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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Nun, dann ist es gut.

Therese sah ihn verstohlen an. Er sah ungewöhnlich energisch und ernst
aus. Sie empfand plötzlich ein so lebhaftes, ihr ganz neues Interesse fiir ihn,
daß er ihre Gedanken vollständig erfüllte. Zu gleicher Zeit fühlte sie sich be¬
ängstigt, zurückgeschreckt und angezogen.

Um das auf ihr lastende Schweigen zu unterbrechen, fragte sie, ob er mit
Bvhemuuds Gesundheitszustande zufrieden sei. Er wandte sich rasch nach ihr
um; die Erwühuuug seines Bruders berührte ihn peinlich.

Ihm fehlt Beschäftigung, meinte er.

Du bestätigst, was ich selbst glaube, antwortete sie lebhaft. Leiden dieser
Art lassen sich gewiß am leichtesten tragen, wenn man nicht viel Zeit hat, daran
zu denken. Könntest du ihm nicht Arbeit überlassen?

Ich will sehen, ob es mir gelingt, ihn für das Gut zu interessiren.

O wie schön wäre das! rief Therese mit Wärme, wie dankbar bin ich dir!

Und nun war sie auf einmal gesprächig geworden. Sie erzählte von ihres
Mannes liebenswürdigen und bewundernswerter Eigenschaften, von seiner allge¬
meinen Beliebtheit in der Residenz, von der unvergleichliche" Liebenswürdigkeit, mit
der er den ihm so unentbehrlich scheinenden geselligen Anregungen und Genüssen
entsagt habe u. s. w. Georg hörte ihren Lobsprüchen schweigend zu. Theresens
sanfte Stimme erinnerte ihn an die herrische Art seines Bruders, und dieser Ge¬
danke brachte einen herben Mißklang in ihre liebevollen Worte. Da ist sie nun,
dachte er, leidet, schweigt und liebt unbeirrt fort. O Engelsgeduld! Nein, nein!
Es ist widersinnige Pflichttreue, die den Geist dazu vermag, sich knechten zu
lassen, weil ein Versprechen sie, die nichts vom Leben wußte, gebunden hat!
Mein Gott, kann das das Rechte sein? --

Georg Niffelshausen war nicht schnell in seinen Entschlüssen, ja nicht schnell
in seinen Empfindungen und Gedanken. Er hatte sich methodisch an Bedacht
gewöhnt, aber fortwährende Bedächtigkeit ist gegen die Natur, und die Natur
röche sich. Jetzt fingen Gedanken und Vorstellungen an, sich zu jagen; eine
forderte die andre heraus. Es 4am ein Augenblick, wo der ihm sonst so werte
Bruder geradezu hassenswürdig schien. Ungeduldig fragte er, warum das Glück
sich gerade ihm und ihm allein entziehe?

Der Wind blies und Therese lehnte sich fröstelnd an die Schlittenwand.
Er wagte es nicht, sie anzusehen. Ein Müllerwagen bewegte sich langsam auf
der beschneiten Straße dahin, der Schnee knirschte uuter den Rädern, der neben¬
herschreitende Fuhrmann fluchte, und der weiße Spitz, dessen Fell sich auf dem
blanken Schnee gelbgrau ausnahm, sprang lustig bellend vor den Pferden in
die Höhe, wobei er sich beständig um sich selbst drehte und mit dem Stummel¬
schwänze wedelte.

Sieh einmal, Georg, sagte Therese, seinen Arm berührend, ist es nicht
seltsam, daß der Hund so fröhlich seines Weges läuft, während der Mensch,


Grenzboten III. 1886. 54
Aus der Chronik derer von Riffelshausen.

Nun, dann ist es gut.

Therese sah ihn verstohlen an. Er sah ungewöhnlich energisch und ernst
aus. Sie empfand plötzlich ein so lebhaftes, ihr ganz neues Interesse fiir ihn,
daß er ihre Gedanken vollständig erfüllte. Zu gleicher Zeit fühlte sie sich be¬
ängstigt, zurückgeschreckt und angezogen.

Um das auf ihr lastende Schweigen zu unterbrechen, fragte sie, ob er mit
Bvhemuuds Gesundheitszustande zufrieden sei. Er wandte sich rasch nach ihr
um; die Erwühuuug seines Bruders berührte ihn peinlich.

Ihm fehlt Beschäftigung, meinte er.

Du bestätigst, was ich selbst glaube, antwortete sie lebhaft. Leiden dieser
Art lassen sich gewiß am leichtesten tragen, wenn man nicht viel Zeit hat, daran
zu denken. Könntest du ihm nicht Arbeit überlassen?

Ich will sehen, ob es mir gelingt, ihn für das Gut zu interessiren.

O wie schön wäre das! rief Therese mit Wärme, wie dankbar bin ich dir!

Und nun war sie auf einmal gesprächig geworden. Sie erzählte von ihres
Mannes liebenswürdigen und bewundernswerter Eigenschaften, von seiner allge¬
meinen Beliebtheit in der Residenz, von der unvergleichliche» Liebenswürdigkeit, mit
der er den ihm so unentbehrlich scheinenden geselligen Anregungen und Genüssen
entsagt habe u. s. w. Georg hörte ihren Lobsprüchen schweigend zu. Theresens
sanfte Stimme erinnerte ihn an die herrische Art seines Bruders, und dieser Ge¬
danke brachte einen herben Mißklang in ihre liebevollen Worte. Da ist sie nun,
dachte er, leidet, schweigt und liebt unbeirrt fort. O Engelsgeduld! Nein, nein!
Es ist widersinnige Pflichttreue, die den Geist dazu vermag, sich knechten zu
lassen, weil ein Versprechen sie, die nichts vom Leben wußte, gebunden hat!
Mein Gott, kann das das Rechte sein? —

Georg Niffelshausen war nicht schnell in seinen Entschlüssen, ja nicht schnell
in seinen Empfindungen und Gedanken. Er hatte sich methodisch an Bedacht
gewöhnt, aber fortwährende Bedächtigkeit ist gegen die Natur, und die Natur
röche sich. Jetzt fingen Gedanken und Vorstellungen an, sich zu jagen; eine
forderte die andre heraus. Es 4am ein Augenblick, wo der ihm sonst so werte
Bruder geradezu hassenswürdig schien. Ungeduldig fragte er, warum das Glück
sich gerade ihm und ihm allein entziehe?

Der Wind blies und Therese lehnte sich fröstelnd an die Schlittenwand.
Er wagte es nicht, sie anzusehen. Ein Müllerwagen bewegte sich langsam auf
der beschneiten Straße dahin, der Schnee knirschte uuter den Rädern, der neben¬
herschreitende Fuhrmann fluchte, und der weiße Spitz, dessen Fell sich auf dem
blanken Schnee gelbgrau ausnahm, sprang lustig bellend vor den Pferden in
die Höhe, wobei er sich beständig um sich selbst drehte und mit dem Stummel¬
schwänze wedelte.

Sieh einmal, Georg, sagte Therese, seinen Arm berührend, ist es nicht
seltsam, daß der Hund so fröhlich seines Weges läuft, während der Mensch,


Grenzboten III. 1886. 54
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[0433] Aus der Chronik derer von Riffelshausen. Nun, dann ist es gut. Therese sah ihn verstohlen an. Er sah ungewöhnlich energisch und ernst aus. Sie empfand plötzlich ein so lebhaftes, ihr ganz neues Interesse fiir ihn, daß er ihre Gedanken vollständig erfüllte. Zu gleicher Zeit fühlte sie sich be¬ ängstigt, zurückgeschreckt und angezogen. Um das auf ihr lastende Schweigen zu unterbrechen, fragte sie, ob er mit Bvhemuuds Gesundheitszustande zufrieden sei. Er wandte sich rasch nach ihr um; die Erwühuuug seines Bruders berührte ihn peinlich. Ihm fehlt Beschäftigung, meinte er. Du bestätigst, was ich selbst glaube, antwortete sie lebhaft. Leiden dieser Art lassen sich gewiß am leichtesten tragen, wenn man nicht viel Zeit hat, daran zu denken. Könntest du ihm nicht Arbeit überlassen? Ich will sehen, ob es mir gelingt, ihn für das Gut zu interessiren. O wie schön wäre das! rief Therese mit Wärme, wie dankbar bin ich dir! Und nun war sie auf einmal gesprächig geworden. Sie erzählte von ihres Mannes liebenswürdigen und bewundernswerter Eigenschaften, von seiner allge¬ meinen Beliebtheit in der Residenz, von der unvergleichliche» Liebenswürdigkeit, mit der er den ihm so unentbehrlich scheinenden geselligen Anregungen und Genüssen entsagt habe u. s. w. Georg hörte ihren Lobsprüchen schweigend zu. Theresens sanfte Stimme erinnerte ihn an die herrische Art seines Bruders, und dieser Ge¬ danke brachte einen herben Mißklang in ihre liebevollen Worte. Da ist sie nun, dachte er, leidet, schweigt und liebt unbeirrt fort. O Engelsgeduld! Nein, nein! Es ist widersinnige Pflichttreue, die den Geist dazu vermag, sich knechten zu lassen, weil ein Versprechen sie, die nichts vom Leben wußte, gebunden hat! Mein Gott, kann das das Rechte sein? — Georg Niffelshausen war nicht schnell in seinen Entschlüssen, ja nicht schnell in seinen Empfindungen und Gedanken. Er hatte sich methodisch an Bedacht gewöhnt, aber fortwährende Bedächtigkeit ist gegen die Natur, und die Natur röche sich. Jetzt fingen Gedanken und Vorstellungen an, sich zu jagen; eine forderte die andre heraus. Es 4am ein Augenblick, wo der ihm sonst so werte Bruder geradezu hassenswürdig schien. Ungeduldig fragte er, warum das Glück sich gerade ihm und ihm allein entziehe? Der Wind blies und Therese lehnte sich fröstelnd an die Schlittenwand. Er wagte es nicht, sie anzusehen. Ein Müllerwagen bewegte sich langsam auf der beschneiten Straße dahin, der Schnee knirschte uuter den Rädern, der neben¬ herschreitende Fuhrmann fluchte, und der weiße Spitz, dessen Fell sich auf dem blanken Schnee gelbgrau ausnahm, sprang lustig bellend vor den Pferden in die Höhe, wobei er sich beständig um sich selbst drehte und mit dem Stummel¬ schwänze wedelte. Sieh einmal, Georg, sagte Therese, seinen Arm berührend, ist es nicht seltsam, daß der Hund so fröhlich seines Weges läuft, während der Mensch, Grenzboten III. 1886. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/433>, abgerufen am 03.07.2024.