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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

utar diesem Namen hat sich im Monat Juli dieses Jahres zu
Berlin ein Verein gebildet, welcher sich die "Ncitioualisirung" oder
"Verstaatlichung" des Grundeigentums zum Ziele setzt. Die Gefahr,
diesen neuen, einer rein sozialen und ökonomischen Frage ge¬
widmeten Verein ins Schlepptau einer politischen Partei genommen
zu sehen, ist vorerst wenigstens äußerlich überwunden worden, und wenn dies
für die Dauer der Fall wäre, dürfte man von der Liga hoffen, daß sie zur
Klärung einer weltbewegenden Frage wesentlich beitragen wird, wenn anch das
fertige Dogma, mit welchem sie in die Arena tritt, kaum die Aussicht einer
sehr nahen Verwirklichung haben dürfte. Was die Gründer veranlaßt hat, die
Liga unter einen Schutzheiligen, Herrn I)r. Theodor Stamm, zu stellen, ist
aus den Verhandlungen, soweit sie bekannt geworden sind, nicht zu ersehe"; es
kann aber doch wohl nur das Werk dieses sonst vielfach verdienstvollen Arztes
gewesen sein, welches unter dem Titel: Die Erlösung der darbenden
Menschheit bereits in drei Auflagen erschienen ist (Stuttgart, I. H. W. Dietz).
Wenn dies der Fall ist, so kann ich darin nur die Gefahr erblicken, das; die
Liga bei vielen, die zu einer ruhigen und vorurteilsloser Erörterung der Frage
geneigt wären, deu Verdacht erregen möchte, sie sei doch nur ein Werkzeug
demokratischer oder sozialdemokratischer Parteibestrebungen, teilen uicht jedermann
dienen will. Denn das Buch des Herrn Stamm entbehrt jener ruhigen, leiden¬
schaftslosen und wissenschaftlichen Behandlung, jener Würde und Gemessenheit
der Sprache, welche einen unbefangenen Leser anzuziehen, zu überzeugen oder
zu verführen vermag. Der Verfasser scheint sich an die Massen wenden zu
wollen, die er durch Kraftausdrücke und Schlagwörter, durch Phrasen, Über¬
treibungen und Phantasiebilder mehr aufzuregen, als zu belehren versucht. Wenn
er von der "satanischen Annahme der sich nationalökonomisch nennenden Selbst¬
gierschule" spricht, wenn er seine Gegner "verorientalisirte Juristen und volks¬
wirtschaftlich sich spreizende Jrrtumsverteidiger" nennt, so wird er wohl wissen,
daß dergleichen Stellen, die sich übrigens ohne Mühe vervielfältigen ließen, nnr
einen Teil seiner Leser geneigt machen können.

Wenn er dann Freiheit von Gelbfieber, von Pest, Cholera und Hungers¬
not, wenn er Spracheneinheit, soldpriesterfreie menschheitseinigende Religion
der Selbstversittlichung und Allwohlspflege, Wohlfahrtsbund der Nationen und
andres dergleichen mehr als Prämien der erstrebten Verstaatlichung des Grund
und Bodens in Aussicht stellt -- so mögen diese Spiele der Einbildungskraft
zwar dem Herzen des Verfassers zur Ehre gereichen, uns andern aber, die wir


Grenzbvte" III. 1886. 56
Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

utar diesem Namen hat sich im Monat Juli dieses Jahres zu
Berlin ein Verein gebildet, welcher sich die „Ncitioualisirung" oder
„Verstaatlichung" des Grundeigentums zum Ziele setzt. Die Gefahr,
diesen neuen, einer rein sozialen und ökonomischen Frage ge¬
widmeten Verein ins Schlepptau einer politischen Partei genommen
zu sehen, ist vorerst wenigstens äußerlich überwunden worden, und wenn dies
für die Dauer der Fall wäre, dürfte man von der Liga hoffen, daß sie zur
Klärung einer weltbewegenden Frage wesentlich beitragen wird, wenn anch das
fertige Dogma, mit welchem sie in die Arena tritt, kaum die Aussicht einer
sehr nahen Verwirklichung haben dürfte. Was die Gründer veranlaßt hat, die
Liga unter einen Schutzheiligen, Herrn I)r. Theodor Stamm, zu stellen, ist
aus den Verhandlungen, soweit sie bekannt geworden sind, nicht zu ersehe»; es
kann aber doch wohl nur das Werk dieses sonst vielfach verdienstvollen Arztes
gewesen sein, welches unter dem Titel: Die Erlösung der darbenden
Menschheit bereits in drei Auflagen erschienen ist (Stuttgart, I. H. W. Dietz).
Wenn dies der Fall ist, so kann ich darin nur die Gefahr erblicken, das; die
Liga bei vielen, die zu einer ruhigen und vorurteilsloser Erörterung der Frage
geneigt wären, deu Verdacht erregen möchte, sie sei doch nur ein Werkzeug
demokratischer oder sozialdemokratischer Parteibestrebungen, teilen uicht jedermann
dienen will. Denn das Buch des Herrn Stamm entbehrt jener ruhigen, leiden¬
schaftslosen und wissenschaftlichen Behandlung, jener Würde und Gemessenheit
der Sprache, welche einen unbefangenen Leser anzuziehen, zu überzeugen oder
zu verführen vermag. Der Verfasser scheint sich an die Massen wenden zu
wollen, die er durch Kraftausdrücke und Schlagwörter, durch Phrasen, Über¬
treibungen und Phantasiebilder mehr aufzuregen, als zu belehren versucht. Wenn
er von der „satanischen Annahme der sich nationalökonomisch nennenden Selbst¬
gierschule" spricht, wenn er seine Gegner „verorientalisirte Juristen und volks¬
wirtschaftlich sich spreizende Jrrtumsverteidiger" nennt, so wird er wohl wissen,
daß dergleichen Stellen, die sich übrigens ohne Mühe vervielfältigen ließen, nnr
einen Teil seiner Leser geneigt machen können.

Wenn er dann Freiheit von Gelbfieber, von Pest, Cholera und Hungers¬
not, wenn er Spracheneinheit, soldpriesterfreie menschheitseinigende Religion
der Selbstversittlichung und Allwohlspflege, Wohlfahrtsbund der Nationen und
andres dergleichen mehr als Prämien der erstrebten Verstaatlichung des Grund
und Bodens in Aussicht stellt — so mögen diese Spiele der Einbildungskraft
zwar dem Herzen des Verfassers zur Ehre gereichen, uns andern aber, die wir


Grenzbvte» III. 1886. 56
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[0449] Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen. utar diesem Namen hat sich im Monat Juli dieses Jahres zu Berlin ein Verein gebildet, welcher sich die „Ncitioualisirung" oder „Verstaatlichung" des Grundeigentums zum Ziele setzt. Die Gefahr, diesen neuen, einer rein sozialen und ökonomischen Frage ge¬ widmeten Verein ins Schlepptau einer politischen Partei genommen zu sehen, ist vorerst wenigstens äußerlich überwunden worden, und wenn dies für die Dauer der Fall wäre, dürfte man von der Liga hoffen, daß sie zur Klärung einer weltbewegenden Frage wesentlich beitragen wird, wenn anch das fertige Dogma, mit welchem sie in die Arena tritt, kaum die Aussicht einer sehr nahen Verwirklichung haben dürfte. Was die Gründer veranlaßt hat, die Liga unter einen Schutzheiligen, Herrn I)r. Theodor Stamm, zu stellen, ist aus den Verhandlungen, soweit sie bekannt geworden sind, nicht zu ersehe»; es kann aber doch wohl nur das Werk dieses sonst vielfach verdienstvollen Arztes gewesen sein, welches unter dem Titel: Die Erlösung der darbenden Menschheit bereits in drei Auflagen erschienen ist (Stuttgart, I. H. W. Dietz). Wenn dies der Fall ist, so kann ich darin nur die Gefahr erblicken, das; die Liga bei vielen, die zu einer ruhigen und vorurteilsloser Erörterung der Frage geneigt wären, deu Verdacht erregen möchte, sie sei doch nur ein Werkzeug demokratischer oder sozialdemokratischer Parteibestrebungen, teilen uicht jedermann dienen will. Denn das Buch des Herrn Stamm entbehrt jener ruhigen, leiden¬ schaftslosen und wissenschaftlichen Behandlung, jener Würde und Gemessenheit der Sprache, welche einen unbefangenen Leser anzuziehen, zu überzeugen oder zu verführen vermag. Der Verfasser scheint sich an die Massen wenden zu wollen, die er durch Kraftausdrücke und Schlagwörter, durch Phrasen, Über¬ treibungen und Phantasiebilder mehr aufzuregen, als zu belehren versucht. Wenn er von der „satanischen Annahme der sich nationalökonomisch nennenden Selbst¬ gierschule" spricht, wenn er seine Gegner „verorientalisirte Juristen und volks¬ wirtschaftlich sich spreizende Jrrtumsverteidiger" nennt, so wird er wohl wissen, daß dergleichen Stellen, die sich übrigens ohne Mühe vervielfältigen ließen, nnr einen Teil seiner Leser geneigt machen können. Wenn er dann Freiheit von Gelbfieber, von Pest, Cholera und Hungers¬ not, wenn er Spracheneinheit, soldpriesterfreie menschheitseinigende Religion der Selbstversittlichung und Allwohlspflege, Wohlfahrtsbund der Nationen und andres dergleichen mehr als Prämien der erstrebten Verstaatlichung des Grund und Bodens in Aussicht stellt — so mögen diese Spiele der Einbildungskraft zwar dem Herzen des Verfassers zur Ehre gereichen, uns andern aber, die wir Grenzbvte» III. 1886. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/449>, abgerufen am 22.07.2024.