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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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nicht völlig auf. Im Sommer sind hier selbst die feuchtesten und weichsten
Stellen überall überschreitbar. Anders verhält es sich mit den Naturstraßen
in flachen Sumpfgegenden, besonders während der "Raspntitza," bei Thauwetter,
wo dort alle Wege grundlos werden. So ist es eine Hauptobliegenheit des
Truppenführers, stets vor dem marschirenden Hccrcsteile den Weg durch tech¬
nische Offiziere untersuchen zu lassen und diesen Mannschaft und Mittel zur
Ausbesserung mitzugeben. Die Pioniere sollten zu Pferde oder auf Wagen
vorausgehen und zwar nicht mit der Avantgarde, sondern mit der äußersten
Vorhut oder Kavalleriespitze, damit sie ihre Arbeit möglichst früh beginnen
können und jede Verzögerung des Marsches vermieden wird. Bei diesen Ar¬
beiten wird das Strauchwerk vielfach Verwendung finden, weil es allenthalben
leicht zu beschaffen und weil es das dauerhafteste Material zur Straßenver¬
besserung in Gegenden ist, wo Steine fehlen. Sumpfige Wegestellen lassen sich
nur dnrch Herstellung eines Knüppeldammes oder Einlegen von Faschinen
gangbar machen. Überhaupt wird dabei viel Holz verdaut werden können, da
jede Ortschaft mit ihren hölzernen Häusern Balken, Sparren und Bretter in
Fülle darbietet. Wie die verschiednen Feldzüge ans dem polnischen Gebiete be¬
weisen, erfordern die zahlreichen fließenden Gewässer desselben häusig den Bau
von Kriegsbrücken, und zwar an mehreren Punkten von sehr langen. Die
Weichsel ist z. B. zwischen der Mündung des San und Pulawy durchschnittlich
400 bis 750, zwischen letzterem Orte und der Mündung des Bug bei Nowo-
Georgiewsk 600 bis 1000 Meter breit, und legen wir den Maßstab der deutschen
Armeeorganisation an (Korpsbrückentrain 130, Divisivnsbrückentrain 40 Meter),
so vermag ein Armeekorps mit seinem gesamten hierzu bestimmten Material nur
eine Flußbreite von ungefähr 210 Meter, also nur ein Drittel bis ein Viertel
der Weichsel, zu überbrücken. Man wird daher genötigt sein, sich nach Er¬
gänzungen des Materials umzusehen, und dazu empfehlen sich neben Schiffen,
Prasum und Kähnen ganz besonders die auf allen polnischen Flüssen in Menge
vorhandenen Flöße, deren Stämme und Balken eine ganz vorzügliche Unterlage
zu einer Militärbrücke liefern. Reihe liegt schließlich die Ausnützung der größern
Flüsse zur Heranschcisfuug vou Belagerungsmatcrial und Gegenständen der
Verpflegung der Armee. Rooo-Georgiewsk ist ans der Weichsel stromauf,
Jwangorod stromab, Kowno auf dem Njemen zu erreichen. Allen den hier ge¬
nannten Anforderungen einer Kriegführung zwischen der Weichsel und dem
Dujepr läßt sich ohne allzugroße Opfer und ohne viel Aufwand an Zeit ent¬
sprechen. Anderseits aber kann ein Heer, welches sie von vornherein erfüllt
und so sich den Eigentümlichkeiten des Kriegsschauplatzes anpaßt, seine Ope¬
rationen mit guter Zuversicht beginnen, so viel Arges auch dem polnischen Boden
nachgesagt wird.

Denken wir uns jetzt einen Krieg in diesen Gebieten, so stellen wir uns
zunächst das deutsche Reich und den österreichisch-ungarischen Doppelstaat als


nicht völlig auf. Im Sommer sind hier selbst die feuchtesten und weichsten
Stellen überall überschreitbar. Anders verhält es sich mit den Naturstraßen
in flachen Sumpfgegenden, besonders während der „Raspntitza," bei Thauwetter,
wo dort alle Wege grundlos werden. So ist es eine Hauptobliegenheit des
Truppenführers, stets vor dem marschirenden Hccrcsteile den Weg durch tech¬
nische Offiziere untersuchen zu lassen und diesen Mannschaft und Mittel zur
Ausbesserung mitzugeben. Die Pioniere sollten zu Pferde oder auf Wagen
vorausgehen und zwar nicht mit der Avantgarde, sondern mit der äußersten
Vorhut oder Kavalleriespitze, damit sie ihre Arbeit möglichst früh beginnen
können und jede Verzögerung des Marsches vermieden wird. Bei diesen Ar¬
beiten wird das Strauchwerk vielfach Verwendung finden, weil es allenthalben
leicht zu beschaffen und weil es das dauerhafteste Material zur Straßenver¬
besserung in Gegenden ist, wo Steine fehlen. Sumpfige Wegestellen lassen sich
nur dnrch Herstellung eines Knüppeldammes oder Einlegen von Faschinen
gangbar machen. Überhaupt wird dabei viel Holz verdaut werden können, da
jede Ortschaft mit ihren hölzernen Häusern Balken, Sparren und Bretter in
Fülle darbietet. Wie die verschiednen Feldzüge ans dem polnischen Gebiete be¬
weisen, erfordern die zahlreichen fließenden Gewässer desselben häusig den Bau
von Kriegsbrücken, und zwar an mehreren Punkten von sehr langen. Die
Weichsel ist z. B. zwischen der Mündung des San und Pulawy durchschnittlich
400 bis 750, zwischen letzterem Orte und der Mündung des Bug bei Nowo-
Georgiewsk 600 bis 1000 Meter breit, und legen wir den Maßstab der deutschen
Armeeorganisation an (Korpsbrückentrain 130, Divisivnsbrückentrain 40 Meter),
so vermag ein Armeekorps mit seinem gesamten hierzu bestimmten Material nur
eine Flußbreite von ungefähr 210 Meter, also nur ein Drittel bis ein Viertel
der Weichsel, zu überbrücken. Man wird daher genötigt sein, sich nach Er¬
gänzungen des Materials umzusehen, und dazu empfehlen sich neben Schiffen,
Prasum und Kähnen ganz besonders die auf allen polnischen Flüssen in Menge
vorhandenen Flöße, deren Stämme und Balken eine ganz vorzügliche Unterlage
zu einer Militärbrücke liefern. Reihe liegt schließlich die Ausnützung der größern
Flüsse zur Heranschcisfuug vou Belagerungsmatcrial und Gegenständen der
Verpflegung der Armee. Rooo-Georgiewsk ist ans der Weichsel stromauf,
Jwangorod stromab, Kowno auf dem Njemen zu erreichen. Allen den hier ge¬
nannten Anforderungen einer Kriegführung zwischen der Weichsel und dem
Dujepr läßt sich ohne allzugroße Opfer und ohne viel Aufwand an Zeit ent¬
sprechen. Anderseits aber kann ein Heer, welches sie von vornherein erfüllt
und so sich den Eigentümlichkeiten des Kriegsschauplatzes anpaßt, seine Ope¬
rationen mit guter Zuversicht beginnen, so viel Arges auch dem polnischen Boden
nachgesagt wird.

Denken wir uns jetzt einen Krieg in diesen Gebieten, so stellen wir uns
zunächst das deutsche Reich und den österreichisch-ungarischen Doppelstaat als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/445>, abgerufen am 22.07.2024.