nur die Macht eines Beispiels, in dessen objektiver Anerkennung schließlich jedermann mit ihr übereinkommt. Wir finden daher, daß eine wirklich be¬ friedigende Ästhetik sich bisher stets auf den Anschauungen der Antike (die sich sehr wohl, für uns sogar wirksamer, auch in modernen Produkten finden können) aufgebaut hat. Was hier als ein ex imwra rin geschöpfter Grundsatz aufgestellt wurde, wird durch die tägliche "Erfahrung und die Lehre einer mehr als halb¬ tausendjährigen Geschichte lediglich bestätigt. Seit den Jahren, da die Menschheit, des Kreuzes und der Minne überdrüßig, zu den ewigen Bildern ihrer Jngend- lnnst zurückgriff, haben sich diese stets von neuem heilkräftig bewährt gegen Schablone und Übersättigung. Die Antike, das ist der Boden, auf welchem der so leicht zu Schwache und Überdruß neigende moderne Kunstkoloß sich noch immer verjüngte. So war der französische Klassizismus ein immerhin gutgemeinter und wohlthätiger Rückschlag gegen die in Stumpfheit, Überhebung und künstlichen Neigungen verkommende Renaissance, so war es wieder in andrer, höherer Weise bei Lessing, bei Goethe und Schiller, deren antike Selbstzucht, eine Wunderthat des germanischen Kunstgenius, ja gerade heutzutage wieder mit Vorliebe als "be¬ dauerliche Velleitcit" abgeurteilt zu werden pflegt. Auch von diesem Gesichts¬ punkte möge man einmal die Bestrebungen der heutige" Modernen betrachten. Ihre Angriffe gelten freilich nicht mehr dem Werte der antiken Kunst. Aber was schwerer wiegt, sie richten sich gegen diese Kunst (letzten Endes gegen die Kunst) selbst, gegen ihre Stellung im modernen Leben, gegen ihre Bedeutung, für die allgemeine und -- möchten wir hinzufügen -- fiir die ästhetische Er¬ ziehung. Sie erscheinen daher nicht mehr bloß wie ehemals dnnkelmäunisch, pedantisch, eingebildet, sie sind, besonders in unsrer Zeit, geradezu frevelhaft. Die "greise" Menschheit, das ungeberdige, unharmonisch wilde, im allgemeine" amusische Kind von ehedem sehnt sich wieder einmal nach der Barbarei; es nörgelt und pocht umso trotziger, je zivilisirter sie ihm erscheint. Mußten nicht gerade die Poeten sich jetzt des hohen Berufes eingedenk zeigen, den schon graue Vorzeit ihnen dankbar zuerkannte, als "geweihte Dolmetscher der Gottheit" die "rohen Menschen" zum rechten Genusse ihres Daseins zu leiten. ?nie lmoo Mxiuntm quonäMi! Sollte heilte ihre Weisheit eine andre sein?
Mit diesen wuchtigen und bedeutsamen Sätzen führt sich eine Schrift von Karl Borinski: Die Poetik der Renaissance") ein, eines der wenigen Werke neuerer Spezialforschnng, welche mit der ausgebreiteten, ja minutiösen Detailkenntnis ihres Gegenstandes eine große und über den behandelten Stoff weit hinausreichende Anschauung, eine reife und geschmackvolle Darstellung verbinden. Die "Poetik der Renaissance" Bvrinskis wird zwar nur auf Leserkreise rechnen können, welche zur Literatur in einem näheren Verhältnisse
") Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der literarischen Kritik in Deutschland. Von or. Karl VorinSki. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung, 188s-.
Die Poetik der Reumssaneo.
nur die Macht eines Beispiels, in dessen objektiver Anerkennung schließlich jedermann mit ihr übereinkommt. Wir finden daher, daß eine wirklich be¬ friedigende Ästhetik sich bisher stets auf den Anschauungen der Antike (die sich sehr wohl, für uns sogar wirksamer, auch in modernen Produkten finden können) aufgebaut hat. Was hier als ein ex imwra rin geschöpfter Grundsatz aufgestellt wurde, wird durch die tägliche «Erfahrung und die Lehre einer mehr als halb¬ tausendjährigen Geschichte lediglich bestätigt. Seit den Jahren, da die Menschheit, des Kreuzes und der Minne überdrüßig, zu den ewigen Bildern ihrer Jngend- lnnst zurückgriff, haben sich diese stets von neuem heilkräftig bewährt gegen Schablone und Übersättigung. Die Antike, das ist der Boden, auf welchem der so leicht zu Schwache und Überdruß neigende moderne Kunstkoloß sich noch immer verjüngte. So war der französische Klassizismus ein immerhin gutgemeinter und wohlthätiger Rückschlag gegen die in Stumpfheit, Überhebung und künstlichen Neigungen verkommende Renaissance, so war es wieder in andrer, höherer Weise bei Lessing, bei Goethe und Schiller, deren antike Selbstzucht, eine Wunderthat des germanischen Kunstgenius, ja gerade heutzutage wieder mit Vorliebe als „be¬ dauerliche Velleitcit" abgeurteilt zu werden pflegt. Auch von diesem Gesichts¬ punkte möge man einmal die Bestrebungen der heutige» Modernen betrachten. Ihre Angriffe gelten freilich nicht mehr dem Werte der antiken Kunst. Aber was schwerer wiegt, sie richten sich gegen diese Kunst (letzten Endes gegen die Kunst) selbst, gegen ihre Stellung im modernen Leben, gegen ihre Bedeutung, für die allgemeine und — möchten wir hinzufügen — fiir die ästhetische Er¬ ziehung. Sie erscheinen daher nicht mehr bloß wie ehemals dnnkelmäunisch, pedantisch, eingebildet, sie sind, besonders in unsrer Zeit, geradezu frevelhaft. Die „greise" Menschheit, das ungeberdige, unharmonisch wilde, im allgemeine» amusische Kind von ehedem sehnt sich wieder einmal nach der Barbarei; es nörgelt und pocht umso trotziger, je zivilisirter sie ihm erscheint. Mußten nicht gerade die Poeten sich jetzt des hohen Berufes eingedenk zeigen, den schon graue Vorzeit ihnen dankbar zuerkannte, als „geweihte Dolmetscher der Gottheit" die „rohen Menschen" zum rechten Genusse ihres Daseins zu leiten. ?nie lmoo Mxiuntm quonäMi! Sollte heilte ihre Weisheit eine andre sein?
Mit diesen wuchtigen und bedeutsamen Sätzen führt sich eine Schrift von Karl Borinski: Die Poetik der Renaissance") ein, eines der wenigen Werke neuerer Spezialforschnng, welche mit der ausgebreiteten, ja minutiösen Detailkenntnis ihres Gegenstandes eine große und über den behandelten Stoff weit hinausreichende Anschauung, eine reife und geschmackvolle Darstellung verbinden. Die „Poetik der Renaissance" Bvrinskis wird zwar nur auf Leserkreise rechnen können, welche zur Literatur in einem näheren Verhältnisse
") Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der literarischen Kritik in Deutschland. Von or. Karl VorinSki. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung, 188s-.
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Die Poetik der Reumssaneo.
nur die Macht eines Beispiels, in dessen objektiver Anerkennung schließlich
jedermann mit ihr übereinkommt. Wir finden daher, daß eine wirklich be¬
friedigende Ästhetik sich bisher stets auf den Anschauungen der Antike (die sich
sehr wohl, für uns sogar wirksamer, auch in modernen Produkten finden können)
aufgebaut hat. Was hier als ein ex imwra rin geschöpfter Grundsatz aufgestellt
wurde, wird durch die tägliche «Erfahrung und die Lehre einer mehr als halb¬
tausendjährigen Geschichte lediglich bestätigt. Seit den Jahren, da die Menschheit,
des Kreuzes und der Minne überdrüßig, zu den ewigen Bildern ihrer Jngend-
lnnst zurückgriff, haben sich diese stets von neuem heilkräftig bewährt gegen
Schablone und Übersättigung. Die Antike, das ist der Boden, auf welchem der so
leicht zu Schwache und Überdruß neigende moderne Kunstkoloß sich noch immer
verjüngte. So war der französische Klassizismus ein immerhin gutgemeinter und
wohlthätiger Rückschlag gegen die in Stumpfheit, Überhebung und künstlichen
Neigungen verkommende Renaissance, so war es wieder in andrer, höherer Weise
bei Lessing, bei Goethe und Schiller, deren antike Selbstzucht, eine Wunderthat des
germanischen Kunstgenius, ja gerade heutzutage wieder mit Vorliebe als „be¬
dauerliche Velleitcit" abgeurteilt zu werden pflegt. Auch von diesem Gesichts¬
punkte möge man einmal die Bestrebungen der heutige» Modernen betrachten.
Ihre Angriffe gelten freilich nicht mehr dem Werte der antiken Kunst. Aber
was schwerer wiegt, sie richten sich gegen diese Kunst (letzten Endes gegen die
Kunst) selbst, gegen ihre Stellung im modernen Leben, gegen ihre Bedeutung,
für die allgemeine und — möchten wir hinzufügen — fiir die ästhetische Er¬
ziehung. Sie erscheinen daher nicht mehr bloß wie ehemals dnnkelmäunisch,
pedantisch, eingebildet, sie sind, besonders in unsrer Zeit, geradezu frevelhaft.
Die „greise" Menschheit, das ungeberdige, unharmonisch wilde, im allgemeine»
amusische Kind von ehedem sehnt sich wieder einmal nach der Barbarei; es
nörgelt und pocht umso trotziger, je zivilisirter sie ihm erscheint. Mußten nicht
gerade die Poeten sich jetzt des hohen Berufes eingedenk zeigen, den schon graue
Vorzeit ihnen dankbar zuerkannte, als „geweihte Dolmetscher der Gottheit" die
„rohen Menschen" zum rechten Genusse ihres Daseins zu leiten. ?nie lmoo
Mxiuntm quonäMi! Sollte heilte ihre Weisheit eine andre sein?
Mit diesen wuchtigen und bedeutsamen Sätzen führt sich eine Schrift von
Karl Borinski: Die Poetik der Renaissance") ein, eines der wenigen
Werke neuerer Spezialforschnng, welche mit der ausgebreiteten, ja minutiösen
Detailkenntnis ihres Gegenstandes eine große und über den behandelten Stoff
weit hinausreichende Anschauung, eine reife und geschmackvolle Darstellung
verbinden. Die „Poetik der Renaissance" Bvrinskis wird zwar nur auf
Leserkreise rechnen können, welche zur Literatur in einem näheren Verhältnisse
") Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der literarischen Kritik
in Deutschland. Von or. Karl VorinSki. Berlin, Weidmannsche Buchhandlung, 188s-.
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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/557>, abgerufen am 25.01.2025.
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