Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ans der Chronik derer von Riffelshansen.

hier ist der Mvhrengasthvf. Ihm gegenüber kannst du das Pvstgebäudc be¬
wundern.

Das leichte Gefährt glitt rasch an Läden und Privathäusern vorüber, die
Hauptstraße entlang.

Du hast hier viel Bekannte? fragte Therese, als er einen dicken Herrn
grüßte und die Pferde anhielt, als vermute er, daß jener seiner Körperfülle
halber nicht zeitig auszuweichen vermöge. Georg bejahte ihre Frage und nannte
den Reinen des Dicken. Hie und da zeigte sich, als das Städtchen hinter
ihnen lag, noch ein kleines Hans an der Straße, aus dessen lattcnumzäuntem
Hofe ab und zu ein ärgerlicher Hund dem vorübereilenden Schlitten nachbellte.
Im Theile fortgehend, bog die Straße über eine alte Steinbrücke, nnter deren
mächtiger Wölbung die Knechte des Herrn Inspektor Dickmann das erste Eis
sür den Bierkeller hackten.

Frierst du? fragte Georg seine Begleiterin.

O nein, du hast die Windseite.

Wie er sich lächelnd nach ihr umwandte, mußte sie ein gleiches thun.

Du wirst rote Backen von der Fahrt bekommen, sagte er heiter.

Sie waren in einer Pappelallee angelangt, und als sie scharf um eiuen vor¬
springenden Hügel bogen, zeigte sich die Landschaft vor ihnen ganz verändert.
Die das Sicbenhofer Flußthal einschließende Hügelkette trat hier zurück, und eine
freie Ebene erstreckte sich bis zu dem dunkeln Waldgebirge. Es hatte hier stark
geschneit und ein scharfer Nordwest wehte von Zeit zu Zeit dichte Schncchuschen
über den Weg.

Unsre Gegend ist rauh, sagte er, wirst du dich einleben?

Ich habe eure Heimat geliebt, ehe ich sie kannte, und ihr seid so nach¬
sichtig gegen mich, daß es leicht ist, sich an dem fremden Orte einzuleben.

nachsichtig? -- Wir? -- Was bist du für eine wunderbare Frau!
Immer geduldig, immer freundlich! Wie machst du es möglich? Ich habe mir
nicht vorstellen können, daß es wirklich solche Menschen giebt wie du.

O Georg, bat sie, bitte, sprich nicht weiter!

Warum soll ich dir nicht einmal sagen, was ich denke?

Du kannst so nicht denken!

Lüge ich?

O nein, nein! Ich weiß nicht, wie du auf solche Gedanken kommst; doch
darfst du so nicht reden. Es ist nicht recht.

Ängstlich sah sie auf in seine dunkeln, tiefen Augen. Sie wandte sich ab,
und er sah aufmerksam auf die Zügel.

Georg schien innerlich erregt, als er nach längerem Schweigen das Gespräch
wieder aufnahm. Die Ruhe, mit der er sprach, war erzwungen.

Habe ich dich vorhin beleidigt? fragte er, ohne aufzusehen.

Ich verstehe dich nicht.


Ans der Chronik derer von Riffelshansen.

hier ist der Mvhrengasthvf. Ihm gegenüber kannst du das Pvstgebäudc be¬
wundern.

Das leichte Gefährt glitt rasch an Läden und Privathäusern vorüber, die
Hauptstraße entlang.

Du hast hier viel Bekannte? fragte Therese, als er einen dicken Herrn
grüßte und die Pferde anhielt, als vermute er, daß jener seiner Körperfülle
halber nicht zeitig auszuweichen vermöge. Georg bejahte ihre Frage und nannte
den Reinen des Dicken. Hie und da zeigte sich, als das Städtchen hinter
ihnen lag, noch ein kleines Hans an der Straße, aus dessen lattcnumzäuntem
Hofe ab und zu ein ärgerlicher Hund dem vorübereilenden Schlitten nachbellte.
Im Theile fortgehend, bog die Straße über eine alte Steinbrücke, nnter deren
mächtiger Wölbung die Knechte des Herrn Inspektor Dickmann das erste Eis
sür den Bierkeller hackten.

Frierst du? fragte Georg seine Begleiterin.

O nein, du hast die Windseite.

Wie er sich lächelnd nach ihr umwandte, mußte sie ein gleiches thun.

Du wirst rote Backen von der Fahrt bekommen, sagte er heiter.

Sie waren in einer Pappelallee angelangt, und als sie scharf um eiuen vor¬
springenden Hügel bogen, zeigte sich die Landschaft vor ihnen ganz verändert.
Die das Sicbenhofer Flußthal einschließende Hügelkette trat hier zurück, und eine
freie Ebene erstreckte sich bis zu dem dunkeln Waldgebirge. Es hatte hier stark
geschneit und ein scharfer Nordwest wehte von Zeit zu Zeit dichte Schncchuschen
über den Weg.

Unsre Gegend ist rauh, sagte er, wirst du dich einleben?

Ich habe eure Heimat geliebt, ehe ich sie kannte, und ihr seid so nach¬
sichtig gegen mich, daß es leicht ist, sich an dem fremden Orte einzuleben.

nachsichtig? — Wir? — Was bist du für eine wunderbare Frau!
Immer geduldig, immer freundlich! Wie machst du es möglich? Ich habe mir
nicht vorstellen können, daß es wirklich solche Menschen giebt wie du.

O Georg, bat sie, bitte, sprich nicht weiter!

Warum soll ich dir nicht einmal sagen, was ich denke?

Du kannst so nicht denken!

Lüge ich?

O nein, nein! Ich weiß nicht, wie du auf solche Gedanken kommst; doch
darfst du so nicht reden. Es ist nicht recht.

Ängstlich sah sie auf in seine dunkeln, tiefen Augen. Sie wandte sich ab,
und er sah aufmerksam auf die Zügel.

Georg schien innerlich erregt, als er nach längerem Schweigen das Gespräch
wieder aufnahm. Die Ruhe, mit der er sprach, war erzwungen.

Habe ich dich vorhin beleidigt? fragte er, ohne aufzusehen.

Ich verstehe dich nicht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199152"/>
            <fw type="header" place="top"> Ans der Chronik derer von Riffelshansen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1338" prev="#ID_1337"> hier ist der Mvhrengasthvf. Ihm gegenüber kannst du das Pvstgebäudc be¬<lb/>
wundern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1339"> Das leichte Gefährt glitt rasch an Läden und Privathäusern vorüber, die<lb/>
Hauptstraße entlang.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1340"> Du hast hier viel Bekannte? fragte Therese, als er einen dicken Herrn<lb/>
grüßte und die Pferde anhielt, als vermute er, daß jener seiner Körperfülle<lb/>
halber nicht zeitig auszuweichen vermöge. Georg bejahte ihre Frage und nannte<lb/>
den Reinen des Dicken. Hie und da zeigte sich, als das Städtchen hinter<lb/>
ihnen lag, noch ein kleines Hans an der Straße, aus dessen lattcnumzäuntem<lb/>
Hofe ab und zu ein ärgerlicher Hund dem vorübereilenden Schlitten nachbellte.<lb/>
Im Theile fortgehend, bog die Straße über eine alte Steinbrücke, nnter deren<lb/>
mächtiger Wölbung die Knechte des Herrn Inspektor Dickmann das erste Eis<lb/>
sür den Bierkeller hackten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1341"> Frierst du? fragte Georg seine Begleiterin.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1342"> O nein, du hast die Windseite.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1343"> Wie er sich lächelnd nach ihr umwandte, mußte sie ein gleiches thun.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1344"> Du wirst rote Backen von der Fahrt bekommen, sagte er heiter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1345"> Sie waren in einer Pappelallee angelangt, und als sie scharf um eiuen vor¬<lb/>
springenden Hügel bogen, zeigte sich die Landschaft vor ihnen ganz verändert.<lb/>
Die das Sicbenhofer Flußthal einschließende Hügelkette trat hier zurück, und eine<lb/>
freie Ebene erstreckte sich bis zu dem dunkeln Waldgebirge. Es hatte hier stark<lb/>
geschneit und ein scharfer Nordwest wehte von Zeit zu Zeit dichte Schncchuschen<lb/>
über den Weg.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1346"> Unsre Gegend ist rauh, sagte er, wirst du dich einleben?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1347"> Ich habe eure Heimat geliebt, ehe ich sie kannte, und ihr seid so nach¬<lb/>
sichtig gegen mich, daß es leicht ist, sich an dem fremden Orte einzuleben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1348"> nachsichtig? &#x2014; Wir? &#x2014; Was bist du für eine wunderbare Frau!<lb/>
Immer geduldig, immer freundlich! Wie machst du es möglich? Ich habe mir<lb/>
nicht vorstellen können, daß es wirklich solche Menschen giebt wie du.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1349"> O Georg, bat sie, bitte, sprich nicht weiter!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1350"> Warum soll ich dir nicht einmal sagen, was ich denke?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1351"> Du kannst so nicht denken!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1352"> Lüge ich?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1353"> O nein, nein! Ich weiß nicht, wie du auf solche Gedanken kommst; doch<lb/>
darfst du so nicht reden.  Es ist nicht recht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1354"> Ängstlich sah sie auf in seine dunkeln, tiefen Augen. Sie wandte sich ab,<lb/>
und er sah aufmerksam auf die Zügel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1355"> Georg schien innerlich erregt, als er nach längerem Schweigen das Gespräch<lb/>
wieder aufnahm.  Die Ruhe, mit der er sprach, war erzwungen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1356"> Habe ich dich vorhin beleidigt? fragte er, ohne aufzusehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1357"> Ich verstehe dich nicht.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0432] Ans der Chronik derer von Riffelshansen. hier ist der Mvhrengasthvf. Ihm gegenüber kannst du das Pvstgebäudc be¬ wundern. Das leichte Gefährt glitt rasch an Läden und Privathäusern vorüber, die Hauptstraße entlang. Du hast hier viel Bekannte? fragte Therese, als er einen dicken Herrn grüßte und die Pferde anhielt, als vermute er, daß jener seiner Körperfülle halber nicht zeitig auszuweichen vermöge. Georg bejahte ihre Frage und nannte den Reinen des Dicken. Hie und da zeigte sich, als das Städtchen hinter ihnen lag, noch ein kleines Hans an der Straße, aus dessen lattcnumzäuntem Hofe ab und zu ein ärgerlicher Hund dem vorübereilenden Schlitten nachbellte. Im Theile fortgehend, bog die Straße über eine alte Steinbrücke, nnter deren mächtiger Wölbung die Knechte des Herrn Inspektor Dickmann das erste Eis sür den Bierkeller hackten. Frierst du? fragte Georg seine Begleiterin. O nein, du hast die Windseite. Wie er sich lächelnd nach ihr umwandte, mußte sie ein gleiches thun. Du wirst rote Backen von der Fahrt bekommen, sagte er heiter. Sie waren in einer Pappelallee angelangt, und als sie scharf um eiuen vor¬ springenden Hügel bogen, zeigte sich die Landschaft vor ihnen ganz verändert. Die das Sicbenhofer Flußthal einschließende Hügelkette trat hier zurück, und eine freie Ebene erstreckte sich bis zu dem dunkeln Waldgebirge. Es hatte hier stark geschneit und ein scharfer Nordwest wehte von Zeit zu Zeit dichte Schncchuschen über den Weg. Unsre Gegend ist rauh, sagte er, wirst du dich einleben? Ich habe eure Heimat geliebt, ehe ich sie kannte, und ihr seid so nach¬ sichtig gegen mich, daß es leicht ist, sich an dem fremden Orte einzuleben. nachsichtig? — Wir? — Was bist du für eine wunderbare Frau! Immer geduldig, immer freundlich! Wie machst du es möglich? Ich habe mir nicht vorstellen können, daß es wirklich solche Menschen giebt wie du. O Georg, bat sie, bitte, sprich nicht weiter! Warum soll ich dir nicht einmal sagen, was ich denke? Du kannst so nicht denken! Lüge ich? O nein, nein! Ich weiß nicht, wie du auf solche Gedanken kommst; doch darfst du so nicht reden. Es ist nicht recht. Ängstlich sah sie auf in seine dunkeln, tiefen Augen. Sie wandte sich ab, und er sah aufmerksam auf die Zügel. Georg schien innerlich erregt, als er nach längerem Schweigen das Gespräch wieder aufnahm. Die Ruhe, mit der er sprach, war erzwungen. Habe ich dich vorhin beleidigt? fragte er, ohne aufzusehen. Ich verstehe dich nicht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/432
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/432>, abgerufen am 22.07.2024.