogenannten "Blutzoll" und die vielen andern Zölle mit durchgesetzt hatte.

Man kann sich denken, wie gern Salisbury, als er von der Berliner
Orientkonferenz nach England zurückkehrte, seinen Zuhörern von der Zerrissenheit
der deutschen Politik, von dem Streite der zehn bis zwölf Parteien Deutsch¬
lands und der Sonderbarkeit eines ultramontanen Zentrums, das in einem
überwiegend protestantischen Lande so vieles durchsetze, die selbsterlcbtcn Einzel¬
heiten vortrug. Die innere Politik wie die äußere scheint ja in einem so von
Pnrteiwut zerrissenen Volke nicht gedeihen zu können. Wirklich versuchte John
Bull eine Zeit laug, in der Kolonialangelegenheit uns in der alten Weise zu
behandeln; und wäre das Gebiet unsrer auswärtigen Angelegenheiten auch ver¬
fassungsmüßig parlamentarisch organisirt, so würde die Annahme der englischen
Presse von unsrer Indolenz und Bedeutungslosigkeit sich bewährt haben. So
aber gilt der Name und die Energie des Reichskanzlers in diesen Dingen immer
noch mehr, als die Oppositionsparteien wünschenswert finden.

Wie der Reichskanzler über die Möglichkeit oder vielmehr über die Un¬
möglichkeit dachte, mit den Grundsätzen des Zentrums das Reich zu leiten, war
seit langer Zeit bekannt. Am deutlichsten hat er sich vielleicht im November 188ö
bei Gelegenheit der jesuitischen französischen Missiouspriester für die Kamerun¬
mission darüber ausgesprochen, sodann in der Motivirung der Absicht, die ent¬
scheidenden Milderungen der Maigesetze lieber direkt mit dem Papste zu ver¬
suchen, als mit dein Zentrum. Kurz, diese Stellung war seit langem bekannt.

Es fehlte aber nicht an Stimmen, die noch immer den Gedankengang
wiederholten: Wenn die Maigesetzgebuug einmal dnrch gehörige Revisionen den
Stachel verloren habe, wenn damit der lebhafte Kampf aufhöre, so werde das
Zentrum sich in seine Elemente auflösen; die einen würden sich den konservativen
Parteien anschließen, die andern den liberalen, je nach ihren politischen Über¬
zeugungen. Die Abnormität einer kirchlich-konfessionellen Partei milde" in der
Politik werde jedenfalls verschwinden, wenn die religiösen Bedürfnisse des Volkes
vom Staate nicht mehr in Frage gestellt würden. Damit verband sich die
andre Meinung, daß das Zentrum, um die Partei mir zusammenzuhalten, ein
Interesse habe, neue Kämpfe und Kampfvbjekte zu ermitteln. Beide zusammen¬
gehörige Meinungen wurden zwar oft von Kennern der Verhältnisse bekämpft,
aber es blieb noch ein Zweifel übrig. Jetzt kann man wieder sagen in dieser
Sache: lioiri^ loouw We,, Das gut katholische Blatt, der OsssrvÄtors NomNio,
ist der Frage, wie die "Germania" freudig berichtet, näher getreten und be¬
spricht die Zukunft des Zentrums. Nachdem das römische Blatt zunächst die
schon vom Uonitear as Konre hervorgehobene Thatsache verzeichnet hat, daß
das Zentrum neben der kirchenpolitischen Streitfrage noch auf sozialem Gebiete
eine große Aufgabe zu erfüllen habe, betont es, an die Eneyklika des heiligen Vaters
über die soziale Frage anknüpfend, daß die katholische Kirche einen mächtigen


Die Zukunft dos Jeutrums.

Um dieser gemeinsamen edeln Sache willen vergaßen sie, daß das Zentrum
den sogenannten „Blutzoll" und die vielen andern Zölle mit durchgesetzt hatte.

Man kann sich denken, wie gern Salisbury, als er von der Berliner
Orientkonferenz nach England zurückkehrte, seinen Zuhörern von der Zerrissenheit
der deutschen Politik, von dem Streite der zehn bis zwölf Parteien Deutsch¬
lands und der Sonderbarkeit eines ultramontanen Zentrums, das in einem
überwiegend protestantischen Lande so vieles durchsetze, die selbsterlcbtcn Einzel¬
heiten vortrug. Die innere Politik wie die äußere scheint ja in einem so von
Pnrteiwut zerrissenen Volke nicht gedeihen zu können. Wirklich versuchte John
Bull eine Zeit laug, in der Kolonialangelegenheit uns in der alten Weise zu
behandeln; und wäre das Gebiet unsrer auswärtigen Angelegenheiten auch ver¬
fassungsmüßig parlamentarisch organisirt, so würde die Annahme der englischen
Presse von unsrer Indolenz und Bedeutungslosigkeit sich bewährt haben. So
aber gilt der Name und die Energie des Reichskanzlers in diesen Dingen immer
noch mehr, als die Oppositionsparteien wünschenswert finden.

Wie der Reichskanzler über die Möglichkeit oder vielmehr über die Un¬
möglichkeit dachte, mit den Grundsätzen des Zentrums das Reich zu leiten, war
seit langer Zeit bekannt. Am deutlichsten hat er sich vielleicht im November 188ö
bei Gelegenheit der jesuitischen französischen Missiouspriester für die Kamerun¬
mission darüber ausgesprochen, sodann in der Motivirung der Absicht, die ent¬
scheidenden Milderungen der Maigesetze lieber direkt mit dem Papste zu ver¬
suchen, als mit dein Zentrum. Kurz, diese Stellung war seit langem bekannt.

Es fehlte aber nicht an Stimmen, die noch immer den Gedankengang
wiederholten: Wenn die Maigesetzgebuug einmal dnrch gehörige Revisionen den
Stachel verloren habe, wenn damit der lebhafte Kampf aufhöre, so werde das
Zentrum sich in seine Elemente auflösen; die einen würden sich den konservativen
Parteien anschließen, die andern den liberalen, je nach ihren politischen Über¬
zeugungen. Die Abnormität einer kirchlich-konfessionellen Partei milde» in der
Politik werde jedenfalls verschwinden, wenn die religiösen Bedürfnisse des Volkes
vom Staate nicht mehr in Frage gestellt würden. Damit verband sich die
andre Meinung, daß das Zentrum, um die Partei mir zusammenzuhalten, ein
Interesse habe, neue Kämpfe und Kampfvbjekte zu ermitteln. Beide zusammen¬
gehörige Meinungen wurden zwar oft von Kennern der Verhältnisse bekämpft,
aber es blieb noch ein Zweifel übrig. Jetzt kann man wieder sagen in dieser
Sache: lioiri^ loouw We,, Das gut katholische Blatt, der OsssrvÄtors NomNio,
ist der Frage, wie die „Germania" freudig berichtet, näher getreten und be¬
spricht die Zukunft des Zentrums. Nachdem das römische Blatt zunächst die
schon vom Uonitear as Konre hervorgehobene Thatsache verzeichnet hat, daß
das Zentrum neben der kirchenpolitischen Streitfrage noch auf sozialem Gebiete
eine große Aufgabe zu erfüllen habe, betont es, an die Eneyklika des heiligen Vaters
über die soziale Frage anknüpfend, daß die katholische Kirche einen mächtigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/58>, abgerufen am 03.07.2024.