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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

leugbare Thatsache darum weniger erkannt wird, weil bei uns der Wirt in der
Regel zugleich auch Eigentümer ist. Allein dies ändert an der Sache nichts.
Er würde einsehen, daß er auch bei den niedrigen Fruchtpreisen bestehen und
gedeihen kann, sobald er sich nur eingestehen wollte, daß der Preis, für welchen
er das Gut in seine Rechnung einsetzt und dessen Zins er in die Produktions¬
kosten aufnimmt, ein eingebildeter ist, auf einer Selbsttäuschung beruht.

Was soll dieser Kampf gegen die Konkurrenz des Auslandes, den die
Agrarier unternommen haben und mit soviel Leidenschaft führen? Ihr wollt
hohe Preise? Aber wozu haben wir Milliarden für unsre Eisenbahnen aus¬
gegeben, wozu haben wir uns selbst in fremdem Lande bei Durchstechung von
Bergen mit Millionen beteiligt und damit die Solidarität der Welt im Verkehr
anerkannt? Wozu müht sich unsre Wissenschaft ab, den Widerstand, welchen
die Natur dem Menschen leistet, mehr und mehr zu überwinden? Wozu anders
geschieht das alles, als um die Erzeugnisse der menschlichen Arbeit weiteren
Kreisen, d. h. tieferen Stufen der sozialen Pyramide, zugänglich zu machen
oder mit andern Worten sie zu billigeren Preisen herzustellen? Fürwahr, wenn
wir fortan den umgekehrten Weg gehen müßten, den uns die Agrarier zeigen, so
wären wir mit unsrer Weisheit am Ende, wären, um mit Herrn von Erffa zu
reden, mit unsrer Zivilisation Bankerott und könnten nichts besseres thun, als
Bebel und Most zu Hilfe zu rufen, um uns eine neue, anders geartete Kultur
zu gründen.

Ich bin kein Freihändler, vielmehr erkenne ich unbedingt an, daß Schutz¬
zölle unter Umständen zulässig, ja geboten seien. Aber doch nur alsdann, wenn
es sich darum handelt, eine wirtschaftliche Thätigkeit zu schützen, die etwa noch
nicht oder nicht mehr stark genug ist, um deu 8trvMlo ol' eng zu bestehen.
Aber Schutzzölle find nicht dazu da, um Monopole in einem künstlichen Werte
zu erhalten, den ihnen das Leben nicht mehr zugesteht.

Es liegt im eigensten Wesen des Monopols, daß sein Wert veränderlich
ist. Das Eigentum an Grund und Boden ruht ursprünglich im Landesherrn
als Obereigentümcr. Für die Dienste, zunächst Beihilfe im Kriege, verlieh er
seinen Vasallen Strecken Landes zu wirtschaftlicher Ausbeute; auch viel später
noch wurden die Ministerialen für ihre Hof- und Bemntendienste durch Ver¬
leihung von Gütern belohnt. Durch das ganze Mittelalter hindurch, von noch
späteren Zeiten zu schweigen, finden wir die Anschauung in praktischer Geltung,
daß an dem Grund und Boden Verpflichtungen gegen das Gemeinwesen hasten-
Die Nichterfüllung derselben war Felonie und hatte die VerWirkung des Bodens
zur Folge. Die Erblichkeit der Lehne hat sich erst später ausgebildet, jedoch
blieb der Heimfall des Gutes an den Lehensherrn im Falle des Aussterbens
der berechtigten Familie noch lange geltendes Recht. Ähnlich waren diese Be¬
ziehungen zwischen Lehen und Afterlehen. Erst mit dem Erstarken des Adels,
dem Verfall der kaiserlichen Macht und dem Eindringen des römischen Rechtes


Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

leugbare Thatsache darum weniger erkannt wird, weil bei uns der Wirt in der
Regel zugleich auch Eigentümer ist. Allein dies ändert an der Sache nichts.
Er würde einsehen, daß er auch bei den niedrigen Fruchtpreisen bestehen und
gedeihen kann, sobald er sich nur eingestehen wollte, daß der Preis, für welchen
er das Gut in seine Rechnung einsetzt und dessen Zins er in die Produktions¬
kosten aufnimmt, ein eingebildeter ist, auf einer Selbsttäuschung beruht.

Was soll dieser Kampf gegen die Konkurrenz des Auslandes, den die
Agrarier unternommen haben und mit soviel Leidenschaft führen? Ihr wollt
hohe Preise? Aber wozu haben wir Milliarden für unsre Eisenbahnen aus¬
gegeben, wozu haben wir uns selbst in fremdem Lande bei Durchstechung von
Bergen mit Millionen beteiligt und damit die Solidarität der Welt im Verkehr
anerkannt? Wozu müht sich unsre Wissenschaft ab, den Widerstand, welchen
die Natur dem Menschen leistet, mehr und mehr zu überwinden? Wozu anders
geschieht das alles, als um die Erzeugnisse der menschlichen Arbeit weiteren
Kreisen, d. h. tieferen Stufen der sozialen Pyramide, zugänglich zu machen
oder mit andern Worten sie zu billigeren Preisen herzustellen? Fürwahr, wenn
wir fortan den umgekehrten Weg gehen müßten, den uns die Agrarier zeigen, so
wären wir mit unsrer Weisheit am Ende, wären, um mit Herrn von Erffa zu
reden, mit unsrer Zivilisation Bankerott und könnten nichts besseres thun, als
Bebel und Most zu Hilfe zu rufen, um uns eine neue, anders geartete Kultur
zu gründen.

Ich bin kein Freihändler, vielmehr erkenne ich unbedingt an, daß Schutz¬
zölle unter Umständen zulässig, ja geboten seien. Aber doch nur alsdann, wenn
es sich darum handelt, eine wirtschaftliche Thätigkeit zu schützen, die etwa noch
nicht oder nicht mehr stark genug ist, um deu 8trvMlo ol' eng zu bestehen.
Aber Schutzzölle find nicht dazu da, um Monopole in einem künstlichen Werte
zu erhalten, den ihnen das Leben nicht mehr zugesteht.

Es liegt im eigensten Wesen des Monopols, daß sein Wert veränderlich
ist. Das Eigentum an Grund und Boden ruht ursprünglich im Landesherrn
als Obereigentümcr. Für die Dienste, zunächst Beihilfe im Kriege, verlieh er
seinen Vasallen Strecken Landes zu wirtschaftlicher Ausbeute; auch viel später
noch wurden die Ministerialen für ihre Hof- und Bemntendienste durch Ver¬
leihung von Gütern belohnt. Durch das ganze Mittelalter hindurch, von noch
späteren Zeiten zu schweigen, finden wir die Anschauung in praktischer Geltung,
daß an dem Grund und Boden Verpflichtungen gegen das Gemeinwesen hasten-
Die Nichterfüllung derselben war Felonie und hatte die VerWirkung des Bodens
zur Folge. Die Erblichkeit der Lehne hat sich erst später ausgebildet, jedoch
blieb der Heimfall des Gutes an den Lehensherrn im Falle des Aussterbens
der berechtigten Familie noch lange geltendes Recht. Ähnlich waren diese Be¬
ziehungen zwischen Lehen und Afterlehen. Erst mit dem Erstarken des Adels,
dem Verfall der kaiserlichen Macht und dem Eindringen des römischen Rechtes


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[0462] Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen. leugbare Thatsache darum weniger erkannt wird, weil bei uns der Wirt in der Regel zugleich auch Eigentümer ist. Allein dies ändert an der Sache nichts. Er würde einsehen, daß er auch bei den niedrigen Fruchtpreisen bestehen und gedeihen kann, sobald er sich nur eingestehen wollte, daß der Preis, für welchen er das Gut in seine Rechnung einsetzt und dessen Zins er in die Produktions¬ kosten aufnimmt, ein eingebildeter ist, auf einer Selbsttäuschung beruht. Was soll dieser Kampf gegen die Konkurrenz des Auslandes, den die Agrarier unternommen haben und mit soviel Leidenschaft führen? Ihr wollt hohe Preise? Aber wozu haben wir Milliarden für unsre Eisenbahnen aus¬ gegeben, wozu haben wir uns selbst in fremdem Lande bei Durchstechung von Bergen mit Millionen beteiligt und damit die Solidarität der Welt im Verkehr anerkannt? Wozu müht sich unsre Wissenschaft ab, den Widerstand, welchen die Natur dem Menschen leistet, mehr und mehr zu überwinden? Wozu anders geschieht das alles, als um die Erzeugnisse der menschlichen Arbeit weiteren Kreisen, d. h. tieferen Stufen der sozialen Pyramide, zugänglich zu machen oder mit andern Worten sie zu billigeren Preisen herzustellen? Fürwahr, wenn wir fortan den umgekehrten Weg gehen müßten, den uns die Agrarier zeigen, so wären wir mit unsrer Weisheit am Ende, wären, um mit Herrn von Erffa zu reden, mit unsrer Zivilisation Bankerott und könnten nichts besseres thun, als Bebel und Most zu Hilfe zu rufen, um uns eine neue, anders geartete Kultur zu gründen. Ich bin kein Freihändler, vielmehr erkenne ich unbedingt an, daß Schutz¬ zölle unter Umständen zulässig, ja geboten seien. Aber doch nur alsdann, wenn es sich darum handelt, eine wirtschaftliche Thätigkeit zu schützen, die etwa noch nicht oder nicht mehr stark genug ist, um deu 8trvMlo ol' eng zu bestehen. Aber Schutzzölle find nicht dazu da, um Monopole in einem künstlichen Werte zu erhalten, den ihnen das Leben nicht mehr zugesteht. Es liegt im eigensten Wesen des Monopols, daß sein Wert veränderlich ist. Das Eigentum an Grund und Boden ruht ursprünglich im Landesherrn als Obereigentümcr. Für die Dienste, zunächst Beihilfe im Kriege, verlieh er seinen Vasallen Strecken Landes zu wirtschaftlicher Ausbeute; auch viel später noch wurden die Ministerialen für ihre Hof- und Bemntendienste durch Ver¬ leihung von Gütern belohnt. Durch das ganze Mittelalter hindurch, von noch späteren Zeiten zu schweigen, finden wir die Anschauung in praktischer Geltung, daß an dem Grund und Boden Verpflichtungen gegen das Gemeinwesen hasten- Die Nichterfüllung derselben war Felonie und hatte die VerWirkung des Bodens zur Folge. Die Erblichkeit der Lehne hat sich erst später ausgebildet, jedoch blieb der Heimfall des Gutes an den Lehensherrn im Falle des Aussterbens der berechtigten Familie noch lange geltendes Recht. Ähnlich waren diese Be¬ ziehungen zwischen Lehen und Afterlehen. Erst mit dem Erstarken des Adels, dem Verfall der kaiserlichen Macht und dem Eindringen des römischen Rechtes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/462>, abgerufen am 22.07.2024.