Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
sachverständiges über den Spiritismus.

Talent für das ländliche Genre hat die Berliner Schule in E. Hcnseler ge¬
wonnen, dessen "Roggenernte" sich frei von jeder Schablonenhaften Ueberlieferung
und konventioneller Färbung direkt an die Natur hält. Ein gleiches gilt von
den Militärmalern Georg Koch ("Die Zwciuudfünfziger bei Vionville") und Karl
Nöchling ("Eine Feldwache bei Saarbrücken"), die in der Lebendigkeit der Dar¬
stellung und Keckheit der Zeichnung mit einander wetteifern. Ohne in die Ge¬
schmacklosigkeiten und Übertreibungen der französischen Un-xlom-air-Maler zu
verfallen, haben diese Künstler dasselbe Ziel erreicht, Figuren in der freien
Natur so darzustellen, wie sie sich, von Luft und vollem, ungebrochenen Licht
umflossen, dem unbefangenen, durch das Studium im Atclierrcmm nicht ver¬
dorbenen Auge wirklich bieten.




sachverständiges über den Spiritismus.

cum man nicht fürchten müßte, gar zu wenig Gegenliebe zu finden,
so möchte es sich wohl verlohnen, ein Buch über das dumme Publikum
zu schreiben. Alle Seiten des öffentlichen Lebens, der Politik, des
Handels, der Gewerbe, der Kunst, der Literatur, des Vergnügens
und der Arbeit müßten beleuchtet, und in den einzelnen Kapiteln
müßte gezeigt werden, wie die Denkfaulheit oder die liebe Gewohnheit
der Menge sich dem kecken Auftreten einzelner oder dem unberechtigten Herkommen
gewisser Stände oder Kreise gegenüber in einer Weise unterordnet, daß man nicht
umhin kann, vom dummen Publikum zu reden. Eins der ersten Kapitel müßte
vom Spiritismus handeln.

Ich höre den Einwand: "Bitte recht sehr; die Beschäftigung mit dem Spiritis¬
mus ist doch nicht einfach als Dummheit zu bezeichnen. Haben doch Männer der
Wissenschaft es ausgesprochen, daß ihnen die Leistungen der Medien, welche der
Spiritismus als übernatürliche Thatsachen vertritt, unerklärlich seien. Ja sie haben
die Berechtigung des Spiritismus als eines noch zu erforschenden Gebietes aus¬
drücklich anerkannt. Wenn das Männer der Wissenschaft thun, hat man da Recht,
vom dummen Publikum zu reden?"

Warum nicht? Nach unsrer unmaßgeblichen Meinung gehören anch sie dazu,
wenn sie es wagen, in einer Sache sachverständig zu sein, von der sie nichts ver¬
stehen. Man sieht doch eim, daß von den Männern der Wissenschaft jeder nur in
seinem Fache sachverständig sein kann. Vertauscht man ihnen die Lehrbücher, so
werden sie wie andre Sterbliche auch, ja noch hilfloser als diese, wenn sie ihre
Größe, wie jetzt immer mehr üblich wird, in der einseitigen Vertiefung in Spezia¬
litäten gesucht hoben. Welches Fach ist nnn in Betreff des Spiritismus kompetent?
Die Philosophie? Eduard von Hartmann hat die Philosophie des Unbewußten,
d. h. dessen, was man nicht weiß, auf den Spiritismus ciusgcdehut, obgleich er
uach eigner Aussage nie einer Spiritistensitzung beigewohnt hat, und Ulrici hat
sogar eine Lanze für den Spiritismus eingelegt. Oder sollten die Phhsiker berufen


sachverständiges über den Spiritismus.

Talent für das ländliche Genre hat die Berliner Schule in E. Hcnseler ge¬
wonnen, dessen „Roggenernte" sich frei von jeder Schablonenhaften Ueberlieferung
und konventioneller Färbung direkt an die Natur hält. Ein gleiches gilt von
den Militärmalern Georg Koch („Die Zwciuudfünfziger bei Vionville") und Karl
Nöchling („Eine Feldwache bei Saarbrücken"), die in der Lebendigkeit der Dar¬
stellung und Keckheit der Zeichnung mit einander wetteifern. Ohne in die Ge¬
schmacklosigkeiten und Übertreibungen der französischen Un-xlom-air-Maler zu
verfallen, haben diese Künstler dasselbe Ziel erreicht, Figuren in der freien
Natur so darzustellen, wie sie sich, von Luft und vollem, ungebrochenen Licht
umflossen, dem unbefangenen, durch das Studium im Atclierrcmm nicht ver¬
dorbenen Auge wirklich bieten.




sachverständiges über den Spiritismus.

cum man nicht fürchten müßte, gar zu wenig Gegenliebe zu finden,
so möchte es sich wohl verlohnen, ein Buch über das dumme Publikum
zu schreiben. Alle Seiten des öffentlichen Lebens, der Politik, des
Handels, der Gewerbe, der Kunst, der Literatur, des Vergnügens
und der Arbeit müßten beleuchtet, und in den einzelnen Kapiteln
müßte gezeigt werden, wie die Denkfaulheit oder die liebe Gewohnheit
der Menge sich dem kecken Auftreten einzelner oder dem unberechtigten Herkommen
gewisser Stände oder Kreise gegenüber in einer Weise unterordnet, daß man nicht
umhin kann, vom dummen Publikum zu reden. Eins der ersten Kapitel müßte
vom Spiritismus handeln.

Ich höre den Einwand: „Bitte recht sehr; die Beschäftigung mit dem Spiritis¬
mus ist doch nicht einfach als Dummheit zu bezeichnen. Haben doch Männer der
Wissenschaft es ausgesprochen, daß ihnen die Leistungen der Medien, welche der
Spiritismus als übernatürliche Thatsachen vertritt, unerklärlich seien. Ja sie haben
die Berechtigung des Spiritismus als eines noch zu erforschenden Gebietes aus¬
drücklich anerkannt. Wenn das Männer der Wissenschaft thun, hat man da Recht,
vom dummen Publikum zu reden?"

Warum nicht? Nach unsrer unmaßgeblichen Meinung gehören anch sie dazu,
wenn sie es wagen, in einer Sache sachverständig zu sein, von der sie nichts ver¬
stehen. Man sieht doch eim, daß von den Männern der Wissenschaft jeder nur in
seinem Fache sachverständig sein kann. Vertauscht man ihnen die Lehrbücher, so
werden sie wie andre Sterbliche auch, ja noch hilfloser als diese, wenn sie ihre
Größe, wie jetzt immer mehr üblich wird, in der einseitigen Vertiefung in Spezia¬
litäten gesucht hoben. Welches Fach ist nnn in Betreff des Spiritismus kompetent?
Die Philosophie? Eduard von Hartmann hat die Philosophie des Unbewußten,
d. h. dessen, was man nicht weiß, auf den Spiritismus ciusgcdehut, obgleich er
uach eigner Aussage nie einer Spiritistensitzung beigewohnt hat, und Ulrici hat
sogar eine Lanze für den Spiritismus eingelegt. Oder sollten die Phhsiker berufen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199242"/>
            <fw type="header" place="top"> sachverständiges über den Spiritismus.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1728" prev="#ID_1727"> Talent für das ländliche Genre hat die Berliner Schule in E. Hcnseler ge¬<lb/>
wonnen, dessen &#x201E;Roggenernte" sich frei von jeder Schablonenhaften Ueberlieferung<lb/>
und konventioneller Färbung direkt an die Natur hält. Ein gleiches gilt von<lb/>
den Militärmalern Georg Koch (&#x201E;Die Zwciuudfünfziger bei Vionville") und Karl<lb/>
Nöchling (&#x201E;Eine Feldwache bei Saarbrücken"), die in der Lebendigkeit der Dar¬<lb/>
stellung und Keckheit der Zeichnung mit einander wetteifern. Ohne in die Ge¬<lb/>
schmacklosigkeiten und Übertreibungen der französischen Un-xlom-air-Maler zu<lb/>
verfallen, haben diese Künstler dasselbe Ziel erreicht, Figuren in der freien<lb/>
Natur so darzustellen, wie sie sich, von Luft und vollem, ungebrochenen Licht<lb/>
umflossen, dem unbefangenen, durch das Studium im Atclierrcmm nicht ver¬<lb/>
dorbenen Auge wirklich bieten.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> sachverständiges über den Spiritismus.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1729"> cum man nicht fürchten müßte, gar zu wenig Gegenliebe zu finden,<lb/>
so möchte es sich wohl verlohnen, ein Buch über das dumme Publikum<lb/>
zu schreiben. Alle Seiten des öffentlichen Lebens, der Politik, des<lb/>
Handels, der Gewerbe, der Kunst, der Literatur, des Vergnügens<lb/>
und der Arbeit müßten beleuchtet, und in den einzelnen Kapiteln<lb/>
müßte gezeigt werden, wie die Denkfaulheit oder die liebe Gewohnheit<lb/>
der Menge sich dem kecken Auftreten einzelner oder dem unberechtigten Herkommen<lb/>
gewisser Stände oder Kreise gegenüber in einer Weise unterordnet, daß man nicht<lb/>
umhin kann, vom dummen Publikum zu reden. Eins der ersten Kapitel müßte<lb/>
vom Spiritismus handeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1730"> Ich höre den Einwand: &#x201E;Bitte recht sehr; die Beschäftigung mit dem Spiritis¬<lb/>
mus ist doch nicht einfach als Dummheit zu bezeichnen. Haben doch Männer der<lb/>
Wissenschaft es ausgesprochen, daß ihnen die Leistungen der Medien, welche der<lb/>
Spiritismus als übernatürliche Thatsachen vertritt, unerklärlich seien. Ja sie haben<lb/>
die Berechtigung des Spiritismus als eines noch zu erforschenden Gebietes aus¬<lb/>
drücklich anerkannt. Wenn das Männer der Wissenschaft thun, hat man da Recht,<lb/>
vom dummen Publikum zu reden?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1731" next="#ID_1732"> Warum nicht? Nach unsrer unmaßgeblichen Meinung gehören anch sie dazu,<lb/>
wenn sie es wagen, in einer Sache sachverständig zu sein, von der sie nichts ver¬<lb/>
stehen. Man sieht doch eim, daß von den Männern der Wissenschaft jeder nur in<lb/>
seinem Fache sachverständig sein kann. Vertauscht man ihnen die Lehrbücher, so<lb/>
werden sie wie andre Sterbliche auch, ja noch hilfloser als diese, wenn sie ihre<lb/>
Größe, wie jetzt immer mehr üblich wird, in der einseitigen Vertiefung in Spezia¬<lb/>
litäten gesucht hoben. Welches Fach ist nnn in Betreff des Spiritismus kompetent?<lb/>
Die Philosophie? Eduard von Hartmann hat die Philosophie des Unbewußten,<lb/>
d. h. dessen, was man nicht weiß, auf den Spiritismus ciusgcdehut, obgleich er<lb/>
uach eigner Aussage nie einer Spiritistensitzung beigewohnt hat, und Ulrici hat<lb/>
sogar eine Lanze für den Spiritismus eingelegt. Oder sollten die Phhsiker berufen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0522] sachverständiges über den Spiritismus. Talent für das ländliche Genre hat die Berliner Schule in E. Hcnseler ge¬ wonnen, dessen „Roggenernte" sich frei von jeder Schablonenhaften Ueberlieferung und konventioneller Färbung direkt an die Natur hält. Ein gleiches gilt von den Militärmalern Georg Koch („Die Zwciuudfünfziger bei Vionville") und Karl Nöchling („Eine Feldwache bei Saarbrücken"), die in der Lebendigkeit der Dar¬ stellung und Keckheit der Zeichnung mit einander wetteifern. Ohne in die Ge¬ schmacklosigkeiten und Übertreibungen der französischen Un-xlom-air-Maler zu verfallen, haben diese Künstler dasselbe Ziel erreicht, Figuren in der freien Natur so darzustellen, wie sie sich, von Luft und vollem, ungebrochenen Licht umflossen, dem unbefangenen, durch das Studium im Atclierrcmm nicht ver¬ dorbenen Auge wirklich bieten. sachverständiges über den Spiritismus. cum man nicht fürchten müßte, gar zu wenig Gegenliebe zu finden, so möchte es sich wohl verlohnen, ein Buch über das dumme Publikum zu schreiben. Alle Seiten des öffentlichen Lebens, der Politik, des Handels, der Gewerbe, der Kunst, der Literatur, des Vergnügens und der Arbeit müßten beleuchtet, und in den einzelnen Kapiteln müßte gezeigt werden, wie die Denkfaulheit oder die liebe Gewohnheit der Menge sich dem kecken Auftreten einzelner oder dem unberechtigten Herkommen gewisser Stände oder Kreise gegenüber in einer Weise unterordnet, daß man nicht umhin kann, vom dummen Publikum zu reden. Eins der ersten Kapitel müßte vom Spiritismus handeln. Ich höre den Einwand: „Bitte recht sehr; die Beschäftigung mit dem Spiritis¬ mus ist doch nicht einfach als Dummheit zu bezeichnen. Haben doch Männer der Wissenschaft es ausgesprochen, daß ihnen die Leistungen der Medien, welche der Spiritismus als übernatürliche Thatsachen vertritt, unerklärlich seien. Ja sie haben die Berechtigung des Spiritismus als eines noch zu erforschenden Gebietes aus¬ drücklich anerkannt. Wenn das Männer der Wissenschaft thun, hat man da Recht, vom dummen Publikum zu reden?" Warum nicht? Nach unsrer unmaßgeblichen Meinung gehören anch sie dazu, wenn sie es wagen, in einer Sache sachverständig zu sein, von der sie nichts ver¬ stehen. Man sieht doch eim, daß von den Männern der Wissenschaft jeder nur in seinem Fache sachverständig sein kann. Vertauscht man ihnen die Lehrbücher, so werden sie wie andre Sterbliche auch, ja noch hilfloser als diese, wenn sie ihre Größe, wie jetzt immer mehr üblich wird, in der einseitigen Vertiefung in Spezia¬ litäten gesucht hoben. Welches Fach ist nnn in Betreff des Spiritismus kompetent? Die Philosophie? Eduard von Hartmann hat die Philosophie des Unbewußten, d. h. dessen, was man nicht weiß, auf den Spiritismus ciusgcdehut, obgleich er uach eigner Aussage nie einer Spiritistensitzung beigewohnt hat, und Ulrici hat sogar eine Lanze für den Spiritismus eingelegt. Oder sollten die Phhsiker berufen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/522
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/522>, abgerufen am 22.07.2024.