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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Gormanische Altertümer ans den Bcmerdörfern Nordungarns.

Vorkommen der Hausgenossenschaft gemachten Angaben finden. Aber auch bei
den Slowaken ist dieselbe, so hörte ich, früher in Übung gewesen, wenngleich
nicht in demselben Umfange wie bei den Deutschen, was man aus ihrer mehr
störrischen, weniger verträglichen Gemütsart erklärt. Nach einem alten Ungar
mit weißem Bart, der schon in den polnischen Freiheitskämpfen der dreißiger
Jahre gefochten hatte, herrschte die Hausgeiwssenschaft früher hier überall in den
Gebirgen, ist aber heute so gut wie verschollen; auch hier bestätigt sich die Er¬
fahrung, die man in den südslawischen Gebieten, Kroatien, Serbien, wie in
Rußland gemacht hat, daß die Auflösung der gemeinsamen Wirtschaft von der
verderblichsten Wirkung auf den Wohlstand der Bauern gewesen ist: ein Haus,
das vorher hundert bis zweihundert Schafe weiden ließ und mehrere Joch Ochsen
für die Pflugarbcit zur Verfügung hatte, ist heute in kleine Stücke zerschlagen,
von denen keines seinen Mann nährt, keines ihn vollständig beschäftigen kann.

Um wenigstens einen Versuch zu machen, das vorxn8 äolioti einer slo¬
wakischen Hauskommunion -- denn als eine solch gemeinschädliche Einrichtung
wird dieselbe doch wohl von unsern Nationalökonomen und Knlturhistorikern zumeist
betrachtet -- in Augenschein zu nehmen, machte ich von Sillein am frühen
Morgen einen Abstecher mit der Bahn nach der nördlich gelegenen Station
Neustädtl (Iljllol^), wo ich zu allererst einige soeben sich öffnende Kaufladen
durchforschte, um meinen in Silleiu abhanden gekommenen Schirm durch einen
Gehstock zu ersetzen -- vergebens, Gchstöcke werden in Neustädtl nicht ver¬
trieben. Ich klagte meine Not einem behäbigen Manne, der vor einem Ge¬
bäude vom Anschein eines Wirtshauses sich eine Morgenbewcgung machte --
es war der Wirt selbst, der die Gefälligkeit hatte, mir seinen eignen, erst kürzlich
geschnittenen und weißgeschälten Stab für meinen Gang anzubieten. Ich ver¬
stand diesen Wink des Schicksals und ging hinein, um einen Kaffee zu trinken
und meinen Gönner, der, nebenbei gesagt, kein semit war -- eine, wie wir
später sehen werden, durchaus nicht überflüssige Bemerkung --, etwas auszuholen.
Er selbst wußte von Hauskommunioncn in der Umgegend nichts, kannte die¬
selben aber, was ich nicht vergessen will, anzumerken, aus Rumänien, und seine
Fran fügte hinzu, daß dieselben -noch heute bei den Flößern in Liptau vor-
kämen. Dann wanderte ich mit meinem weißen Pilgcrstabe in die Berge hinein
und gelangte nach einigen Stunden nach dem Ziele meines Marsches, dem
Dorfe Vadiuvov. Da meine Kenntnis der slowakischen Sprache zu gering war,
um fördcrsame Zwiesprache mit den Bauern zu Pflegen, die obendrein zumeist
im Felde bei der Arbeit waren, nahm ich meine Zuflucht zu der jüdischen
Schenke, wo mir die Wirtin -- der Mann war nicht zu Hause -- bei einem
Glase Säuerling weitern Bescheid gab, unterstützt von einem Nachbar, den sein
Hansirgcwerke bis nach Italien geführt hatte. Darnach kommt es noch vor,
daß mehrere verheiratete Brüder unter dem Vater in einem Hanse zusammen
leben, so beim Richter Salia im benachbarten Dorfe PaSie, nur sehr selten,


Gormanische Altertümer ans den Bcmerdörfern Nordungarns.

Vorkommen der Hausgenossenschaft gemachten Angaben finden. Aber auch bei
den Slowaken ist dieselbe, so hörte ich, früher in Übung gewesen, wenngleich
nicht in demselben Umfange wie bei den Deutschen, was man aus ihrer mehr
störrischen, weniger verträglichen Gemütsart erklärt. Nach einem alten Ungar
mit weißem Bart, der schon in den polnischen Freiheitskämpfen der dreißiger
Jahre gefochten hatte, herrschte die Hausgeiwssenschaft früher hier überall in den
Gebirgen, ist aber heute so gut wie verschollen; auch hier bestätigt sich die Er¬
fahrung, die man in den südslawischen Gebieten, Kroatien, Serbien, wie in
Rußland gemacht hat, daß die Auflösung der gemeinsamen Wirtschaft von der
verderblichsten Wirkung auf den Wohlstand der Bauern gewesen ist: ein Haus,
das vorher hundert bis zweihundert Schafe weiden ließ und mehrere Joch Ochsen
für die Pflugarbcit zur Verfügung hatte, ist heute in kleine Stücke zerschlagen,
von denen keines seinen Mann nährt, keines ihn vollständig beschäftigen kann.

Um wenigstens einen Versuch zu machen, das vorxn8 äolioti einer slo¬
wakischen Hauskommunion — denn als eine solch gemeinschädliche Einrichtung
wird dieselbe doch wohl von unsern Nationalökonomen und Knlturhistorikern zumeist
betrachtet — in Augenschein zu nehmen, machte ich von Sillein am frühen
Morgen einen Abstecher mit der Bahn nach der nördlich gelegenen Station
Neustädtl (Iljllol^), wo ich zu allererst einige soeben sich öffnende Kaufladen
durchforschte, um meinen in Silleiu abhanden gekommenen Schirm durch einen
Gehstock zu ersetzen — vergebens, Gchstöcke werden in Neustädtl nicht ver¬
trieben. Ich klagte meine Not einem behäbigen Manne, der vor einem Ge¬
bäude vom Anschein eines Wirtshauses sich eine Morgenbewcgung machte —
es war der Wirt selbst, der die Gefälligkeit hatte, mir seinen eignen, erst kürzlich
geschnittenen und weißgeschälten Stab für meinen Gang anzubieten. Ich ver¬
stand diesen Wink des Schicksals und ging hinein, um einen Kaffee zu trinken
und meinen Gönner, der, nebenbei gesagt, kein semit war — eine, wie wir
später sehen werden, durchaus nicht überflüssige Bemerkung —, etwas auszuholen.
Er selbst wußte von Hauskommunioncn in der Umgegend nichts, kannte die¬
selben aber, was ich nicht vergessen will, anzumerken, aus Rumänien, und seine
Fran fügte hinzu, daß dieselben -noch heute bei den Flößern in Liptau vor-
kämen. Dann wanderte ich mit meinem weißen Pilgcrstabe in die Berge hinein
und gelangte nach einigen Stunden nach dem Ziele meines Marsches, dem
Dorfe Vadiuvov. Da meine Kenntnis der slowakischen Sprache zu gering war,
um fördcrsame Zwiesprache mit den Bauern zu Pflegen, die obendrein zumeist
im Felde bei der Arbeit waren, nahm ich meine Zuflucht zu der jüdischen
Schenke, wo mir die Wirtin — der Mann war nicht zu Hause — bei einem
Glase Säuerling weitern Bescheid gab, unterstützt von einem Nachbar, den sein
Hansirgcwerke bis nach Italien geführt hatte. Darnach kommt es noch vor,
daß mehrere verheiratete Brüder unter dem Vater in einem Hanse zusammen
leben, so beim Richter Salia im benachbarten Dorfe PaSie, nur sehr selten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/511>, abgerufen am 23.07.2024.