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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Bulgarien und sein Fürst.

hatte Anfang März 1883 den Metropoliten von Sofia, Metellus, abgesetzt
und nach Wratza verbannt, weil er sich im Jahre 1877 von seinein Sprengel
entfernt hatte, um die einrückende russische Armee zu begrüßen. Sobolew empfahl
Stvilvw, Rücksicht auf den Freund der Russen zu nehmen, dieser aber ließ ihn
verhaften und nach dem einsamen Kloster Nilo bringen, und als der Minister¬
präsident sofortige Rückkehr desselben nach Sofia verlangte und diese unterblieb,
reichten Sobolew und Kaulbars beim Fürsten ein Abschiedsgesuch ein. Dieser
fragte, ehe er es bewilligte, beim Zaren an und erhielt die Antwort, die Mission
der beiden Generale sei noch uicht beendigt, und sie müßten vorläufig noch im
Amte verbleiben. Infolge dessen mußten Stvilow, Grelvw und Natschowitsch
ans dem Kabinet scheiden, und Sobolew bildete am 16. März 1883 ein neues
Ministerium, in das er auch Angehörige der liberale" Partei aufnahm, der er
sich überhaupt jetzt unverblümt näherte. Sein Verhältnis zum Fürsten war
erst kalt, dann feindselig geworden, und beide Teile begegneten einander in ge¬
ringschätziger Weise. Alexander I. sah sich bewogen, sich mit dem Sultan auf
guten Fuß zu stellen, dann beim Zaren Schutz gegen dessen Generale zu suchen.
Am 18. April traf er in Konstantinopel, am 27. Mai in Moskau ein, wo er
der Krönung des Kaisers beiwohnte. Sobolew war ebenfalls erschienen und
hatte ohne Wissen des Fürsten eine Deputation von Liberalen mitgebracht,
welche die Unterwerfung der Bulgaren unter die Wünsche Rußlands betonen
sollte. Anderseits hatte das konservative Sobranje Abgeordnete gesandt, um
sich über die Generale zu beklagen. Der Fürst bat abermals um Abberufung
der letzteren und wollte Ehrnroth zu deren Nachfolger. Der Zar weigerte sich,
da Sobolew ihm von der rnssenfeindlichcn Stimmung der Umgebung Alexanders I.
berichtet hatte. Doch beschloß er, den Diplomaten Jonin, der früher Minister-
resident in Cetinje gewesen war, als Vermittler nach Sofia zu schicken. Erst am
23. Juli kehrte der Fürst nach Bulgarien zurück, wo Kaulbars inzwischen allerlei
Dinge verfügt hatte, die den Konservativen ungelegen waren und die jetzt durch
fürstliche Dekrete nach Möglichkeit rückgängig gemacht wurden. Zugleich ver¬
suchte man eine Aussöhnung mit, den Liberalen, denen Sobolew bei seiner
Zurückkunft durch die bevorstehenden Ergänznngswahle" leicht die Mehrheit im
Svbrnnje verschaffen konnte. Balabanow, an den man sich deshalb wendete,
erklärte, nichts ohne Zankvw thun zu können. Der Fürst ließ darauf diese"
wissen, er sei bereit, das Geschehene zu vergessen, und Zankow kam nach Sofia
und wurde von Alexander und Natschowitsch aufs liebenswürdigste empfangen.
Er fing aber bald an, von der Notwendigkeit einer Rückkehr zu der Verfassung
von Tiruowv zu sprechen, die Sobolew in Moskau auch dem Zaren empfohlen
hatte. Obwohl dieser darauf nicht eingegangen war, kam Sobolew nach seiner
Rückkehr mit Jonin und Kaulbars überein, den Fürsten zur Wiederherstellung
jener Verfassung zu zwingen, zu welchem Zwecke Kaulbars den größten Teil
des bulgarischen Heeres nnter dein Vorwande von Übungen bei Sofia zusammen-


Bulgarien und sein Fürst.

hatte Anfang März 1883 den Metropoliten von Sofia, Metellus, abgesetzt
und nach Wratza verbannt, weil er sich im Jahre 1877 von seinein Sprengel
entfernt hatte, um die einrückende russische Armee zu begrüßen. Sobolew empfahl
Stvilvw, Rücksicht auf den Freund der Russen zu nehmen, dieser aber ließ ihn
verhaften und nach dem einsamen Kloster Nilo bringen, und als der Minister¬
präsident sofortige Rückkehr desselben nach Sofia verlangte und diese unterblieb,
reichten Sobolew und Kaulbars beim Fürsten ein Abschiedsgesuch ein. Dieser
fragte, ehe er es bewilligte, beim Zaren an und erhielt die Antwort, die Mission
der beiden Generale sei noch uicht beendigt, und sie müßten vorläufig noch im
Amte verbleiben. Infolge dessen mußten Stvilow, Grelvw und Natschowitsch
ans dem Kabinet scheiden, und Sobolew bildete am 16. März 1883 ein neues
Ministerium, in das er auch Angehörige der liberale» Partei aufnahm, der er
sich überhaupt jetzt unverblümt näherte. Sein Verhältnis zum Fürsten war
erst kalt, dann feindselig geworden, und beide Teile begegneten einander in ge¬
ringschätziger Weise. Alexander I. sah sich bewogen, sich mit dem Sultan auf
guten Fuß zu stellen, dann beim Zaren Schutz gegen dessen Generale zu suchen.
Am 18. April traf er in Konstantinopel, am 27. Mai in Moskau ein, wo er
der Krönung des Kaisers beiwohnte. Sobolew war ebenfalls erschienen und
hatte ohne Wissen des Fürsten eine Deputation von Liberalen mitgebracht,
welche die Unterwerfung der Bulgaren unter die Wünsche Rußlands betonen
sollte. Anderseits hatte das konservative Sobranje Abgeordnete gesandt, um
sich über die Generale zu beklagen. Der Fürst bat abermals um Abberufung
der letzteren und wollte Ehrnroth zu deren Nachfolger. Der Zar weigerte sich,
da Sobolew ihm von der rnssenfeindlichcn Stimmung der Umgebung Alexanders I.
berichtet hatte. Doch beschloß er, den Diplomaten Jonin, der früher Minister-
resident in Cetinje gewesen war, als Vermittler nach Sofia zu schicken. Erst am
23. Juli kehrte der Fürst nach Bulgarien zurück, wo Kaulbars inzwischen allerlei
Dinge verfügt hatte, die den Konservativen ungelegen waren und die jetzt durch
fürstliche Dekrete nach Möglichkeit rückgängig gemacht wurden. Zugleich ver¬
suchte man eine Aussöhnung mit, den Liberalen, denen Sobolew bei seiner
Zurückkunft durch die bevorstehenden Ergänznngswahle» leicht die Mehrheit im
Svbrnnje verschaffen konnte. Balabanow, an den man sich deshalb wendete,
erklärte, nichts ohne Zankvw thun zu können. Der Fürst ließ darauf diese»
wissen, er sei bereit, das Geschehene zu vergessen, und Zankow kam nach Sofia
und wurde von Alexander und Natschowitsch aufs liebenswürdigste empfangen.
Er fing aber bald an, von der Notwendigkeit einer Rückkehr zu der Verfassung
von Tiruowv zu sprechen, die Sobolew in Moskau auch dem Zaren empfohlen
hatte. Obwohl dieser darauf nicht eingegangen war, kam Sobolew nach seiner
Rückkehr mit Jonin und Kaulbars überein, den Fürsten zur Wiederherstellung
jener Verfassung zu zwingen, zu welchem Zwecke Kaulbars den größten Teil
des bulgarischen Heeres nnter dein Vorwande von Übungen bei Sofia zusammen-


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[0541] Bulgarien und sein Fürst. hatte Anfang März 1883 den Metropoliten von Sofia, Metellus, abgesetzt und nach Wratza verbannt, weil er sich im Jahre 1877 von seinein Sprengel entfernt hatte, um die einrückende russische Armee zu begrüßen. Sobolew empfahl Stvilvw, Rücksicht auf den Freund der Russen zu nehmen, dieser aber ließ ihn verhaften und nach dem einsamen Kloster Nilo bringen, und als der Minister¬ präsident sofortige Rückkehr desselben nach Sofia verlangte und diese unterblieb, reichten Sobolew und Kaulbars beim Fürsten ein Abschiedsgesuch ein. Dieser fragte, ehe er es bewilligte, beim Zaren an und erhielt die Antwort, die Mission der beiden Generale sei noch uicht beendigt, und sie müßten vorläufig noch im Amte verbleiben. Infolge dessen mußten Stvilow, Grelvw und Natschowitsch ans dem Kabinet scheiden, und Sobolew bildete am 16. März 1883 ein neues Ministerium, in das er auch Angehörige der liberale» Partei aufnahm, der er sich überhaupt jetzt unverblümt näherte. Sein Verhältnis zum Fürsten war erst kalt, dann feindselig geworden, und beide Teile begegneten einander in ge¬ ringschätziger Weise. Alexander I. sah sich bewogen, sich mit dem Sultan auf guten Fuß zu stellen, dann beim Zaren Schutz gegen dessen Generale zu suchen. Am 18. April traf er in Konstantinopel, am 27. Mai in Moskau ein, wo er der Krönung des Kaisers beiwohnte. Sobolew war ebenfalls erschienen und hatte ohne Wissen des Fürsten eine Deputation von Liberalen mitgebracht, welche die Unterwerfung der Bulgaren unter die Wünsche Rußlands betonen sollte. Anderseits hatte das konservative Sobranje Abgeordnete gesandt, um sich über die Generale zu beklagen. Der Fürst bat abermals um Abberufung der letzteren und wollte Ehrnroth zu deren Nachfolger. Der Zar weigerte sich, da Sobolew ihm von der rnssenfeindlichcn Stimmung der Umgebung Alexanders I. berichtet hatte. Doch beschloß er, den Diplomaten Jonin, der früher Minister- resident in Cetinje gewesen war, als Vermittler nach Sofia zu schicken. Erst am 23. Juli kehrte der Fürst nach Bulgarien zurück, wo Kaulbars inzwischen allerlei Dinge verfügt hatte, die den Konservativen ungelegen waren und die jetzt durch fürstliche Dekrete nach Möglichkeit rückgängig gemacht wurden. Zugleich ver¬ suchte man eine Aussöhnung mit, den Liberalen, denen Sobolew bei seiner Zurückkunft durch die bevorstehenden Ergänznngswahle» leicht die Mehrheit im Svbrnnje verschaffen konnte. Balabanow, an den man sich deshalb wendete, erklärte, nichts ohne Zankvw thun zu können. Der Fürst ließ darauf diese» wissen, er sei bereit, das Geschehene zu vergessen, und Zankow kam nach Sofia und wurde von Alexander und Natschowitsch aufs liebenswürdigste empfangen. Er fing aber bald an, von der Notwendigkeit einer Rückkehr zu der Verfassung von Tiruowv zu sprechen, die Sobolew in Moskau auch dem Zaren empfohlen hatte. Obwohl dieser darauf nicht eingegangen war, kam Sobolew nach seiner Rückkehr mit Jonin und Kaulbars überein, den Fürsten zur Wiederherstellung jener Verfassung zu zwingen, zu welchem Zwecke Kaulbars den größten Teil des bulgarischen Heeres nnter dein Vorwande von Übungen bei Sofia zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/541>, abgerufen am 23.07.2024.