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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

Cäcilie aber löschte freudig die Lampe aus, worauf es sich zutrug, daß die
beiden Feinde in der Dunkelheit gewaltig aneinander rannten.

Es war traulich, in dem alten Saal um das herabgebrannte, sanft¬
glimmende Feuer zu sitzen. Aber war es nun der Einfluß des Unwetters
draußen, oder war es der Graf, kurz, das Gespräch wandte sich bald den
Dingen zu, die außerhalb der Grenze des Natürlichen zu liegen scheinen.

Auch bei unsern Thüringern, sagte Cäcilie, herrscht noch der gröbste Aber¬
glaube. Unsre Crispine zum Beispiel ist ein grundgescheites Frauenzimmer, die
ihre Ansichten über Gott und die Welt hat wie unsereins. Aber was glaubt
ihr wohl? Wenn sie einen schlimmen Finger hat, wendet sich das Mädchen
nicht an den Doktor, sondern geht zur alten Zolleinnehmern und läßt sich den
Finger besprechen.

Das ist aber noch garnichts gegen die Ottersleber, rief der Hofmarschall,
die wollen dem dortigen Pächter das Knochenfett nicht verkaufen, weil sie
glauben, er könne Gold aus den Gerippen machen.

Trakelberg seufzte. Wie lange nun schon leuchtet über den germanischen
Landen das Licht des Christentums, und noch immer müssen wir diesen traurigen
Überbleibseln aus der Heidenzeit begegnen!

Der Graf, der lauge in die glimmende Asche gesehen hatte, blickte sanft
nach dem Sprecher hinüber. Und doch giebt es einen Zauber, an den wir alle
glauben müssen, auch heute noch. Ja, Sie auch, Herr Kandidat, müssen diesen
Zauber bestehen lassen. Ich meine den Liebeszauber.

Zu einer andern Zeit und bei andrer Stimmung hätte diese Bemerkung
vielleicht trivial geklungen. Jetzt aber begegnete das eigentümlich betonte Wort
allgemeinem Schweigen.

Daida fuhr fort: Welcher Bann lockt uns wieder und wieder, unsre ganze
Seele in ein paar Augen zu versenken, um dort schöneres zu finden, als der
Gedanke erfassen kann? Was ist es, das uns aus der Stimme eines ge¬
liebten Wesens entgegentönt, und unser ganzes Sein mit elementarer Gewalt
erfaßt?

Er hatte eine Saite angeschlagen, die in dem Einzelnen forttönte, hell oder
trübe. Als er seine andächtigen Zuhörer mit einem Blick überflog, begegnete
er nur einem andern Blick. Er kam aus den Rehaugen der jungen Französin
und war voll leidenschaftlicher Bewunderung. Der Graf sah sie lange an; dann
stand er auf und sagte: Gute Nacht.

(Fortsetzung! folgt.)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marauarr in Leipzig.
Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

Cäcilie aber löschte freudig die Lampe aus, worauf es sich zutrug, daß die
beiden Feinde in der Dunkelheit gewaltig aneinander rannten.

Es war traulich, in dem alten Saal um das herabgebrannte, sanft¬
glimmende Feuer zu sitzen. Aber war es nun der Einfluß des Unwetters
draußen, oder war es der Graf, kurz, das Gespräch wandte sich bald den
Dingen zu, die außerhalb der Grenze des Natürlichen zu liegen scheinen.

Auch bei unsern Thüringern, sagte Cäcilie, herrscht noch der gröbste Aber¬
glaube. Unsre Crispine zum Beispiel ist ein grundgescheites Frauenzimmer, die
ihre Ansichten über Gott und die Welt hat wie unsereins. Aber was glaubt
ihr wohl? Wenn sie einen schlimmen Finger hat, wendet sich das Mädchen
nicht an den Doktor, sondern geht zur alten Zolleinnehmern und läßt sich den
Finger besprechen.

Das ist aber noch garnichts gegen die Ottersleber, rief der Hofmarschall,
die wollen dem dortigen Pächter das Knochenfett nicht verkaufen, weil sie
glauben, er könne Gold aus den Gerippen machen.

Trakelberg seufzte. Wie lange nun schon leuchtet über den germanischen
Landen das Licht des Christentums, und noch immer müssen wir diesen traurigen
Überbleibseln aus der Heidenzeit begegnen!

Der Graf, der lauge in die glimmende Asche gesehen hatte, blickte sanft
nach dem Sprecher hinüber. Und doch giebt es einen Zauber, an den wir alle
glauben müssen, auch heute noch. Ja, Sie auch, Herr Kandidat, müssen diesen
Zauber bestehen lassen. Ich meine den Liebeszauber.

Zu einer andern Zeit und bei andrer Stimmung hätte diese Bemerkung
vielleicht trivial geklungen. Jetzt aber begegnete das eigentümlich betonte Wort
allgemeinem Schweigen.

Daida fuhr fort: Welcher Bann lockt uns wieder und wieder, unsre ganze
Seele in ein paar Augen zu versenken, um dort schöneres zu finden, als der
Gedanke erfassen kann? Was ist es, das uns aus der Stimme eines ge¬
liebten Wesens entgegentönt, und unser ganzes Sein mit elementarer Gewalt
erfaßt?

Er hatte eine Saite angeschlagen, die in dem Einzelnen forttönte, hell oder
trübe. Als er seine andächtigen Zuhörer mit einem Blick überflog, begegnete
er nur einem andern Blick. Er kam aus den Rehaugen der jungen Französin
und war voll leidenschaftlicher Bewunderung. Der Graf sah sie lange an; dann
stand er auf und sagte: Gute Nacht.

(Fortsetzung! folgt.)






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marauarr in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/536>, abgerufen am 22.07.2024.