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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Bulgarien und sein Fürst.

Von Karawelvw, "um die Würde der bulgarischen Regierung aufrecht zu er¬
halten," ausdrücklich die Entfernung Zcmkvws aus dem Ministerium forderte,
wurde dieser genötigt, zu gehen, aber sofort wählte ihn das Sobrcmjc zum Vor¬
sitzenden seiner agrarischen Kommission. Minister des Innern wurde an seiner
Stelle Slaweikow.

Auch mit Karawelow ließ sich auf die Dauer nicht auskommen. Duldete
er doch Ansammlungen von Nihilisten im Lande und unterschlug er doch Briefe
seines Fürsten. Die Herrschaft der Liberalen mußte überhaupt ein Ende nehmen,
und zu dem Ende die Verfassung geändert werden. Nach der Ermordung
Alexanders II. reiste der Fürst nach Petersburg, um deu neuen Kaiser zu be¬
grüßen und zugleich dessen Genehmigung der Absichten einzuholen, die ihm jene
Notwendigkeiten eingaben. Es fiel ihm bei Alexander III. nicht schwer, sie zu
erlangen, zumal da auch Giers sich auf seine Seite stellte. In Wie", wo er
auf der Rückreise vorsprach, scheint man ihm ebensowenig Schwierigkeiten gemacht
zu haben, und so wurde" denn die Liberalen am 9. Mai 1881 durch eine Pro¬
klamation an den Straßenecken überrascht, in der es hieß: "Bulgaren, ich habe
die Verfassung beschworen und meinen Eid gehalten... Aber wenn derselbe
Unverletzlichkeit der Verfassung und der Gesetze des Fürstentums fordert, so
verpflichtet er mich auch, in allen meinen Handlungen die Wohlfahrt und das
Heil des Landes im Ange zu haben. Es ist aber im Interesse der Wohlfahrt
und des Heiles von Bulgarien, wenn ich es als heilige Pflicht betrachte, meinem
Volke feierlich zu erklären, daß der gegenwärtige Stand der Dinge mir die
Erfüllung meiner Aufgabe unmöglich macht. Indem ich mich ans die Rechte
stütze, die mir die Verfassung verleiht, habe ich beschlossen, in kürzester Frist das
Gvlemo Sobranje (die allein zur Änderung des Grundgesetzes befugte Landes-
versammlnng) einzuberufen, um ihm mit der Krone zugleich die Geschicke des
bulgarischen Volkes zurückzustellen. Um die materielle Ruhe zu verbürgen, der
Bevölkerung Zeit zur Überlegung des von ihr zu fassenden Entschlusses zu
verschaffen und die Freiheit der Wahlen zu sichern, habe ich meinen Kriegs¬
minister General Ehrnroth beauftragt, ein neues Kabinet zu bilden, das aber
nur bis zur Entscheidung des Golemo Sobranje regieren soll. Nur in dem
Falle, daß dieses die Bedingungen unterschreibt, die ich als für die Regierung
des Landes unerläßlich ansehe und die ich bezeichnen werde, ... kann ich die
Krone Bulgariens weiter tragen... Entgegengesetzten Falles bin ich entschlossen,
den fürstlichen Thron zu verlassen, mit Bedauern zwar, aber überzeugt, meine
Schuldigkeit bis zu Ende gethan zu haben."

Am 20. Mai nannte der Fürst in einem offenen Briefe an Ehrnroth die Be¬
dingungen, zwischen deren Annahme und seiner Abdankung das Golemo Sobranje
zu wählen haben sollte. Sie lauteten: "1. der Fürst Alexander I. von Bulgarien
ist für die Dauer von sieben Jahren mit außerordentlicher Macht bekleidet: er
wird befugt sein, Gesetze zur Schaffung neuer Einrichtungen zu erlassen, in


Bulgarien und sein Fürst.

Von Karawelvw, „um die Würde der bulgarischen Regierung aufrecht zu er¬
halten," ausdrücklich die Entfernung Zcmkvws aus dem Ministerium forderte,
wurde dieser genötigt, zu gehen, aber sofort wählte ihn das Sobrcmjc zum Vor¬
sitzenden seiner agrarischen Kommission. Minister des Innern wurde an seiner
Stelle Slaweikow.

Auch mit Karawelow ließ sich auf die Dauer nicht auskommen. Duldete
er doch Ansammlungen von Nihilisten im Lande und unterschlug er doch Briefe
seines Fürsten. Die Herrschaft der Liberalen mußte überhaupt ein Ende nehmen,
und zu dem Ende die Verfassung geändert werden. Nach der Ermordung
Alexanders II. reiste der Fürst nach Petersburg, um deu neuen Kaiser zu be¬
grüßen und zugleich dessen Genehmigung der Absichten einzuholen, die ihm jene
Notwendigkeiten eingaben. Es fiel ihm bei Alexander III. nicht schwer, sie zu
erlangen, zumal da auch Giers sich auf seine Seite stellte. In Wie», wo er
auf der Rückreise vorsprach, scheint man ihm ebensowenig Schwierigkeiten gemacht
zu haben, und so wurde» denn die Liberalen am 9. Mai 1881 durch eine Pro¬
klamation an den Straßenecken überrascht, in der es hieß: „Bulgaren, ich habe
die Verfassung beschworen und meinen Eid gehalten... Aber wenn derselbe
Unverletzlichkeit der Verfassung und der Gesetze des Fürstentums fordert, so
verpflichtet er mich auch, in allen meinen Handlungen die Wohlfahrt und das
Heil des Landes im Ange zu haben. Es ist aber im Interesse der Wohlfahrt
und des Heiles von Bulgarien, wenn ich es als heilige Pflicht betrachte, meinem
Volke feierlich zu erklären, daß der gegenwärtige Stand der Dinge mir die
Erfüllung meiner Aufgabe unmöglich macht. Indem ich mich ans die Rechte
stütze, die mir die Verfassung verleiht, habe ich beschlossen, in kürzester Frist das
Gvlemo Sobranje (die allein zur Änderung des Grundgesetzes befugte Landes-
versammlnng) einzuberufen, um ihm mit der Krone zugleich die Geschicke des
bulgarischen Volkes zurückzustellen. Um die materielle Ruhe zu verbürgen, der
Bevölkerung Zeit zur Überlegung des von ihr zu fassenden Entschlusses zu
verschaffen und die Freiheit der Wahlen zu sichern, habe ich meinen Kriegs¬
minister General Ehrnroth beauftragt, ein neues Kabinet zu bilden, das aber
nur bis zur Entscheidung des Golemo Sobranje regieren soll. Nur in dem
Falle, daß dieses die Bedingungen unterschreibt, die ich als für die Regierung
des Landes unerläßlich ansehe und die ich bezeichnen werde, ... kann ich die
Krone Bulgariens weiter tragen... Entgegengesetzten Falles bin ich entschlossen,
den fürstlichen Thron zu verlassen, mit Bedauern zwar, aber überzeugt, meine
Schuldigkeit bis zu Ende gethan zu haben."

Am 20. Mai nannte der Fürst in einem offenen Briefe an Ehrnroth die Be¬
dingungen, zwischen deren Annahme und seiner Abdankung das Golemo Sobranje
zu wählen haben sollte. Sie lauteten: „1. der Fürst Alexander I. von Bulgarien
ist für die Dauer von sieben Jahren mit außerordentlicher Macht bekleidet: er
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[0495] Bulgarien und sein Fürst. Von Karawelvw, „um die Würde der bulgarischen Regierung aufrecht zu er¬ halten," ausdrücklich die Entfernung Zcmkvws aus dem Ministerium forderte, wurde dieser genötigt, zu gehen, aber sofort wählte ihn das Sobrcmjc zum Vor¬ sitzenden seiner agrarischen Kommission. Minister des Innern wurde an seiner Stelle Slaweikow. Auch mit Karawelow ließ sich auf die Dauer nicht auskommen. Duldete er doch Ansammlungen von Nihilisten im Lande und unterschlug er doch Briefe seines Fürsten. Die Herrschaft der Liberalen mußte überhaupt ein Ende nehmen, und zu dem Ende die Verfassung geändert werden. Nach der Ermordung Alexanders II. reiste der Fürst nach Petersburg, um deu neuen Kaiser zu be¬ grüßen und zugleich dessen Genehmigung der Absichten einzuholen, die ihm jene Notwendigkeiten eingaben. Es fiel ihm bei Alexander III. nicht schwer, sie zu erlangen, zumal da auch Giers sich auf seine Seite stellte. In Wie», wo er auf der Rückreise vorsprach, scheint man ihm ebensowenig Schwierigkeiten gemacht zu haben, und so wurde» denn die Liberalen am 9. Mai 1881 durch eine Pro¬ klamation an den Straßenecken überrascht, in der es hieß: „Bulgaren, ich habe die Verfassung beschworen und meinen Eid gehalten... Aber wenn derselbe Unverletzlichkeit der Verfassung und der Gesetze des Fürstentums fordert, so verpflichtet er mich auch, in allen meinen Handlungen die Wohlfahrt und das Heil des Landes im Ange zu haben. Es ist aber im Interesse der Wohlfahrt und des Heiles von Bulgarien, wenn ich es als heilige Pflicht betrachte, meinem Volke feierlich zu erklären, daß der gegenwärtige Stand der Dinge mir die Erfüllung meiner Aufgabe unmöglich macht. Indem ich mich ans die Rechte stütze, die mir die Verfassung verleiht, habe ich beschlossen, in kürzester Frist das Gvlemo Sobranje (die allein zur Änderung des Grundgesetzes befugte Landes- versammlnng) einzuberufen, um ihm mit der Krone zugleich die Geschicke des bulgarischen Volkes zurückzustellen. Um die materielle Ruhe zu verbürgen, der Bevölkerung Zeit zur Überlegung des von ihr zu fassenden Entschlusses zu verschaffen und die Freiheit der Wahlen zu sichern, habe ich meinen Kriegs¬ minister General Ehrnroth beauftragt, ein neues Kabinet zu bilden, das aber nur bis zur Entscheidung des Golemo Sobranje regieren soll. Nur in dem Falle, daß dieses die Bedingungen unterschreibt, die ich als für die Regierung des Landes unerläßlich ansehe und die ich bezeichnen werde, ... kann ich die Krone Bulgariens weiter tragen... Entgegengesetzten Falles bin ich entschlossen, den fürstlichen Thron zu verlassen, mit Bedauern zwar, aber überzeugt, meine Schuldigkeit bis zu Ende gethan zu haben." Am 20. Mai nannte der Fürst in einem offenen Briefe an Ehrnroth die Be¬ dingungen, zwischen deren Annahme und seiner Abdankung das Golemo Sobranje zu wählen haben sollte. Sie lauteten: „1. der Fürst Alexander I. von Bulgarien ist für die Dauer von sieben Jahren mit außerordentlicher Macht bekleidet: er wird befugt sein, Gesetze zur Schaffung neuer Einrichtungen zu erlassen, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/495>, abgerufen am 22.07.2024.