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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Bcmerdörfern Nordungarns.

daß die Brüder nach dem Tode des Vaters beisammen bleiben, wie mir auch
beim Rückwege auf Befragen ein Bauer antwortete: ,/Jo uMo diva, das kommt
wenig vor." Dann ist der älteste der g^an, Wirt, seine Fran, die Mnclirm,
kocht und führt die eigentliche Hauswirtschaft; bei eintretender Unfähigkeit
des AWäa wird ein andrer eingesetzt. So war es früher, aber heute "können
sie sich nicht mehr vertragen." Das ganze Haus, ob eine oder mehrere Fa¬
milien, führt den Namen LölAo (sprich tschelÄz; auch im serbischen kommt vol^ä in
dieser Bedeutung vor), der sich im Deutschen am treffendsten mit dem Worte Ge¬
sinde wiedergeben läßt, das in den Ostseeprovinzen zur Bezeichnung der Haus-
kvmmunionen der Juselschweden gebraucht zu werden pflegt (Bauerngesinde). Daß
aber diese slowakischen Gesinde den Umfang der deutschen nie erreicht haben
können, zeigt ein Blick auf die Wohnhäuser, die man selbst für eine Familie
auffallend klein und beschränkt finden wird, auch wenn man sich vergegen¬
wärtigt, daß man bei der Ärmlichkeit und Abgeschiedenheit dieser Gegenden
den niedrigsten Maßstab an die Lebensgewohnheiten anzulegen hat und sich an
ähnliche Verhältnisse in Rußland erinnern muß, wo die Hausgenossen des
Nachts in der Stube auf Bänken, ans dem Ofen und selbst auf dem Boden hernm-
liege". Der Bauernhof hier im Gebirge unterscheidet sich übrigens wesentlich
von dem slowakischen Hofe, wie ich ihn bei Tyrnan gesehen habe. Dort strecken
sich die einzelnen Höfe langsm von der Straße rückwärts, sind aber, eng an¬
einander geschlossen, so schmal, daß die Straßenseite neben dem Hausgiebel fast
nur noch für einen Thorweg Raum bietet. Tritt man hinein, so hat man ans
der einen Seite, sagen wir links, ein fortlaufendes, einstöckiges Gebäude, welches
von der Straße angefangen, unter demselben Dache Wohnung, Stallung und
einen offnen Schuppen enthält. Auf der rechten Seite des Hofes findet sich
nichts; diese Seite wird von dem entsprechenden Gebäude des Nachbarhofes
eingenommen. Durch die Hausthür tritt man in eine Flur mit der Küche im
Hintergründe, die wie bei dem alten mitteldeutschen Bauernhause die nach der
Straße blickende Stube von der Stallung scheidet. Dagegen findet sich eine
sehr auffallende Abweichung von deutscher Gewohnheit in der Aufstellung der
Ltoäolii,, der Scheune, die nicht auf dem Hofe selbst, sondern dahinter im Garten
liegt, nach dem hintern Dorfwege zu. Diese Besonderheit, die sich, beiläufig
gesagt, auch in der Nähe der Stadt Stein am Anger bei Magyaren findet,
scheint anch die alte Hofanlage des tschechischen Stammes zu kennzeichnen, da sie bis
zum dreißigjährigen Kriege in Böhmen heimisch war und noch heute in einigen
Gegenden vorkommen soll. Anders der Hof bei Vadineov, der mehr dem
mitteldeutschen ähnelt. Wie bei diesem, sind die Gebäude, unter ihnen auch die
Scheune, auf drei Seiten um den Hof hernmgcstcllt, während die vierte, die
Straßenseite, entweder ganz frei bleibt oder bei den bessern Anwesen dnrch
Zaun oder Mauer mit Thor und Thür abgeschlossen ist. Das Wohnhaus,
welches in Vadinvov keine Stallung enthält, wendet der Straße seinen Giebel


Germanische Altertümer aus den Bcmerdörfern Nordungarns.

daß die Brüder nach dem Tode des Vaters beisammen bleiben, wie mir auch
beim Rückwege auf Befragen ein Bauer antwortete: ,/Jo uMo diva, das kommt
wenig vor." Dann ist der älteste der g^an, Wirt, seine Fran, die Mnclirm,
kocht und führt die eigentliche Hauswirtschaft; bei eintretender Unfähigkeit
des AWäa wird ein andrer eingesetzt. So war es früher, aber heute „können
sie sich nicht mehr vertragen." Das ganze Haus, ob eine oder mehrere Fa¬
milien, führt den Namen LölAo (sprich tschelÄz; auch im serbischen kommt vol^ä in
dieser Bedeutung vor), der sich im Deutschen am treffendsten mit dem Worte Ge¬
sinde wiedergeben läßt, das in den Ostseeprovinzen zur Bezeichnung der Haus-
kvmmunionen der Juselschweden gebraucht zu werden pflegt (Bauerngesinde). Daß
aber diese slowakischen Gesinde den Umfang der deutschen nie erreicht haben
können, zeigt ein Blick auf die Wohnhäuser, die man selbst für eine Familie
auffallend klein und beschränkt finden wird, auch wenn man sich vergegen¬
wärtigt, daß man bei der Ärmlichkeit und Abgeschiedenheit dieser Gegenden
den niedrigsten Maßstab an die Lebensgewohnheiten anzulegen hat und sich an
ähnliche Verhältnisse in Rußland erinnern muß, wo die Hausgenossen des
Nachts in der Stube auf Bänken, ans dem Ofen und selbst auf dem Boden hernm-
liege». Der Bauernhof hier im Gebirge unterscheidet sich übrigens wesentlich
von dem slowakischen Hofe, wie ich ihn bei Tyrnan gesehen habe. Dort strecken
sich die einzelnen Höfe langsm von der Straße rückwärts, sind aber, eng an¬
einander geschlossen, so schmal, daß die Straßenseite neben dem Hausgiebel fast
nur noch für einen Thorweg Raum bietet. Tritt man hinein, so hat man ans
der einen Seite, sagen wir links, ein fortlaufendes, einstöckiges Gebäude, welches
von der Straße angefangen, unter demselben Dache Wohnung, Stallung und
einen offnen Schuppen enthält. Auf der rechten Seite des Hofes findet sich
nichts; diese Seite wird von dem entsprechenden Gebäude des Nachbarhofes
eingenommen. Durch die Hausthür tritt man in eine Flur mit der Küche im
Hintergründe, die wie bei dem alten mitteldeutschen Bauernhause die nach der
Straße blickende Stube von der Stallung scheidet. Dagegen findet sich eine
sehr auffallende Abweichung von deutscher Gewohnheit in der Aufstellung der
Ltoäolii,, der Scheune, die nicht auf dem Hofe selbst, sondern dahinter im Garten
liegt, nach dem hintern Dorfwege zu. Diese Besonderheit, die sich, beiläufig
gesagt, auch in der Nähe der Stadt Stein am Anger bei Magyaren findet,
scheint anch die alte Hofanlage des tschechischen Stammes zu kennzeichnen, da sie bis
zum dreißigjährigen Kriege in Böhmen heimisch war und noch heute in einigen
Gegenden vorkommen soll. Anders der Hof bei Vadineov, der mehr dem
mitteldeutschen ähnelt. Wie bei diesem, sind die Gebäude, unter ihnen auch die
Scheune, auf drei Seiten um den Hof hernmgcstcllt, während die vierte, die
Straßenseite, entweder ganz frei bleibt oder bei den bessern Anwesen dnrch
Zaun oder Mauer mit Thor und Thür abgeschlossen ist. Das Wohnhaus,
welches in Vadinvov keine Stallung enthält, wendet der Straße seinen Giebel


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[0512] Germanische Altertümer aus den Bcmerdörfern Nordungarns. daß die Brüder nach dem Tode des Vaters beisammen bleiben, wie mir auch beim Rückwege auf Befragen ein Bauer antwortete: ,/Jo uMo diva, das kommt wenig vor." Dann ist der älteste der g^an, Wirt, seine Fran, die Mnclirm, kocht und führt die eigentliche Hauswirtschaft; bei eintretender Unfähigkeit des AWäa wird ein andrer eingesetzt. So war es früher, aber heute „können sie sich nicht mehr vertragen." Das ganze Haus, ob eine oder mehrere Fa¬ milien, führt den Namen LölAo (sprich tschelÄz; auch im serbischen kommt vol^ä in dieser Bedeutung vor), der sich im Deutschen am treffendsten mit dem Worte Ge¬ sinde wiedergeben läßt, das in den Ostseeprovinzen zur Bezeichnung der Haus- kvmmunionen der Juselschweden gebraucht zu werden pflegt (Bauerngesinde). Daß aber diese slowakischen Gesinde den Umfang der deutschen nie erreicht haben können, zeigt ein Blick auf die Wohnhäuser, die man selbst für eine Familie auffallend klein und beschränkt finden wird, auch wenn man sich vergegen¬ wärtigt, daß man bei der Ärmlichkeit und Abgeschiedenheit dieser Gegenden den niedrigsten Maßstab an die Lebensgewohnheiten anzulegen hat und sich an ähnliche Verhältnisse in Rußland erinnern muß, wo die Hausgenossen des Nachts in der Stube auf Bänken, ans dem Ofen und selbst auf dem Boden hernm- liege». Der Bauernhof hier im Gebirge unterscheidet sich übrigens wesentlich von dem slowakischen Hofe, wie ich ihn bei Tyrnan gesehen habe. Dort strecken sich die einzelnen Höfe langsm von der Straße rückwärts, sind aber, eng an¬ einander geschlossen, so schmal, daß die Straßenseite neben dem Hausgiebel fast nur noch für einen Thorweg Raum bietet. Tritt man hinein, so hat man ans der einen Seite, sagen wir links, ein fortlaufendes, einstöckiges Gebäude, welches von der Straße angefangen, unter demselben Dache Wohnung, Stallung und einen offnen Schuppen enthält. Auf der rechten Seite des Hofes findet sich nichts; diese Seite wird von dem entsprechenden Gebäude des Nachbarhofes eingenommen. Durch die Hausthür tritt man in eine Flur mit der Küche im Hintergründe, die wie bei dem alten mitteldeutschen Bauernhause die nach der Straße blickende Stube von der Stallung scheidet. Dagegen findet sich eine sehr auffallende Abweichung von deutscher Gewohnheit in der Aufstellung der Ltoäolii,, der Scheune, die nicht auf dem Hofe selbst, sondern dahinter im Garten liegt, nach dem hintern Dorfwege zu. Diese Besonderheit, die sich, beiläufig gesagt, auch in der Nähe der Stadt Stein am Anger bei Magyaren findet, scheint anch die alte Hofanlage des tschechischen Stammes zu kennzeichnen, da sie bis zum dreißigjährigen Kriege in Böhmen heimisch war und noch heute in einigen Gegenden vorkommen soll. Anders der Hof bei Vadineov, der mehr dem mitteldeutschen ähnelt. Wie bei diesem, sind die Gebäude, unter ihnen auch die Scheune, auf drei Seiten um den Hof hernmgcstcllt, während die vierte, die Straßenseite, entweder ganz frei bleibt oder bei den bessern Anwesen dnrch Zaun oder Mauer mit Thor und Thür abgeschlossen ist. Das Wohnhaus, welches in Vadinvov keine Stallung enthält, wendet der Straße seinen Giebel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/512>, abgerufen am 23.07.2024.