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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Noch einmal die Anträge Hammerstoin.

rauben. Darum haben sie es für besonders dringende Pflicht gehalten, durch
gute Ersatzmänner noch für eine ganze Generation die Stellen in gleichartiger
Richtung zu erhalten. Das ist ganz natürlich, und wir sind fern davon, sie
zu tadeln, oder zu sagen, diese Ersatzmänner seien nicht mit aller Gewissen¬
haftigkeit gewählt worden, oder gar zu wünschen, es möchte eine entgegengesetzte
Richtung, etwa die Männer des Protestantenvereins, zum Siege kommen. Das
ganze System ist nicht das richtige.

Es hat vor Zeiten Leute genug gegeben, die den Minister Eichhorn und
das damalige Kirchenregiment haßte", weil sie deren orthodoxe Richtung mi߬
billigten. Wären durch eine Revolution Uhlich und die Lichtfreunde oder
David Strauß ans Ruder gekommen und hätten im Regiment der Kirche und
Schule entsprechende Verwüstungen angerichtet, so würde ihnen das Staats¬
kirchenwesen keinen Widerwillen mehr eingeflößt haben. Wir sind gegenwärtig
nicht ganz so unvorsichtig. Man könnte sagen, die Idee der selbstverwaltenden
Genossenschaften greife um sich. Die Kirche ist eine solche. Durch den Dienst
auf den unteren Stufen dieses Kirchenwesens erzeugt sich ein spezifisches Inter¬
esse für dasselbe, und wenn in solchem Dienst vielleicht nicht in schnellster Weise
das Vollkommene entsteht, so werden doch üble Experimente und Radikalismus
und auch Versteifung nud Verhetzung vermieden.

Wir haben einen Nahmen für eine solche Genossenschastsvrdnnng in der
evangelischen Kirche. Wird sie einmal mehr in das Bewußtsein aufgenommen
sein, so werdeir wir weiter kommen, und die Befugnisse der landeskirchlichen
Verwaltung und des konstitutionellen Staatswesens werden sich nach und nach
vermindern. Aufhören dürfen sie nie. Alle genossenschaftlichen Körper -- und
wir haben auf wirtschaftlichem Gebiete vorzügliche Organisationsentwürfe
von Ed. Braun -- bedürfen der staatlichen Leitung in der zentralen Instanz,
und so wird auch kein Verständiger die Kirche rein als Genossenschaft denken.
Aber sie darf nicht zu früh und nur um des Ganzen willen staatliche Begren-
zung haben. Wo diese Grenze anfängt, darüber wollen wir uns auf die spe¬
zielleren Vorschläge der Herren Hammerstein-Stöcker hin, wenn sie erst vor¬
gelegt worden sind, gern verständigen.

Wir haben bei der Freiheit der Kirche noch einen sehr wichtigen Punkt
bis hierher verschoben. Man kann eben Freiheit der Kirche, als eines Ganzen
gegenüber einem andern Ganzen wie dem Staate, allein im Auge haben, oder
die Freiheit des Einzelnen in der Kirche von der Kirche auch noch schätzen.
Bei den alten Staaten finden loir zuweilen, daß sich diese Seiten polarisch
zu einander verhalten. Der Einzelne ist nichts, der Staat alles. Ähnlich ist
es in der katholischen Kirche noch jetzt. Wie scharf tritt man dem Staat und
den Ketzern im Interesse der römischen Institution entgegen, aber der Einzelne
maß sich beugen in allem, was kirchlich geregelt werden kann. Keiner darf
eigne Wege gehen, auch in ziemlich abgelegnen Gebieten, wie Psychologie, darf


Noch einmal die Anträge Hammerstoin.

rauben. Darum haben sie es für besonders dringende Pflicht gehalten, durch
gute Ersatzmänner noch für eine ganze Generation die Stellen in gleichartiger
Richtung zu erhalten. Das ist ganz natürlich, und wir sind fern davon, sie
zu tadeln, oder zu sagen, diese Ersatzmänner seien nicht mit aller Gewissen¬
haftigkeit gewählt worden, oder gar zu wünschen, es möchte eine entgegengesetzte
Richtung, etwa die Männer des Protestantenvereins, zum Siege kommen. Das
ganze System ist nicht das richtige.

Es hat vor Zeiten Leute genug gegeben, die den Minister Eichhorn und
das damalige Kirchenregiment haßte», weil sie deren orthodoxe Richtung mi߬
billigten. Wären durch eine Revolution Uhlich und die Lichtfreunde oder
David Strauß ans Ruder gekommen und hätten im Regiment der Kirche und
Schule entsprechende Verwüstungen angerichtet, so würde ihnen das Staats¬
kirchenwesen keinen Widerwillen mehr eingeflößt haben. Wir sind gegenwärtig
nicht ganz so unvorsichtig. Man könnte sagen, die Idee der selbstverwaltenden
Genossenschaften greife um sich. Die Kirche ist eine solche. Durch den Dienst
auf den unteren Stufen dieses Kirchenwesens erzeugt sich ein spezifisches Inter¬
esse für dasselbe, und wenn in solchem Dienst vielleicht nicht in schnellster Weise
das Vollkommene entsteht, so werden doch üble Experimente und Radikalismus
und auch Versteifung nud Verhetzung vermieden.

Wir haben einen Nahmen für eine solche Genossenschastsvrdnnng in der
evangelischen Kirche. Wird sie einmal mehr in das Bewußtsein aufgenommen
sein, so werdeir wir weiter kommen, und die Befugnisse der landeskirchlichen
Verwaltung und des konstitutionellen Staatswesens werden sich nach und nach
vermindern. Aufhören dürfen sie nie. Alle genossenschaftlichen Körper — und
wir haben auf wirtschaftlichem Gebiete vorzügliche Organisationsentwürfe
von Ed. Braun — bedürfen der staatlichen Leitung in der zentralen Instanz,
und so wird auch kein Verständiger die Kirche rein als Genossenschaft denken.
Aber sie darf nicht zu früh und nur um des Ganzen willen staatliche Begren-
zung haben. Wo diese Grenze anfängt, darüber wollen wir uns auf die spe¬
zielleren Vorschläge der Herren Hammerstein-Stöcker hin, wenn sie erst vor¬
gelegt worden sind, gern verständigen.

Wir haben bei der Freiheit der Kirche noch einen sehr wichtigen Punkt
bis hierher verschoben. Man kann eben Freiheit der Kirche, als eines Ganzen
gegenüber einem andern Ganzen wie dem Staate, allein im Auge haben, oder
die Freiheit des Einzelnen in der Kirche von der Kirche auch noch schätzen.
Bei den alten Staaten finden loir zuweilen, daß sich diese Seiten polarisch
zu einander verhalten. Der Einzelne ist nichts, der Staat alles. Ähnlich ist
es in der katholischen Kirche noch jetzt. Wie scharf tritt man dem Staat und
den Ketzern im Interesse der römischen Institution entgegen, aber der Einzelne
maß sich beugen in allem, was kirchlich geregelt werden kann. Keiner darf
eigne Wege gehen, auch in ziemlich abgelegnen Gebieten, wie Psychologie, darf


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[0477] Noch einmal die Anträge Hammerstoin. rauben. Darum haben sie es für besonders dringende Pflicht gehalten, durch gute Ersatzmänner noch für eine ganze Generation die Stellen in gleichartiger Richtung zu erhalten. Das ist ganz natürlich, und wir sind fern davon, sie zu tadeln, oder zu sagen, diese Ersatzmänner seien nicht mit aller Gewissen¬ haftigkeit gewählt worden, oder gar zu wünschen, es möchte eine entgegengesetzte Richtung, etwa die Männer des Protestantenvereins, zum Siege kommen. Das ganze System ist nicht das richtige. Es hat vor Zeiten Leute genug gegeben, die den Minister Eichhorn und das damalige Kirchenregiment haßte», weil sie deren orthodoxe Richtung mi߬ billigten. Wären durch eine Revolution Uhlich und die Lichtfreunde oder David Strauß ans Ruder gekommen und hätten im Regiment der Kirche und Schule entsprechende Verwüstungen angerichtet, so würde ihnen das Staats¬ kirchenwesen keinen Widerwillen mehr eingeflößt haben. Wir sind gegenwärtig nicht ganz so unvorsichtig. Man könnte sagen, die Idee der selbstverwaltenden Genossenschaften greife um sich. Die Kirche ist eine solche. Durch den Dienst auf den unteren Stufen dieses Kirchenwesens erzeugt sich ein spezifisches Inter¬ esse für dasselbe, und wenn in solchem Dienst vielleicht nicht in schnellster Weise das Vollkommene entsteht, so werden doch üble Experimente und Radikalismus und auch Versteifung nud Verhetzung vermieden. Wir haben einen Nahmen für eine solche Genossenschastsvrdnnng in der evangelischen Kirche. Wird sie einmal mehr in das Bewußtsein aufgenommen sein, so werdeir wir weiter kommen, und die Befugnisse der landeskirchlichen Verwaltung und des konstitutionellen Staatswesens werden sich nach und nach vermindern. Aufhören dürfen sie nie. Alle genossenschaftlichen Körper — und wir haben auf wirtschaftlichem Gebiete vorzügliche Organisationsentwürfe von Ed. Braun — bedürfen der staatlichen Leitung in der zentralen Instanz, und so wird auch kein Verständiger die Kirche rein als Genossenschaft denken. Aber sie darf nicht zu früh und nur um des Ganzen willen staatliche Begren- zung haben. Wo diese Grenze anfängt, darüber wollen wir uns auf die spe¬ zielleren Vorschläge der Herren Hammerstein-Stöcker hin, wenn sie erst vor¬ gelegt worden sind, gern verständigen. Wir haben bei der Freiheit der Kirche noch einen sehr wichtigen Punkt bis hierher verschoben. Man kann eben Freiheit der Kirche, als eines Ganzen gegenüber einem andern Ganzen wie dem Staate, allein im Auge haben, oder die Freiheit des Einzelnen in der Kirche von der Kirche auch noch schätzen. Bei den alten Staaten finden loir zuweilen, daß sich diese Seiten polarisch zu einander verhalten. Der Einzelne ist nichts, der Staat alles. Ähnlich ist es in der katholischen Kirche noch jetzt. Wie scharf tritt man dem Staat und den Ketzern im Interesse der römischen Institution entgegen, aber der Einzelne maß sich beugen in allem, was kirchlich geregelt werden kann. Keiner darf eigne Wege gehen, auch in ziemlich abgelegnen Gebieten, wie Psychologie, darf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/477>, abgerufen am 22.07.2024.