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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

dieses kleinen Planeten, Erde genannt, einer weit geringeren Steigerung der
Erzeugung an Nahrungsmitteln fähig ist, als das Menschengeschlecht einer
Vermehrung seiner Zahl, so wäre für die Zukunft eher ein Mangel an Getreide
und ein unerschwinglicher Preis zu befürchten, als das Gegenteil.

Nun liegt es mir aber fern, gleich den Bekennen, des Dogmas des Gehcn-
und Gcschehenlasscns die Notleidenden auf die Ausgleichung zu verweisen, welche
Natur und Geschichte im ewigen Laufe der Zeiten unzweifelhaft bewirken.
Vielmehr erkenne ich jeder Generation das Recht zu, sich die Heilung ihrer
Leiden zur selbständigen Aufgabe zu machen. Aber ich muß doch bitten, folgendes
zu beachten.

Ein halbes Jahrhundert lang hat sich die zivilisirte Welt mit Anstrengung
aller Kräfte bemüht, die Hemmnisse, mit welchen die Gütererzeugung zu kämpfen
hatte, zu überwinden. Die Arbeit wurde durch das Kapital befruchtet, die
Wissenschaft und die Naturkräfte wurden der Industrie dienstbar gemacht, recht¬
liche Schranken aller Art wurden beseitigt, und die zur Beschaffung der Roh¬
stoffe, wie zum Umsatz der Güter erforderliche Überwindung von Raum nud
Zeit durch ein Netz von Land- und Wasserstraßen, von Eisenbahnen und
Telegraphen in einer Weise erleichtert, wie es vorher nicht geahnt werden konnte.
Dies alles mußte eine wesentliche Verringerung aller Produktionskosten zur Folge
haben, die Güter billiger und weiteren Kreisen zugänglich machen. Wenn die
Menschen in solchen Dingen durch Absichten geleitet würden und nicht vielmehr
einem innern Drange, einem sozialen Instinkt, einer gesetzlichen Notwendigkeit
gehorchten, so müßte man sagen, daß jene Absicht, jener Gedanke vollkommen
logisch gewesen sei. Denn weil die gütererzeugende Arbeit durch den Verbrauch
an Gütern bedingt ist, so kann die Arbeit nnr gesteigert werden, wenn der
Verbrauch zunimmt, und der Verbrauch kann in großem Maßstabe nur zu¬
nehmen, wenn die Güter durch billigere Preise größeren Kreisen, d. h. tieferen
Stufen der sozialen Pyramide, zugänglich werden. Insoweit war also der Ge¬
danke richtig, oder arbeitete die Menschheit unbewußt einem verständigen Ziele
entgegen. Allein dieser an und Dr sich richtige Weg mußte nicht in unendlicher
Ausdehnung richtig bleiben. Es konnte, wenn ich mir eine kleine Abschweifung
gestatten darf, die Verbilligung der Güter den Vorsprung vor der Kaufkraft
gewinnen, d. h. es konnte mehr erzeugt werden, als die kauffähigen Klassen auf¬
zunehmen vermochten. Die Folge ist dann die Überproduktion. Die Ursache der
Überproduktion, an welcher wir unzweifelhaft leiden, ist keine andre, als der
Mangel an verzehrungsfähigcn Menschen, als die übergroße Zahl solcher, welchen
die Güter trotz ihrer Billigkeit nicht erreichbar sind.


dem übrigen Amerika, von Australien, Asien, Afrika, 130 Millionen Kulturmenschen mehr
als heute zu zählen und zu ernähren haben. Java hat seine Bevölkerung seit hundert Jahren
von 1780-1880 mehr als vcrnchtfncht. von 2 Millionen auf über 17 Millionen.
Grenzboten III. 1886, S7
Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

dieses kleinen Planeten, Erde genannt, einer weit geringeren Steigerung der
Erzeugung an Nahrungsmitteln fähig ist, als das Menschengeschlecht einer
Vermehrung seiner Zahl, so wäre für die Zukunft eher ein Mangel an Getreide
und ein unerschwinglicher Preis zu befürchten, als das Gegenteil.

Nun liegt es mir aber fern, gleich den Bekennen, des Dogmas des Gehcn-
und Gcschehenlasscns die Notleidenden auf die Ausgleichung zu verweisen, welche
Natur und Geschichte im ewigen Laufe der Zeiten unzweifelhaft bewirken.
Vielmehr erkenne ich jeder Generation das Recht zu, sich die Heilung ihrer
Leiden zur selbständigen Aufgabe zu machen. Aber ich muß doch bitten, folgendes
zu beachten.

Ein halbes Jahrhundert lang hat sich die zivilisirte Welt mit Anstrengung
aller Kräfte bemüht, die Hemmnisse, mit welchen die Gütererzeugung zu kämpfen
hatte, zu überwinden. Die Arbeit wurde durch das Kapital befruchtet, die
Wissenschaft und die Naturkräfte wurden der Industrie dienstbar gemacht, recht¬
liche Schranken aller Art wurden beseitigt, und die zur Beschaffung der Roh¬
stoffe, wie zum Umsatz der Güter erforderliche Überwindung von Raum nud
Zeit durch ein Netz von Land- und Wasserstraßen, von Eisenbahnen und
Telegraphen in einer Weise erleichtert, wie es vorher nicht geahnt werden konnte.
Dies alles mußte eine wesentliche Verringerung aller Produktionskosten zur Folge
haben, die Güter billiger und weiteren Kreisen zugänglich machen. Wenn die
Menschen in solchen Dingen durch Absichten geleitet würden und nicht vielmehr
einem innern Drange, einem sozialen Instinkt, einer gesetzlichen Notwendigkeit
gehorchten, so müßte man sagen, daß jene Absicht, jener Gedanke vollkommen
logisch gewesen sei. Denn weil die gütererzeugende Arbeit durch den Verbrauch
an Gütern bedingt ist, so kann die Arbeit nnr gesteigert werden, wenn der
Verbrauch zunimmt, und der Verbrauch kann in großem Maßstabe nur zu¬
nehmen, wenn die Güter durch billigere Preise größeren Kreisen, d. h. tieferen
Stufen der sozialen Pyramide, zugänglich werden. Insoweit war also der Ge¬
danke richtig, oder arbeitete die Menschheit unbewußt einem verständigen Ziele
entgegen. Allein dieser an und Dr sich richtige Weg mußte nicht in unendlicher
Ausdehnung richtig bleiben. Es konnte, wenn ich mir eine kleine Abschweifung
gestatten darf, die Verbilligung der Güter den Vorsprung vor der Kaufkraft
gewinnen, d. h. es konnte mehr erzeugt werden, als die kauffähigen Klassen auf¬
zunehmen vermochten. Die Folge ist dann die Überproduktion. Die Ursache der
Überproduktion, an welcher wir unzweifelhaft leiden, ist keine andre, als der
Mangel an verzehrungsfähigcn Menschen, als die übergroße Zahl solcher, welchen
die Güter trotz ihrer Billigkeit nicht erreichbar sind.


dem übrigen Amerika, von Australien, Asien, Afrika, 130 Millionen Kulturmenschen mehr
als heute zu zählen und zu ernähren haben. Java hat seine Bevölkerung seit hundert Jahren
von 1780-1880 mehr als vcrnchtfncht. von 2 Millionen auf über 17 Millionen.
Grenzboten III. 1886, S7
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[0457] Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen. dieses kleinen Planeten, Erde genannt, einer weit geringeren Steigerung der Erzeugung an Nahrungsmitteln fähig ist, als das Menschengeschlecht einer Vermehrung seiner Zahl, so wäre für die Zukunft eher ein Mangel an Getreide und ein unerschwinglicher Preis zu befürchten, als das Gegenteil. Nun liegt es mir aber fern, gleich den Bekennen, des Dogmas des Gehcn- und Gcschehenlasscns die Notleidenden auf die Ausgleichung zu verweisen, welche Natur und Geschichte im ewigen Laufe der Zeiten unzweifelhaft bewirken. Vielmehr erkenne ich jeder Generation das Recht zu, sich die Heilung ihrer Leiden zur selbständigen Aufgabe zu machen. Aber ich muß doch bitten, folgendes zu beachten. Ein halbes Jahrhundert lang hat sich die zivilisirte Welt mit Anstrengung aller Kräfte bemüht, die Hemmnisse, mit welchen die Gütererzeugung zu kämpfen hatte, zu überwinden. Die Arbeit wurde durch das Kapital befruchtet, die Wissenschaft und die Naturkräfte wurden der Industrie dienstbar gemacht, recht¬ liche Schranken aller Art wurden beseitigt, und die zur Beschaffung der Roh¬ stoffe, wie zum Umsatz der Güter erforderliche Überwindung von Raum nud Zeit durch ein Netz von Land- und Wasserstraßen, von Eisenbahnen und Telegraphen in einer Weise erleichtert, wie es vorher nicht geahnt werden konnte. Dies alles mußte eine wesentliche Verringerung aller Produktionskosten zur Folge haben, die Güter billiger und weiteren Kreisen zugänglich machen. Wenn die Menschen in solchen Dingen durch Absichten geleitet würden und nicht vielmehr einem innern Drange, einem sozialen Instinkt, einer gesetzlichen Notwendigkeit gehorchten, so müßte man sagen, daß jene Absicht, jener Gedanke vollkommen logisch gewesen sei. Denn weil die gütererzeugende Arbeit durch den Verbrauch an Gütern bedingt ist, so kann die Arbeit nnr gesteigert werden, wenn der Verbrauch zunimmt, und der Verbrauch kann in großem Maßstabe nur zu¬ nehmen, wenn die Güter durch billigere Preise größeren Kreisen, d. h. tieferen Stufen der sozialen Pyramide, zugänglich werden. Insoweit war also der Ge¬ danke richtig, oder arbeitete die Menschheit unbewußt einem verständigen Ziele entgegen. Allein dieser an und Dr sich richtige Weg mußte nicht in unendlicher Ausdehnung richtig bleiben. Es konnte, wenn ich mir eine kleine Abschweifung gestatten darf, die Verbilligung der Güter den Vorsprung vor der Kaufkraft gewinnen, d. h. es konnte mehr erzeugt werden, als die kauffähigen Klassen auf¬ zunehmen vermochten. Die Folge ist dann die Überproduktion. Die Ursache der Überproduktion, an welcher wir unzweifelhaft leiden, ist keine andre, als der Mangel an verzehrungsfähigcn Menschen, als die übergroße Zahl solcher, welchen die Güter trotz ihrer Billigkeit nicht erreichbar sind. dem übrigen Amerika, von Australien, Asien, Afrika, 130 Millionen Kulturmenschen mehr als heute zu zählen und zu ernähren haben. Java hat seine Bevölkerung seit hundert Jahren von 1780-1880 mehr als vcrnchtfncht. von 2 Millionen auf über 17 Millionen. Grenzboten III. 1886, S7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/457>, abgerufen am 25.08.2024.