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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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1367: Haushaltungen mit 2 und mehr Personen .... 33425,
" 1 Person........ 1306,
Summe der Haushalte . . 40 231;
1871: Hnushnltnnacn mit 2 und mehr Personen .... 30303,
" 1 Person........ 1 797,
Summe der Haushalte . . 41100.

In diese" vier Jahren sind die Haushaltungen jeder Art gestiegen um 869,
diejenigen von zwei und mehr Personen, also von Familien, um 878. Bei den
Rittergütern dagegen, welche solche Reformen nicht kenne", haben in der gleichen
Periode die Haushaltungen überhaupt um 1046 und diejenigen von Familie"
um 976 abgenommen. (Vergl. v. Miaskowski a, a. O. S. 28.)

Es wäre ungerecht, zu verkennen, daß auch manche Regierungen die Vor¬
züge der Kleinteilung vor der Großteilung des Bodens oder wenigstens die
Möglichkeit einer Beförderung der Kleinteilung eingesehen und bethätigt haben.
Ich finde ein kurbaierisches Gcnernlmandat vom 24. März 1762, welches ver¬
ordnet, daß die größern Bauerngüter (die Adlichen ließ man allerdings um^
berührt), welche in ganzen, halben oder Viertels-Höfen bestehen, nicht "ur zer¬
trümmert werden dürfen, sondern auch von Amtswegen zertrümmert werden
sollen, wenn sie mit dem vorhandenen Vieh nicht hinlänglich beschlagen werden
können. Preußens Gesetzgebung hat seit Stein wiederholt Versuche gemacht,
kleinere Bancrnstcllen zu schaffen; Frankreichs Umwälzungen seit 1789 hatten
den Erfolg, daß gegenwärtig 75 Prozent feiner ländlichen Arbeiter zugleich
Grundeigentümer find, und die Ansicht ist viel verbreitet, daß eben hierin das
Geheimnis liege, wie Frankreich seine ewigen Erschütterungen ertragen könne
ohne merkliche Beeinträchtigung seines allgemeinen Wohlstandes.

Das Mißlingen der erwähnte" preußischen Versuche schreibt Gneist den
Mängeln der Agrargesetze zu, sowie der Unfertigkeit der Gemeindeverhältnisse
Preußens, wo gegen 15 00V selbständige Gutsbezirke mit zwei Millionen In¬
sassen bestehen; er glaubt, daß wir an einigen Punkten in englische Zustände
hineintrieben, indem nicht nur der ländliche Arbeiter zur Auswcuideruiig ver¬
anlaßt, sondern auch der besitzende Bauer dem heimischen Boden entfremdet
werde, sobald er dnrch den Auflauf seines bäuerlichen Nachbars isolirt stehe.
Gneist berührt damit ein sittliches Moment, dessen Nichtbeachtung wohl die
Erfolglosigkeit der bisherigen preußischen und andrer ähnlicher Versuche ver¬
schuldet hat. Der Mensch bedarf des Menschen, der Bauer kann den Nachbar
nicht entbehren, und mehrere Nachbarn bedürfen eines Vercinigungspunktes, des
Gemeindeverbmidcs. Vereinzelte Baucrnstelleu kön"e" keinen dauernden Bestand
haben, sie werden mit der Zeit immer von dem Grvßbesitzc wieder aufgesogen
werden. Man wird jenen Fehler cmscheineiid jetzt bei den Schöpfnnge" in
Polen vermeiden und deshalb wohl auch bessere Erfolge haben, und hoffentlich
wird dort ein augenfälliger Beweis geliefert werden, wie viele Menschen ein
richtig verteilter Grund und Boden angemessen ernähren kann, wenn kein Grund-


1367: Haushaltungen mit 2 und mehr Personen .... 33425,
» 1 Person........ 1306,
Summe der Haushalte . . 40 231;
1871: Hnushnltnnacn mit 2 und mehr Personen .... 30303,
» 1 Person........ 1 797,
Summe der Haushalte . . 41100.

In diese» vier Jahren sind die Haushaltungen jeder Art gestiegen um 869,
diejenigen von zwei und mehr Personen, also von Familien, um 878. Bei den
Rittergütern dagegen, welche solche Reformen nicht kenne», haben in der gleichen
Periode die Haushaltungen überhaupt um 1046 und diejenigen von Familie»
um 976 abgenommen. (Vergl. v. Miaskowski a, a. O. S. 28.)

Es wäre ungerecht, zu verkennen, daß auch manche Regierungen die Vor¬
züge der Kleinteilung vor der Großteilung des Bodens oder wenigstens die
Möglichkeit einer Beförderung der Kleinteilung eingesehen und bethätigt haben.
Ich finde ein kurbaierisches Gcnernlmandat vom 24. März 1762, welches ver¬
ordnet, daß die größern Bauerngüter (die Adlichen ließ man allerdings um^
berührt), welche in ganzen, halben oder Viertels-Höfen bestehen, nicht »ur zer¬
trümmert werden dürfen, sondern auch von Amtswegen zertrümmert werden
sollen, wenn sie mit dem vorhandenen Vieh nicht hinlänglich beschlagen werden
können. Preußens Gesetzgebung hat seit Stein wiederholt Versuche gemacht,
kleinere Bancrnstcllen zu schaffen; Frankreichs Umwälzungen seit 1789 hatten
den Erfolg, daß gegenwärtig 75 Prozent feiner ländlichen Arbeiter zugleich
Grundeigentümer find, und die Ansicht ist viel verbreitet, daß eben hierin das
Geheimnis liege, wie Frankreich seine ewigen Erschütterungen ertragen könne
ohne merkliche Beeinträchtigung seines allgemeinen Wohlstandes.

Das Mißlingen der erwähnte» preußischen Versuche schreibt Gneist den
Mängeln der Agrargesetze zu, sowie der Unfertigkeit der Gemeindeverhältnisse
Preußens, wo gegen 15 00V selbständige Gutsbezirke mit zwei Millionen In¬
sassen bestehen; er glaubt, daß wir an einigen Punkten in englische Zustände
hineintrieben, indem nicht nur der ländliche Arbeiter zur Auswcuideruiig ver¬
anlaßt, sondern auch der besitzende Bauer dem heimischen Boden entfremdet
werde, sobald er dnrch den Auflauf seines bäuerlichen Nachbars isolirt stehe.
Gneist berührt damit ein sittliches Moment, dessen Nichtbeachtung wohl die
Erfolglosigkeit der bisherigen preußischen und andrer ähnlicher Versuche ver¬
schuldet hat. Der Mensch bedarf des Menschen, der Bauer kann den Nachbar
nicht entbehren, und mehrere Nachbarn bedürfen eines Vercinigungspunktes, des
Gemeindeverbmidcs. Vereinzelte Baucrnstelleu kön»e» keinen dauernden Bestand
haben, sie werden mit der Zeit immer von dem Grvßbesitzc wieder aufgesogen
werden. Man wird jenen Fehler cmscheineiid jetzt bei den Schöpfnnge» in
Polen vermeiden und deshalb wohl auch bessere Erfolge haben, und hoffentlich
wird dort ein augenfälliger Beweis geliefert werden, wie viele Menschen ein
richtig verteilter Grund und Boden angemessen ernähren kann, wenn kein Grund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/554>, abgerufen am 22.07.2024.