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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshansen.

zürnte nicht, sie war nicht mehr, ein Schatten nur in der schimmernden, ver-
schwimmenden, linienlosen Mondnacht.

Als Therese geendigt hatte, sah der Graf langsam auf, dann faßte er ihre
Hand und sah sie gesenkten Hauptes an.

Sie geben uns wieder, was der größte Genius schuf, und wie geben Sie
es wieder! Haben Sie denn ein Recht, so alles in uns zu berühren, was
Empfindung ist? Er war erbarmungslos, er reißt uns umher, wohin sein
wilder, über alles großer Geist ihn treibt; aber dies Auflösen der Kraft in ein
wonniges, betäubendes Gefühl der Schwäche, das können Sie.

Sie war erregt durch die Musik. Seine Worte verstand sie nicht ganz,
sie hörte nur, daß er von Betäubung sprach. Was hatten seine Finger damit
zu thun? Sie brannten ihr plötzlich, und sie entzog ihm ihre Hand.

Die Gesellschaft war hinunter nach dem Speisezimmer gegangen, der
Saal leer geblieben, die Lampen verlöscht. Das Feuer glomm noch in roten
Kohlen durch das Dunkel, und aus dem Kabinet fiel der matte Schein der
Hängelampe. Da kam Therese zurück, um ein Tuch zu holen, und freute sich
an der angenehmen warmen Luft und dem Halbdunkel. Sie hätte hier bleiben
mögen.

Da regte sich jemand am Fenster. Therese! Es klang traurig und bittend.

Bist du noch hier, Georg? Ihre eigne Stimme erschien ihr fremd. Sie
war stehen geblieben, und das Herz klopfte ihr stark.

Komm her zu mir! Und als sie sich nicht rührte, wiederholte er es. Sie
hatte seine Stimme noch nie so weich gehört und sich noch niemals so sehr
gefürchtet.

Ich kann nicht.

Komm!

Sie verließ den Raum, als wäre es eine brennende Stadt. Er blieb allein.
Warum war sie nicht gekommen? Er wollte nur warnen vor einer Gefahr,
die ihm drohend schien, nicht für sich reden, nicht von sich. Warum gab sie
ihn: kein Frcuudcsrccht? Und für den Fremden hatte sie das süßeste Lächeln
gehabt! So nahm sie das falsche Gold für echt -- das echte blieb liegen.
Traurig und müde stützte er den Kopf in die Hand. Es war so nutzlos, sich
jede Stunde zu peinigen, für sie nutzlos und für ihn, und doch konnte ers nicht
lassen!

Das geht nicht länger so, sagte er sich.

Beim Abendessen äußerte Karoline Dusele, er sehe leidend aus. Unwill¬
kürlich sah er nach der Schwägerin und begegnete ihrem Blicke, sie hatte die
Augen voller Thränen. Er wagte nicht mehr, sie anzusehen.

Die Schlitten standen schon vor der Thür, als Fräulein Dusele Georg
aufforderte, ihr noch einmal seinen neuen Barometer zu zeigen. So wanderten
sie mit einem Lichte nach seinem Zimmer. Hier, sagte er, hier ist er.


Aus der Lhronik derer von Riffelshansen.

zürnte nicht, sie war nicht mehr, ein Schatten nur in der schimmernden, ver-
schwimmenden, linienlosen Mondnacht.

Als Therese geendigt hatte, sah der Graf langsam auf, dann faßte er ihre
Hand und sah sie gesenkten Hauptes an.

Sie geben uns wieder, was der größte Genius schuf, und wie geben Sie
es wieder! Haben Sie denn ein Recht, so alles in uns zu berühren, was
Empfindung ist? Er war erbarmungslos, er reißt uns umher, wohin sein
wilder, über alles großer Geist ihn treibt; aber dies Auflösen der Kraft in ein
wonniges, betäubendes Gefühl der Schwäche, das können Sie.

Sie war erregt durch die Musik. Seine Worte verstand sie nicht ganz,
sie hörte nur, daß er von Betäubung sprach. Was hatten seine Finger damit
zu thun? Sie brannten ihr plötzlich, und sie entzog ihm ihre Hand.

Die Gesellschaft war hinunter nach dem Speisezimmer gegangen, der
Saal leer geblieben, die Lampen verlöscht. Das Feuer glomm noch in roten
Kohlen durch das Dunkel, und aus dem Kabinet fiel der matte Schein der
Hängelampe. Da kam Therese zurück, um ein Tuch zu holen, und freute sich
an der angenehmen warmen Luft und dem Halbdunkel. Sie hätte hier bleiben
mögen.

Da regte sich jemand am Fenster. Therese! Es klang traurig und bittend.

Bist du noch hier, Georg? Ihre eigne Stimme erschien ihr fremd. Sie
war stehen geblieben, und das Herz klopfte ihr stark.

Komm her zu mir! Und als sie sich nicht rührte, wiederholte er es. Sie
hatte seine Stimme noch nie so weich gehört und sich noch niemals so sehr
gefürchtet.

Ich kann nicht.

Komm!

Sie verließ den Raum, als wäre es eine brennende Stadt. Er blieb allein.
Warum war sie nicht gekommen? Er wollte nur warnen vor einer Gefahr,
die ihm drohend schien, nicht für sich reden, nicht von sich. Warum gab sie
ihn: kein Frcuudcsrccht? Und für den Fremden hatte sie das süßeste Lächeln
gehabt! So nahm sie das falsche Gold für echt — das echte blieb liegen.
Traurig und müde stützte er den Kopf in die Hand. Es war so nutzlos, sich
jede Stunde zu peinigen, für sie nutzlos und für ihn, und doch konnte ers nicht
lassen!

Das geht nicht länger so, sagte er sich.

Beim Abendessen äußerte Karoline Dusele, er sehe leidend aus. Unwill¬
kürlich sah er nach der Schwägerin und begegnete ihrem Blicke, sie hatte die
Augen voller Thränen. Er wagte nicht mehr, sie anzusehen.

Die Schlitten standen schon vor der Thür, als Fräulein Dusele Georg
aufforderte, ihr noch einmal seinen neuen Barometer zu zeigen. So wanderten
sie mit einem Lichte nach seinem Zimmer. Hier, sagte er, hier ist er.


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[0484] Aus der Lhronik derer von Riffelshansen. zürnte nicht, sie war nicht mehr, ein Schatten nur in der schimmernden, ver- schwimmenden, linienlosen Mondnacht. Als Therese geendigt hatte, sah der Graf langsam auf, dann faßte er ihre Hand und sah sie gesenkten Hauptes an. Sie geben uns wieder, was der größte Genius schuf, und wie geben Sie es wieder! Haben Sie denn ein Recht, so alles in uns zu berühren, was Empfindung ist? Er war erbarmungslos, er reißt uns umher, wohin sein wilder, über alles großer Geist ihn treibt; aber dies Auflösen der Kraft in ein wonniges, betäubendes Gefühl der Schwäche, das können Sie. Sie war erregt durch die Musik. Seine Worte verstand sie nicht ganz, sie hörte nur, daß er von Betäubung sprach. Was hatten seine Finger damit zu thun? Sie brannten ihr plötzlich, und sie entzog ihm ihre Hand. Die Gesellschaft war hinunter nach dem Speisezimmer gegangen, der Saal leer geblieben, die Lampen verlöscht. Das Feuer glomm noch in roten Kohlen durch das Dunkel, und aus dem Kabinet fiel der matte Schein der Hängelampe. Da kam Therese zurück, um ein Tuch zu holen, und freute sich an der angenehmen warmen Luft und dem Halbdunkel. Sie hätte hier bleiben mögen. Da regte sich jemand am Fenster. Therese! Es klang traurig und bittend. Bist du noch hier, Georg? Ihre eigne Stimme erschien ihr fremd. Sie war stehen geblieben, und das Herz klopfte ihr stark. Komm her zu mir! Und als sie sich nicht rührte, wiederholte er es. Sie hatte seine Stimme noch nie so weich gehört und sich noch niemals so sehr gefürchtet. Ich kann nicht. Komm! Sie verließ den Raum, als wäre es eine brennende Stadt. Er blieb allein. Warum war sie nicht gekommen? Er wollte nur warnen vor einer Gefahr, die ihm drohend schien, nicht für sich reden, nicht von sich. Warum gab sie ihn: kein Frcuudcsrccht? Und für den Fremden hatte sie das süßeste Lächeln gehabt! So nahm sie das falsche Gold für echt — das echte blieb liegen. Traurig und müde stützte er den Kopf in die Hand. Es war so nutzlos, sich jede Stunde zu peinigen, für sie nutzlos und für ihn, und doch konnte ers nicht lassen! Das geht nicht länger so, sagte er sich. Beim Abendessen äußerte Karoline Dusele, er sehe leidend aus. Unwill¬ kürlich sah er nach der Schwägerin und begegnete ihrem Blicke, sie hatte die Augen voller Thränen. Er wagte nicht mehr, sie anzusehen. Die Schlitten standen schon vor der Thür, als Fräulein Dusele Georg aufforderte, ihr noch einmal seinen neuen Barometer zu zeigen. So wanderten sie mit einem Lichte nach seinem Zimmer. Hier, sagte er, hier ist er.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/484>, abgerufen am 03.07.2024.