Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Porträt, Genre und Landschaft auf der Berliner Jubiläums-Runstausstellung.

vorausgehen. Während Abbe in Paris noch Schüler Mnnkaesys war, ver¬
schaffte sich dort die Lu-x1vin-g.ir- oder Hellmalerei immer mehr Anhänger,
znmcil da selbst die Besonnensten sich dem Kerne von Wahrheit nicht verschließe"
konnten, welcher sich allmählich mit sieghafter Gewalt aus dem Nebel unklarer
Vorstellungen herauslöste. Abtes Augen wurden dadurch für das Licht ge¬
öffnet, und als er eine Studienreise nach Holland unternahm, fand er dort in
der Natur die Bestätigung dessen, was die französischen Hellmalcr anstrebten.
Die im Pariser Salon von 1883 ausgestellte "Ankunft des Leiermannes", ein
Motiv aus dem holländischen Seebade Zandvoort, sowie die bald darauf ent¬
standene "Übung baierischer Trommler" sind die ersten deutschen Schöpfungen
auf dem Gebiete der Hellmalerci. Für Abbe waren dieselben jedoch nur Stufen
zu einem höhern Ziele. Er strebte nach einer Reform der religiösen Malerei,
welche wir bereits in einem andern Zusammenhange an dieser Stelle gewürdigt
haben. Seine koloristische Richtung auch hier festhaltend, hat er auch ferner
auf die Münchener Genremalerei eingewirkt, und wir sind gewiß zu der An¬
nahme berechtigt, daß Abtes "Christus und die Kindlein" zu den Faktoren
gehört hat, welchen wir ein so tüchtiges und gediegenes Werk wie die "Sonn¬
tagsschule" von Walter Firle verdanken. Ein geborner Breslauer, hat sich
dieser erst siebenundzwanzigjährige Künstler zuerst in der Schule von Löfftz in
München und dann auf Studienreisen nach Venedig und Holland gebildet, dort
wie hier die eigentümlichen Luft- und Lichtverhältnisfe studirend, welche die beste
Vorschule für die neue, gesunde Art zu sehen bilden. Der Lehrer, welcher
in dem schmucklosen, nur mit einem Christusbilde versehenen Raume seinem
andächtig auf strohbcflochtenen Holzstnhlen lauschenden Auditorium von Knaben
und Mädchen das Evangelium vorliest, selbst in tiefe Andacht versunken, ist
nach der streng protestantischen Lehre gewissermaßen das substitue desselben
Christus, der die Kinder zu sich kommen läßt. Wenn das Wort Christi laut
wird, ist es, als ob Christus selber mitten unter uns wäre, und die Überzeugung
von der Wahrheit dieses Glaubens spricht sich auch in den Nngesichtern der
Kinder aus, welche mit inbrünstiger^Aufmerksamkeit dem Vortrage des Lehrers
lauschen. Ein neueres Bild kaun kaum ein besseres Lob erringen, als wen"
es uns zwingt, zunächst von seinem geistigen Inhalte zu spreche". Der erste
Blick des Beschauers gilt so sehr der Darstellung an sich, der feinen, auf ein¬
dringlichen Studien beruhenden Charakteristik der Kinder, daß selbst der Laie
an der befremdlichen Technik, an der trotz des grauen Morgenlichtes ungewöhn¬
lichen Helligkeit keinen Anstoß nimmt. Daß diese Auffassung der Natur
ungleich mehr der Wirklichkeit entspricht, als die dunkle, massige, nur auf
Wirkung, nicht auf Wahrheit berechnete Tonart der bisher in Deutsch
land üblich gewesenen und noch in großer Machtfülle herrschenden Genre-
Malerei, ist dem Laien heute noch eine überraschende, mehr abstoßende als an¬
ziehende Erscheinung, an welche sich unser Publikum nur schwer gewöhne"


Grenzboten HI. 1886. 71
Porträt, Genre und Landschaft auf der Berliner Jubiläums-Runstausstellung.

vorausgehen. Während Abbe in Paris noch Schüler Mnnkaesys war, ver¬
schaffte sich dort die Lu-x1vin-g.ir- oder Hellmalerei immer mehr Anhänger,
znmcil da selbst die Besonnensten sich dem Kerne von Wahrheit nicht verschließe»
konnten, welcher sich allmählich mit sieghafter Gewalt aus dem Nebel unklarer
Vorstellungen herauslöste. Abtes Augen wurden dadurch für das Licht ge¬
öffnet, und als er eine Studienreise nach Holland unternahm, fand er dort in
der Natur die Bestätigung dessen, was die französischen Hellmalcr anstrebten.
Die im Pariser Salon von 1883 ausgestellte „Ankunft des Leiermannes", ein
Motiv aus dem holländischen Seebade Zandvoort, sowie die bald darauf ent¬
standene „Übung baierischer Trommler" sind die ersten deutschen Schöpfungen
auf dem Gebiete der Hellmalerci. Für Abbe waren dieselben jedoch nur Stufen
zu einem höhern Ziele. Er strebte nach einer Reform der religiösen Malerei,
welche wir bereits in einem andern Zusammenhange an dieser Stelle gewürdigt
haben. Seine koloristische Richtung auch hier festhaltend, hat er auch ferner
auf die Münchener Genremalerei eingewirkt, und wir sind gewiß zu der An¬
nahme berechtigt, daß Abtes „Christus und die Kindlein" zu den Faktoren
gehört hat, welchen wir ein so tüchtiges und gediegenes Werk wie die „Sonn¬
tagsschule" von Walter Firle verdanken. Ein geborner Breslauer, hat sich
dieser erst siebenundzwanzigjährige Künstler zuerst in der Schule von Löfftz in
München und dann auf Studienreisen nach Venedig und Holland gebildet, dort
wie hier die eigentümlichen Luft- und Lichtverhältnisfe studirend, welche die beste
Vorschule für die neue, gesunde Art zu sehen bilden. Der Lehrer, welcher
in dem schmucklosen, nur mit einem Christusbilde versehenen Raume seinem
andächtig auf strohbcflochtenen Holzstnhlen lauschenden Auditorium von Knaben
und Mädchen das Evangelium vorliest, selbst in tiefe Andacht versunken, ist
nach der streng protestantischen Lehre gewissermaßen das substitue desselben
Christus, der die Kinder zu sich kommen läßt. Wenn das Wort Christi laut
wird, ist es, als ob Christus selber mitten unter uns wäre, und die Überzeugung
von der Wahrheit dieses Glaubens spricht sich auch in den Nngesichtern der
Kinder aus, welche mit inbrünstiger^Aufmerksamkeit dem Vortrage des Lehrers
lauschen. Ein neueres Bild kaun kaum ein besseres Lob erringen, als wen»
es uns zwingt, zunächst von seinem geistigen Inhalte zu spreche«. Der erste
Blick des Beschauers gilt so sehr der Darstellung an sich, der feinen, auf ein¬
dringlichen Studien beruhenden Charakteristik der Kinder, daß selbst der Laie
an der befremdlichen Technik, an der trotz des grauen Morgenlichtes ungewöhn¬
lichen Helligkeit keinen Anstoß nimmt. Daß diese Auffassung der Natur
ungleich mehr der Wirklichkeit entspricht, als die dunkle, massige, nur auf
Wirkung, nicht auf Wahrheit berechnete Tonart der bisher in Deutsch
land üblich gewesenen und noch in großer Machtfülle herrschenden Genre-
Malerei, ist dem Laien heute noch eine überraschende, mehr abstoßende als an¬
ziehende Erscheinung, an welche sich unser Publikum nur schwer gewöhne»


Grenzboten HI. 1886. 71
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199289"/>
          <fw type="header" place="top"> Porträt, Genre und Landschaft auf der Berliner Jubiläums-Runstausstellung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1918" prev="#ID_1917" next="#ID_1919"> vorausgehen.  Während Abbe in Paris noch Schüler Mnnkaesys war, ver¬<lb/>
schaffte sich dort die Lu-x1vin-g.ir- oder Hellmalerei immer mehr Anhänger,<lb/>
znmcil da selbst die Besonnensten sich dem Kerne von Wahrheit nicht verschließe»<lb/>
konnten, welcher sich allmählich mit sieghafter Gewalt aus dem Nebel unklarer<lb/>
Vorstellungen herauslöste.  Abtes Augen wurden dadurch für das Licht ge¬<lb/>
öffnet, und als er eine Studienreise nach Holland unternahm, fand er dort in<lb/>
der Natur die Bestätigung dessen, was die französischen Hellmalcr anstrebten.<lb/>
Die im Pariser Salon von 1883 ausgestellte &#x201E;Ankunft des Leiermannes", ein<lb/>
Motiv aus dem holländischen Seebade Zandvoort, sowie die bald darauf ent¬<lb/>
standene &#x201E;Übung baierischer Trommler" sind die ersten deutschen Schöpfungen<lb/>
auf dem Gebiete der Hellmalerci. Für Abbe waren dieselben jedoch nur Stufen<lb/>
zu einem höhern Ziele.  Er strebte nach einer Reform der religiösen Malerei,<lb/>
welche wir bereits in einem andern Zusammenhange an dieser Stelle gewürdigt<lb/>
haben.  Seine koloristische Richtung auch hier festhaltend, hat er auch ferner<lb/>
auf die Münchener Genremalerei eingewirkt, und wir sind gewiß zu der An¬<lb/>
nahme berechtigt, daß Abtes &#x201E;Christus und die Kindlein" zu den Faktoren<lb/>
gehört hat, welchen wir ein so tüchtiges und gediegenes Werk wie die &#x201E;Sonn¬<lb/>
tagsschule" von Walter Firle verdanken.  Ein geborner Breslauer, hat sich<lb/>
dieser erst siebenundzwanzigjährige Künstler zuerst in der Schule von Löfftz in<lb/>
München und dann auf Studienreisen nach Venedig und Holland gebildet, dort<lb/>
wie hier die eigentümlichen Luft- und Lichtverhältnisfe studirend, welche die beste<lb/>
Vorschule für die neue, gesunde Art zu sehen bilden.  Der Lehrer, welcher<lb/>
in dem schmucklosen, nur mit einem Christusbilde versehenen Raume seinem<lb/>
andächtig auf strohbcflochtenen Holzstnhlen lauschenden Auditorium von Knaben<lb/>
und Mädchen das Evangelium vorliest, selbst in tiefe Andacht versunken, ist<lb/>
nach der streng protestantischen Lehre gewissermaßen das substitue desselben<lb/>
Christus, der die Kinder zu sich kommen läßt.  Wenn das Wort Christi laut<lb/>
wird, ist es, als ob Christus selber mitten unter uns wäre, und die Überzeugung<lb/>
von der Wahrheit dieses Glaubens spricht sich auch in den Nngesichtern der<lb/>
Kinder aus, welche mit inbrünstiger^Aufmerksamkeit dem Vortrage des Lehrers<lb/>
lauschen.  Ein neueres Bild kaun kaum ein besseres Lob erringen, als wen»<lb/>
es uns zwingt, zunächst von seinem geistigen Inhalte zu spreche«.  Der erste<lb/>
Blick des Beschauers gilt so sehr der Darstellung an sich, der feinen, auf ein¬<lb/>
dringlichen Studien beruhenden Charakteristik der Kinder, daß selbst der Laie<lb/>
an der befremdlichen Technik, an der trotz des grauen Morgenlichtes ungewöhn¬<lb/>
lichen Helligkeit keinen Anstoß nimmt.  Daß diese Auffassung der Natur<lb/>
ungleich mehr der Wirklichkeit entspricht, als die dunkle, massige, nur auf<lb/>
Wirkung, nicht auf Wahrheit berechnete Tonart der bisher in Deutsch<lb/>
land üblich gewesenen und noch in großer Machtfülle herrschenden Genre-<lb/>
Malerei, ist dem Laien heute noch eine überraschende, mehr abstoßende als an¬<lb/>
ziehende Erscheinung, an welche sich unser Publikum nur schwer gewöhne»</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten HI. 1886. 71</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0569] Porträt, Genre und Landschaft auf der Berliner Jubiläums-Runstausstellung. vorausgehen. Während Abbe in Paris noch Schüler Mnnkaesys war, ver¬ schaffte sich dort die Lu-x1vin-g.ir- oder Hellmalerei immer mehr Anhänger, znmcil da selbst die Besonnensten sich dem Kerne von Wahrheit nicht verschließe» konnten, welcher sich allmählich mit sieghafter Gewalt aus dem Nebel unklarer Vorstellungen herauslöste. Abtes Augen wurden dadurch für das Licht ge¬ öffnet, und als er eine Studienreise nach Holland unternahm, fand er dort in der Natur die Bestätigung dessen, was die französischen Hellmalcr anstrebten. Die im Pariser Salon von 1883 ausgestellte „Ankunft des Leiermannes", ein Motiv aus dem holländischen Seebade Zandvoort, sowie die bald darauf ent¬ standene „Übung baierischer Trommler" sind die ersten deutschen Schöpfungen auf dem Gebiete der Hellmalerci. Für Abbe waren dieselben jedoch nur Stufen zu einem höhern Ziele. Er strebte nach einer Reform der religiösen Malerei, welche wir bereits in einem andern Zusammenhange an dieser Stelle gewürdigt haben. Seine koloristische Richtung auch hier festhaltend, hat er auch ferner auf die Münchener Genremalerei eingewirkt, und wir sind gewiß zu der An¬ nahme berechtigt, daß Abtes „Christus und die Kindlein" zu den Faktoren gehört hat, welchen wir ein so tüchtiges und gediegenes Werk wie die „Sonn¬ tagsschule" von Walter Firle verdanken. Ein geborner Breslauer, hat sich dieser erst siebenundzwanzigjährige Künstler zuerst in der Schule von Löfftz in München und dann auf Studienreisen nach Venedig und Holland gebildet, dort wie hier die eigentümlichen Luft- und Lichtverhältnisfe studirend, welche die beste Vorschule für die neue, gesunde Art zu sehen bilden. Der Lehrer, welcher in dem schmucklosen, nur mit einem Christusbilde versehenen Raume seinem andächtig auf strohbcflochtenen Holzstnhlen lauschenden Auditorium von Knaben und Mädchen das Evangelium vorliest, selbst in tiefe Andacht versunken, ist nach der streng protestantischen Lehre gewissermaßen das substitue desselben Christus, der die Kinder zu sich kommen läßt. Wenn das Wort Christi laut wird, ist es, als ob Christus selber mitten unter uns wäre, und die Überzeugung von der Wahrheit dieses Glaubens spricht sich auch in den Nngesichtern der Kinder aus, welche mit inbrünstiger^Aufmerksamkeit dem Vortrage des Lehrers lauschen. Ein neueres Bild kaun kaum ein besseres Lob erringen, als wen» es uns zwingt, zunächst von seinem geistigen Inhalte zu spreche«. Der erste Blick des Beschauers gilt so sehr der Darstellung an sich, der feinen, auf ein¬ dringlichen Studien beruhenden Charakteristik der Kinder, daß selbst der Laie an der befremdlichen Technik, an der trotz des grauen Morgenlichtes ungewöhn¬ lichen Helligkeit keinen Anstoß nimmt. Daß diese Auffassung der Natur ungleich mehr der Wirklichkeit entspricht, als die dunkle, massige, nur auf Wirkung, nicht auf Wahrheit berechnete Tonart der bisher in Deutsch land üblich gewesenen und noch in großer Machtfülle herrschenden Genre- Malerei, ist dem Laien heute noch eine überraschende, mehr abstoßende als an¬ ziehende Erscheinung, an welche sich unser Publikum nur schwer gewöhne» Grenzboten HI. 1886. 71

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/569
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/569>, abgerufen am 22.07.2024.