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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Bulgarien und sein Fürst.

gariens, um über den Verfassungsentwurf Doudukows zu beraten, und da die
Mehrheit derselben aus Liberalen bestand, so wurde derselbe erst angenommen,
nachdem er noch mehr dem Sinne dieser Partei entsprechend gestaltet worden
war; namentlich beseitigte man den vom Verfasser vorgeschlagenen Staatsrat,
der zugleich als Senat sowie als Kassations- und als oberster Rechnungshof
dienen sollte, und votirte nur eine Kammer. Am 29. April trat das mittler¬
weile gewählte Parlament (Sobrcmje) zusammen, um die Wahl eines Fürsten
vorzunehmen. Dieselbe fiel auf Dondukow-Korsakow, da derselbe aber ablehnte
und erklärte, sein Kaiser wünsche, daß man sich für den Prinzen Alexander
Josef von Ballenberg entscheide, so bekam beim zweiten Wahlgänge dieser alle
Stimmen. Sofort reiste eine Deputation nach Livadia, wo der Prinz sich als
Gast des Kaisers Alexander II. aufhielt, und am 16. Mai erklärte jener den
Herren, daß er die ihm angetragne Würde annehme. Daß Nußland sich für
ihn entschieden, war erklärlich: er war als Sohn des Prinzen Alexander von
Hessen und der ihm morganatisch angetrauten Gräfin Hanale, ein Neffe der
Kaiserin von Nußland und doch kein Mitglied einer regierenden Dynastie, also
nicht durch den Berliner Frieden vom Throne Bulgariens ausgeschlossen, auch
kein Slawe, der Mißtrauen erwecken konnte, endlich ein junger Mann, dessen
schüchternes n"d unsicheres Auftreten am russischen Hofe hoffen ließ, er werde
den Wünschen und Absichten desselben keine Schwierigkeiten machen. Daß Prinz
Alexander sich bereit erklärte, die auf ihn gefallene Wahl anzunehmen, war
schwerer begreiflich. Der Thron, auf den er sich setzte, war, genauer besehen,
eine Pulvertonne, die Krone, die ihm geboten wurde, zeigte mehr Dornen als
Gold, die Stellung zu Nußland, in die er sich begab, sollte die eines willen¬
losen Vasallen, noch dazu auf Zeit, sein, die bulgarische Verfassung machte ihn
zum Spielbälle der Parteien. Das Schicksal serbischer Regenten, der Sturz Cusas
in Rumänien, die stete Gefahr, in welcher dessen Nachfolger während seiner ersten
Negierungsjcchre schwebte, König Otto von Griechenland mußten ihm vor die Augen
treten. Indes weiß man ja, wie viel solchen sonst aussichtslosen Fürstenkindern auch
ein nicht sehr bedeutendes Krönchen gilt, selbst wenn es bedenklicher Natur ist, und
zu seinem Ehrgeize trat das Selbstvertrauen der Jugend, das sich später als nicht
ungerechtfertigt zeigte. Er brachte nur mäßige allgemeine Bildung und geringe
Kenntnis des Volkes, das er beherrschen sollte, aber eine gute Dosis natürlichen
Verstandes und einen nicht kleineren Vorrat von den Anlagen mit, die zum
Diplomaten befähigen, die Gabe, sich zu verstellen und zu täuschen, den Blick,
der sich seinerseits nicht täuschen läßt, das Geschick, die Umstünde zu benutzen,
und ein weites Gewissen, mit dem er sich rasch in die Methode fand, nach der
man im Orient Politik zu treibe" gewohnt ist. Bald holte er nach, was ihm
bei seiner Erziehung zum preußischen Gardeleutnant beizubringen versäumt
wordeu war, schnell lebte er sich in die Verhältnisse ein, und zuletzt beherrschte
er sie, soweit wenigstens, als es ihre außerordentliche Schwierigkeit zuließ.


Bulgarien und sein Fürst.

gariens, um über den Verfassungsentwurf Doudukows zu beraten, und da die
Mehrheit derselben aus Liberalen bestand, so wurde derselbe erst angenommen,
nachdem er noch mehr dem Sinne dieser Partei entsprechend gestaltet worden
war; namentlich beseitigte man den vom Verfasser vorgeschlagenen Staatsrat,
der zugleich als Senat sowie als Kassations- und als oberster Rechnungshof
dienen sollte, und votirte nur eine Kammer. Am 29. April trat das mittler¬
weile gewählte Parlament (Sobrcmje) zusammen, um die Wahl eines Fürsten
vorzunehmen. Dieselbe fiel auf Dondukow-Korsakow, da derselbe aber ablehnte
und erklärte, sein Kaiser wünsche, daß man sich für den Prinzen Alexander
Josef von Ballenberg entscheide, so bekam beim zweiten Wahlgänge dieser alle
Stimmen. Sofort reiste eine Deputation nach Livadia, wo der Prinz sich als
Gast des Kaisers Alexander II. aufhielt, und am 16. Mai erklärte jener den
Herren, daß er die ihm angetragne Würde annehme. Daß Nußland sich für
ihn entschieden, war erklärlich: er war als Sohn des Prinzen Alexander von
Hessen und der ihm morganatisch angetrauten Gräfin Hanale, ein Neffe der
Kaiserin von Nußland und doch kein Mitglied einer regierenden Dynastie, also
nicht durch den Berliner Frieden vom Throne Bulgariens ausgeschlossen, auch
kein Slawe, der Mißtrauen erwecken konnte, endlich ein junger Mann, dessen
schüchternes n»d unsicheres Auftreten am russischen Hofe hoffen ließ, er werde
den Wünschen und Absichten desselben keine Schwierigkeiten machen. Daß Prinz
Alexander sich bereit erklärte, die auf ihn gefallene Wahl anzunehmen, war
schwerer begreiflich. Der Thron, auf den er sich setzte, war, genauer besehen,
eine Pulvertonne, die Krone, die ihm geboten wurde, zeigte mehr Dornen als
Gold, die Stellung zu Nußland, in die er sich begab, sollte die eines willen¬
losen Vasallen, noch dazu auf Zeit, sein, die bulgarische Verfassung machte ihn
zum Spielbälle der Parteien. Das Schicksal serbischer Regenten, der Sturz Cusas
in Rumänien, die stete Gefahr, in welcher dessen Nachfolger während seiner ersten
Negierungsjcchre schwebte, König Otto von Griechenland mußten ihm vor die Augen
treten. Indes weiß man ja, wie viel solchen sonst aussichtslosen Fürstenkindern auch
ein nicht sehr bedeutendes Krönchen gilt, selbst wenn es bedenklicher Natur ist, und
zu seinem Ehrgeize trat das Selbstvertrauen der Jugend, das sich später als nicht
ungerechtfertigt zeigte. Er brachte nur mäßige allgemeine Bildung und geringe
Kenntnis des Volkes, das er beherrschen sollte, aber eine gute Dosis natürlichen
Verstandes und einen nicht kleineren Vorrat von den Anlagen mit, die zum
Diplomaten befähigen, die Gabe, sich zu verstellen und zu täuschen, den Blick,
der sich seinerseits nicht täuschen läßt, das Geschick, die Umstünde zu benutzen,
und ein weites Gewissen, mit dem er sich rasch in die Methode fand, nach der
man im Orient Politik zu treibe» gewohnt ist. Bald holte er nach, was ihm
bei seiner Erziehung zum preußischen Gardeleutnant beizubringen versäumt
wordeu war, schnell lebte er sich in die Verhältnisse ein, und zuletzt beherrschte
er sie, soweit wenigstens, als es ihre außerordentliche Schwierigkeit zuließ.


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[0492] Bulgarien und sein Fürst. gariens, um über den Verfassungsentwurf Doudukows zu beraten, und da die Mehrheit derselben aus Liberalen bestand, so wurde derselbe erst angenommen, nachdem er noch mehr dem Sinne dieser Partei entsprechend gestaltet worden war; namentlich beseitigte man den vom Verfasser vorgeschlagenen Staatsrat, der zugleich als Senat sowie als Kassations- und als oberster Rechnungshof dienen sollte, und votirte nur eine Kammer. Am 29. April trat das mittler¬ weile gewählte Parlament (Sobrcmje) zusammen, um die Wahl eines Fürsten vorzunehmen. Dieselbe fiel auf Dondukow-Korsakow, da derselbe aber ablehnte und erklärte, sein Kaiser wünsche, daß man sich für den Prinzen Alexander Josef von Ballenberg entscheide, so bekam beim zweiten Wahlgänge dieser alle Stimmen. Sofort reiste eine Deputation nach Livadia, wo der Prinz sich als Gast des Kaisers Alexander II. aufhielt, und am 16. Mai erklärte jener den Herren, daß er die ihm angetragne Würde annehme. Daß Nußland sich für ihn entschieden, war erklärlich: er war als Sohn des Prinzen Alexander von Hessen und der ihm morganatisch angetrauten Gräfin Hanale, ein Neffe der Kaiserin von Nußland und doch kein Mitglied einer regierenden Dynastie, also nicht durch den Berliner Frieden vom Throne Bulgariens ausgeschlossen, auch kein Slawe, der Mißtrauen erwecken konnte, endlich ein junger Mann, dessen schüchternes n»d unsicheres Auftreten am russischen Hofe hoffen ließ, er werde den Wünschen und Absichten desselben keine Schwierigkeiten machen. Daß Prinz Alexander sich bereit erklärte, die auf ihn gefallene Wahl anzunehmen, war schwerer begreiflich. Der Thron, auf den er sich setzte, war, genauer besehen, eine Pulvertonne, die Krone, die ihm geboten wurde, zeigte mehr Dornen als Gold, die Stellung zu Nußland, in die er sich begab, sollte die eines willen¬ losen Vasallen, noch dazu auf Zeit, sein, die bulgarische Verfassung machte ihn zum Spielbälle der Parteien. Das Schicksal serbischer Regenten, der Sturz Cusas in Rumänien, die stete Gefahr, in welcher dessen Nachfolger während seiner ersten Negierungsjcchre schwebte, König Otto von Griechenland mußten ihm vor die Augen treten. Indes weiß man ja, wie viel solchen sonst aussichtslosen Fürstenkindern auch ein nicht sehr bedeutendes Krönchen gilt, selbst wenn es bedenklicher Natur ist, und zu seinem Ehrgeize trat das Selbstvertrauen der Jugend, das sich später als nicht ungerechtfertigt zeigte. Er brachte nur mäßige allgemeine Bildung und geringe Kenntnis des Volkes, das er beherrschen sollte, aber eine gute Dosis natürlichen Verstandes und einen nicht kleineren Vorrat von den Anlagen mit, die zum Diplomaten befähigen, die Gabe, sich zu verstellen und zu täuschen, den Blick, der sich seinerseits nicht täuschen läßt, das Geschick, die Umstünde zu benutzen, und ein weites Gewissen, mit dem er sich rasch in die Methode fand, nach der man im Orient Politik zu treibe» gewohnt ist. Bald holte er nach, was ihm bei seiner Erziehung zum preußischen Gardeleutnant beizubringen versäumt wordeu war, schnell lebte er sich in die Verhältnisse ein, und zuletzt beherrschte er sie, soweit wenigstens, als es ihre außerordentliche Schwierigkeit zuließ.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/492>, abgerufen am 22.07.2024.