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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Germanische Altertümer ans den Bauerdörfern Nordungarns.

Stile, da die kühnen Reisenden in den unwirtlichen Bergen ihre Nachtherberge
bei Bauern hatten suchen müssen. Von hier wollten sie nach der Tatra gehen.

Das Schloß Trentschin ist, wie schon gesagt, eine Ruine, wie sie im Buche
steht. Da sind die geborstenen, zerklüfteten Mauern, da sind die öden Fensterhöhlen
aus denen das Grauen schauen könnte, wäre nicht der Ausblick so herrlich
ringsum auf die vielgestaltigen, über- und untereinander geschobenen Berg¬
gelände, die bald in behäbigerem Fall zu bebauten, von einzelnen Dörfern und
Kirchen belebten Hängen sich ausbreiten, bald zu waldbedeckten, dunkeln Berg¬
ketten anschießen. Da ist der hochragende Bergfried mit seiner lebensgefähr¬
lichen, innen angebrachten Hühnerstiege, die uns auf die weit auslugende Plat-
form sührt, da ist das Verließ mit seinem Moderduft, da ist die Kapelle. Da
ist der tief in den lebendigen Stein gehauene Brunnen, da ist endlich, wie sich
schickt, die Sage, die sich an eben diesen "Brunnen der Liebe" knüpft. Während
der Türkenkriege fiel, so erzählt man, die Gemahlin eines türkischen Paschas
eiuer Streifschaar des Schloßherrn in die Hände, und dieser verlangte als Lösung,
daß der liebende Gatte ihm durch türkische Werkleute einen Brunnen bauen ließ,
was denn auch geschah.

In dem kleinen Städtchen Sillein (^solna), wohin ich folgenden Tages
gelaugte, nahm ich einige Tage Aufenthalt, um vorläufige Erkundigungen ein¬
zuziehen und mich über die weitere Richtung der Reise schlüssig zu machen.
Ich mietete mich auf dem von Laubengängen umgebenen Ring in dem "Herren-
Gasthof" ein, der indes seiner pomphaften Aufschrift wenig Ehre machte, wie
man denn überhaupt hier oben in den Orten, wo einer Garnison und deren
kulinarischen Bedürfnissen nicht Rechnung getragen zu werden braucht, nicht
besonders aufgehoben ist. Der Zug der Zivilisation und der guten Köchinnen
geht eben donauabwärts und läßt die öden Gebirge des Nordens beiseite.
Sillein ist ein stiller Ort, dein man nicht anmerkt, daß es ein wichtiger Bcchn-
tnotenpunkt ist, insofern die Waagthalbahn, die sich hier, dein Laufe des Flusses
folgend, scharf nach Osten wendet, einen Zweig nach Norden über den Jablunkapaß
nach Oderberg entsendet, zum Anschluß an die deutscheu Bahnen. "Die Eisenbahn
hinterläßt uns -- können die Silleiner mit einem krainischen Bauer sagen --
nichts als stinkenden Rauch." Nur zur Zeit des Wochen Marktes belebt sich der
Ort mit einer Menge slowakischen Bauernvolks, das mit seinen echten Volks¬
trachten und seinen fremdartigen, bald mehr wilden, bald sehen und ordinär
blickenden Gesichtern die Bogengänge des Ringes füllt und unter andern in
Menge einen wunderbaren Käse feilbietet, der, von der Härte eines Geschosses,
in ausschweifend barocke Formen gebracht, mit Kerbschmtten und Arabesken
geziert, verdient, in unsern ethnographischen Museen aufgestellt zu werden, wo
er vielleicht in Gefahr geriete, von einem gelehrten Forscher für einen neuen
Negerfetisch erklärt zu werden.

Ehe ich Sillein verlasse, möchte ich zu Nutz und Frommen derjenigen, die


Germanische Altertümer ans den Bauerdörfern Nordungarns.

Stile, da die kühnen Reisenden in den unwirtlichen Bergen ihre Nachtherberge
bei Bauern hatten suchen müssen. Von hier wollten sie nach der Tatra gehen.

Das Schloß Trentschin ist, wie schon gesagt, eine Ruine, wie sie im Buche
steht. Da sind die geborstenen, zerklüfteten Mauern, da sind die öden Fensterhöhlen
aus denen das Grauen schauen könnte, wäre nicht der Ausblick so herrlich
ringsum auf die vielgestaltigen, über- und untereinander geschobenen Berg¬
gelände, die bald in behäbigerem Fall zu bebauten, von einzelnen Dörfern und
Kirchen belebten Hängen sich ausbreiten, bald zu waldbedeckten, dunkeln Berg¬
ketten anschießen. Da ist der hochragende Bergfried mit seiner lebensgefähr¬
lichen, innen angebrachten Hühnerstiege, die uns auf die weit auslugende Plat-
form sührt, da ist das Verließ mit seinem Moderduft, da ist die Kapelle. Da
ist der tief in den lebendigen Stein gehauene Brunnen, da ist endlich, wie sich
schickt, die Sage, die sich an eben diesen „Brunnen der Liebe" knüpft. Während
der Türkenkriege fiel, so erzählt man, die Gemahlin eines türkischen Paschas
eiuer Streifschaar des Schloßherrn in die Hände, und dieser verlangte als Lösung,
daß der liebende Gatte ihm durch türkische Werkleute einen Brunnen bauen ließ,
was denn auch geschah.

In dem kleinen Städtchen Sillein (^solna), wohin ich folgenden Tages
gelaugte, nahm ich einige Tage Aufenthalt, um vorläufige Erkundigungen ein¬
zuziehen und mich über die weitere Richtung der Reise schlüssig zu machen.
Ich mietete mich auf dem von Laubengängen umgebenen Ring in dem „Herren-
Gasthof" ein, der indes seiner pomphaften Aufschrift wenig Ehre machte, wie
man denn überhaupt hier oben in den Orten, wo einer Garnison und deren
kulinarischen Bedürfnissen nicht Rechnung getragen zu werden braucht, nicht
besonders aufgehoben ist. Der Zug der Zivilisation und der guten Köchinnen
geht eben donauabwärts und läßt die öden Gebirge des Nordens beiseite.
Sillein ist ein stiller Ort, dein man nicht anmerkt, daß es ein wichtiger Bcchn-
tnotenpunkt ist, insofern die Waagthalbahn, die sich hier, dein Laufe des Flusses
folgend, scharf nach Osten wendet, einen Zweig nach Norden über den Jablunkapaß
nach Oderberg entsendet, zum Anschluß an die deutscheu Bahnen. „Die Eisenbahn
hinterläßt uns — können die Silleiner mit einem krainischen Bauer sagen —
nichts als stinkenden Rauch." Nur zur Zeit des Wochen Marktes belebt sich der
Ort mit einer Menge slowakischen Bauernvolks, das mit seinen echten Volks¬
trachten und seinen fremdartigen, bald mehr wilden, bald sehen und ordinär
blickenden Gesichtern die Bogengänge des Ringes füllt und unter andern in
Menge einen wunderbaren Käse feilbietet, der, von der Härte eines Geschosses,
in ausschweifend barocke Formen gebracht, mit Kerbschmtten und Arabesken
geziert, verdient, in unsern ethnographischen Museen aufgestellt zu werden, wo
er vielleicht in Gefahr geriete, von einem gelehrten Forscher für einen neuen
Negerfetisch erklärt zu werden.

Ehe ich Sillein verlasse, möchte ich zu Nutz und Frommen derjenigen, die


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[0509] Germanische Altertümer ans den Bauerdörfern Nordungarns. Stile, da die kühnen Reisenden in den unwirtlichen Bergen ihre Nachtherberge bei Bauern hatten suchen müssen. Von hier wollten sie nach der Tatra gehen. Das Schloß Trentschin ist, wie schon gesagt, eine Ruine, wie sie im Buche steht. Da sind die geborstenen, zerklüfteten Mauern, da sind die öden Fensterhöhlen aus denen das Grauen schauen könnte, wäre nicht der Ausblick so herrlich ringsum auf die vielgestaltigen, über- und untereinander geschobenen Berg¬ gelände, die bald in behäbigerem Fall zu bebauten, von einzelnen Dörfern und Kirchen belebten Hängen sich ausbreiten, bald zu waldbedeckten, dunkeln Berg¬ ketten anschießen. Da ist der hochragende Bergfried mit seiner lebensgefähr¬ lichen, innen angebrachten Hühnerstiege, die uns auf die weit auslugende Plat- form sührt, da ist das Verließ mit seinem Moderduft, da ist die Kapelle. Da ist der tief in den lebendigen Stein gehauene Brunnen, da ist endlich, wie sich schickt, die Sage, die sich an eben diesen „Brunnen der Liebe" knüpft. Während der Türkenkriege fiel, so erzählt man, die Gemahlin eines türkischen Paschas eiuer Streifschaar des Schloßherrn in die Hände, und dieser verlangte als Lösung, daß der liebende Gatte ihm durch türkische Werkleute einen Brunnen bauen ließ, was denn auch geschah. In dem kleinen Städtchen Sillein (^solna), wohin ich folgenden Tages gelaugte, nahm ich einige Tage Aufenthalt, um vorläufige Erkundigungen ein¬ zuziehen und mich über die weitere Richtung der Reise schlüssig zu machen. Ich mietete mich auf dem von Laubengängen umgebenen Ring in dem „Herren- Gasthof" ein, der indes seiner pomphaften Aufschrift wenig Ehre machte, wie man denn überhaupt hier oben in den Orten, wo einer Garnison und deren kulinarischen Bedürfnissen nicht Rechnung getragen zu werden braucht, nicht besonders aufgehoben ist. Der Zug der Zivilisation und der guten Köchinnen geht eben donauabwärts und läßt die öden Gebirge des Nordens beiseite. Sillein ist ein stiller Ort, dein man nicht anmerkt, daß es ein wichtiger Bcchn- tnotenpunkt ist, insofern die Waagthalbahn, die sich hier, dein Laufe des Flusses folgend, scharf nach Osten wendet, einen Zweig nach Norden über den Jablunkapaß nach Oderberg entsendet, zum Anschluß an die deutscheu Bahnen. „Die Eisenbahn hinterläßt uns — können die Silleiner mit einem krainischen Bauer sagen — nichts als stinkenden Rauch." Nur zur Zeit des Wochen Marktes belebt sich der Ort mit einer Menge slowakischen Bauernvolks, das mit seinen echten Volks¬ trachten und seinen fremdartigen, bald mehr wilden, bald sehen und ordinär blickenden Gesichtern die Bogengänge des Ringes füllt und unter andern in Menge einen wunderbaren Käse feilbietet, der, von der Härte eines Geschosses, in ausschweifend barocke Formen gebracht, mit Kerbschmtten und Arabesken geziert, verdient, in unsern ethnographischen Museen aufgestellt zu werden, wo er vielleicht in Gefahr geriete, von einem gelehrten Forscher für einen neuen Negerfetisch erklärt zu werden. Ehe ich Sillein verlasse, möchte ich zu Nutz und Frommen derjenigen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/509>, abgerufen am 22.07.2024.