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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Bulgarien und sein La'se.

Nachdem Fürst Alexander von Livadia aus die Höfe der übrigen Gro߬
mächte besucht und zuletzt auch seinem Lehnsherrn, den Sultan, seine Aufwartung
gemacht hatte, begab er sich nach Bulgarien, wo er am 5. Juli 1879 zu Varna
landete und vier Tage später in Tiruowo die Verfassung beschwor. Am 13.
langte er in Sofia an, und schon am 15. schritt er zur Vilduug eines Mini¬
steriums. Dasselbe sollte aus Vertretern beider Parteien des Svbranje, Kon¬
servativen und Liberalen, bestehe", wurde aber, da letztere nicht mit ersterem
dienen wollten, auf deu Rat Stvilows, des einflußreichen Ratgebers des Fürsten,
zuletzt ein ausschließlich konservatives. Burmow übernahm die Präsidentschaft
und das Portefeuille des Innern, Grckow die Justiz, Natschvwitsch die Finanzen,
Balabanow die auswärtigen Angelegenheiten, Atanasowitsch den Unterricht, und
das Kriegswesen erhielt der russische General Parenzvw, weil der Zar aus¬
drücklich verlangt hatte, daß stets ein russischer Militär an dessen Spitze ge¬
stellt werde. Die Liberalen, welche, von Zankow und dem damals sehr radikalen
Karawelow geleitet, mit Hilfe der Schulmeister die große Mehrheit des Volkes
für ihre Sache gewonnen hatten, beantworteten die Bildung dieses Kabinets
damit, daß sie bei den Wahlen im Oktober demselben eine überwältigende
oppositionelle Majorität ihrer Farbe entgegenstellten, die nach Zusammentritt
des Sobrcmje Karawelow zu dessen Präsidenten erhob und audern Tages der
Negierung ein feierliches Mißtrauensvotum erteilte. Darauf erfolgte am 6. De¬
zember die Auflösung der Versammlung, die, wie der betreffende Mas des
Fürsten sagte, weder genügende Bürgschaften für die regelmäßige Entwickelung
des Staates noch irgendwelche Hoffnung auf schließliche Unterstützung bot. Zu
gleicher Zeit wurde das Ministerium umgestaltet, aber nicht nach den Wünschen
der Liberalen, sondern nur durch den Rücktritt Burmows, Atanasowitschs und
Valabanows, für welche andre Konservative eintraten, indem der Bischof Kummt
Vranicki die Präsidentschaft und den Unterricht und der Ostrumelier Jkonomvw
das Innere übernahm. Die auswärtigen Angelegenheiten wurden bis auf
weiteres dem bisherigen Finanzminister Natschvwitsch übertragen.

Der Fürst hatte jetzt eingesehen, daß sich mit der Verfassung nicht regieren
ließ. Er begab sich in: Februar 1880 nach Petersburg, um sich vom Zaren
die Zustimmung zu einer Abänderung derselben zu erbitten, die in Vermehrung
der fürstlichen Rechte, Verminderung der Zahl der Abgeordneten, Wahl der
letztern zur Hälfte durch die Regierung, zur andern Hälfte durch die "Ge¬
bildeten" in der Bevölkerung (Bildung bescheiden als Besitz der Kunst zu lesen
und zu schreiben gemeint), ferner in Errichtung eines Senats, in Beschränkung
des Versammluugsrechtes und endlich in Einführung der Zensur bestehen sollte.
Der Kaiser Alexander II. empfahl seinem Neffen statt dessen, sich der liberalen
Partei zu nähern und einen mocws vivsnäi, zu suchen. Als der Fürst aber
nach seiner Rückkehr seine Bitte brieflich wiederholte, ließ er am 10. Mai durch
Giers die diplomatischen Agenten Rußlands in Sofia anweisen, dem Fürsten,


Bulgarien und sein La'se.

Nachdem Fürst Alexander von Livadia aus die Höfe der übrigen Gro߬
mächte besucht und zuletzt auch seinem Lehnsherrn, den Sultan, seine Aufwartung
gemacht hatte, begab er sich nach Bulgarien, wo er am 5. Juli 1879 zu Varna
landete und vier Tage später in Tiruowo die Verfassung beschwor. Am 13.
langte er in Sofia an, und schon am 15. schritt er zur Vilduug eines Mini¬
steriums. Dasselbe sollte aus Vertretern beider Parteien des Svbranje, Kon¬
servativen und Liberalen, bestehe», wurde aber, da letztere nicht mit ersterem
dienen wollten, auf deu Rat Stvilows, des einflußreichen Ratgebers des Fürsten,
zuletzt ein ausschließlich konservatives. Burmow übernahm die Präsidentschaft
und das Portefeuille des Innern, Grckow die Justiz, Natschvwitsch die Finanzen,
Balabanow die auswärtigen Angelegenheiten, Atanasowitsch den Unterricht, und
das Kriegswesen erhielt der russische General Parenzvw, weil der Zar aus¬
drücklich verlangt hatte, daß stets ein russischer Militär an dessen Spitze ge¬
stellt werde. Die Liberalen, welche, von Zankow und dem damals sehr radikalen
Karawelow geleitet, mit Hilfe der Schulmeister die große Mehrheit des Volkes
für ihre Sache gewonnen hatten, beantworteten die Bildung dieses Kabinets
damit, daß sie bei den Wahlen im Oktober demselben eine überwältigende
oppositionelle Majorität ihrer Farbe entgegenstellten, die nach Zusammentritt
des Sobrcmje Karawelow zu dessen Präsidenten erhob und audern Tages der
Negierung ein feierliches Mißtrauensvotum erteilte. Darauf erfolgte am 6. De¬
zember die Auflösung der Versammlung, die, wie der betreffende Mas des
Fürsten sagte, weder genügende Bürgschaften für die regelmäßige Entwickelung
des Staates noch irgendwelche Hoffnung auf schließliche Unterstützung bot. Zu
gleicher Zeit wurde das Ministerium umgestaltet, aber nicht nach den Wünschen
der Liberalen, sondern nur durch den Rücktritt Burmows, Atanasowitschs und
Valabanows, für welche andre Konservative eintraten, indem der Bischof Kummt
Vranicki die Präsidentschaft und den Unterricht und der Ostrumelier Jkonomvw
das Innere übernahm. Die auswärtigen Angelegenheiten wurden bis auf
weiteres dem bisherigen Finanzminister Natschvwitsch übertragen.

Der Fürst hatte jetzt eingesehen, daß sich mit der Verfassung nicht regieren
ließ. Er begab sich in: Februar 1880 nach Petersburg, um sich vom Zaren
die Zustimmung zu einer Abänderung derselben zu erbitten, die in Vermehrung
der fürstlichen Rechte, Verminderung der Zahl der Abgeordneten, Wahl der
letztern zur Hälfte durch die Regierung, zur andern Hälfte durch die „Ge¬
bildeten" in der Bevölkerung (Bildung bescheiden als Besitz der Kunst zu lesen
und zu schreiben gemeint), ferner in Errichtung eines Senats, in Beschränkung
des Versammluugsrechtes und endlich in Einführung der Zensur bestehen sollte.
Der Kaiser Alexander II. empfahl seinem Neffen statt dessen, sich der liberalen
Partei zu nähern und einen mocws vivsnäi, zu suchen. Als der Fürst aber
nach seiner Rückkehr seine Bitte brieflich wiederholte, ließ er am 10. Mai durch
Giers die diplomatischen Agenten Rußlands in Sofia anweisen, dem Fürsten,


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[0493] Bulgarien und sein La'se. Nachdem Fürst Alexander von Livadia aus die Höfe der übrigen Gro߬ mächte besucht und zuletzt auch seinem Lehnsherrn, den Sultan, seine Aufwartung gemacht hatte, begab er sich nach Bulgarien, wo er am 5. Juli 1879 zu Varna landete und vier Tage später in Tiruowo die Verfassung beschwor. Am 13. langte er in Sofia an, und schon am 15. schritt er zur Vilduug eines Mini¬ steriums. Dasselbe sollte aus Vertretern beider Parteien des Svbranje, Kon¬ servativen und Liberalen, bestehe», wurde aber, da letztere nicht mit ersterem dienen wollten, auf deu Rat Stvilows, des einflußreichen Ratgebers des Fürsten, zuletzt ein ausschließlich konservatives. Burmow übernahm die Präsidentschaft und das Portefeuille des Innern, Grckow die Justiz, Natschvwitsch die Finanzen, Balabanow die auswärtigen Angelegenheiten, Atanasowitsch den Unterricht, und das Kriegswesen erhielt der russische General Parenzvw, weil der Zar aus¬ drücklich verlangt hatte, daß stets ein russischer Militär an dessen Spitze ge¬ stellt werde. Die Liberalen, welche, von Zankow und dem damals sehr radikalen Karawelow geleitet, mit Hilfe der Schulmeister die große Mehrheit des Volkes für ihre Sache gewonnen hatten, beantworteten die Bildung dieses Kabinets damit, daß sie bei den Wahlen im Oktober demselben eine überwältigende oppositionelle Majorität ihrer Farbe entgegenstellten, die nach Zusammentritt des Sobrcmje Karawelow zu dessen Präsidenten erhob und audern Tages der Negierung ein feierliches Mißtrauensvotum erteilte. Darauf erfolgte am 6. De¬ zember die Auflösung der Versammlung, die, wie der betreffende Mas des Fürsten sagte, weder genügende Bürgschaften für die regelmäßige Entwickelung des Staates noch irgendwelche Hoffnung auf schließliche Unterstützung bot. Zu gleicher Zeit wurde das Ministerium umgestaltet, aber nicht nach den Wünschen der Liberalen, sondern nur durch den Rücktritt Burmows, Atanasowitschs und Valabanows, für welche andre Konservative eintraten, indem der Bischof Kummt Vranicki die Präsidentschaft und den Unterricht und der Ostrumelier Jkonomvw das Innere übernahm. Die auswärtigen Angelegenheiten wurden bis auf weiteres dem bisherigen Finanzminister Natschvwitsch übertragen. Der Fürst hatte jetzt eingesehen, daß sich mit der Verfassung nicht regieren ließ. Er begab sich in: Februar 1880 nach Petersburg, um sich vom Zaren die Zustimmung zu einer Abänderung derselben zu erbitten, die in Vermehrung der fürstlichen Rechte, Verminderung der Zahl der Abgeordneten, Wahl der letztern zur Hälfte durch die Regierung, zur andern Hälfte durch die „Ge¬ bildeten" in der Bevölkerung (Bildung bescheiden als Besitz der Kunst zu lesen und zu schreiben gemeint), ferner in Errichtung eines Senats, in Beschränkung des Versammluugsrechtes und endlich in Einführung der Zensur bestehen sollte. Der Kaiser Alexander II. empfahl seinem Neffen statt dessen, sich der liberalen Partei zu nähern und einen mocws vivsnäi, zu suchen. Als der Fürst aber nach seiner Rückkehr seine Bitte brieflich wiederholte, ließ er am 10. Mai durch Giers die diplomatischen Agenten Rußlands in Sofia anweisen, dem Fürsten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/493>, abgerufen am 22.07.2024.