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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Raiserwahl vom Jahre ^5^9 ""d Karls V. Anfänge.

sehe" und von besondrer Kraft; auch die übrigen Glieder waren sehr ebenmäßig,
die Hautfarbe weiß; Haar und Bart spielten ins Blonde. Die Augen waren
groß, sein Gesicht wohlgebildet, nur daß das vorstehende Kinn und die nicht
recht zusammenhängenden Lippen -- die Unterlippe stand vor, ein Merkmal
aller Habsburger -- es einigermaßen entstellten. Seine Jugend verbrachte er
in den Niederlanden, wo er ja anch geboren war; er wurde unter der Auf¬
sicht seiner Muhme Margarethe zusammen mit seinen Schwestern Eleonore,
Jsabella und Maria erzogen, während die beiden andern Kinder, Ferdinand
und Katharina, in Spanien heranwuchsen. An körperlichen Übungen fand er
großes Gefallen; man sah ihn als zwölfjährigen Knaben zu Brüssel um das
Johannisfeuer tanzen, inmitten des jungen Volkes, bis gegen zehn Uhr abends;
die englischen Gesandten bemerkten, daß er mit dem Bogen vortrefflich umzu¬
gehen wußte; auch an der Jagd hatte er große Freude, wie es dem Enkel der
"burgundischen Diana" und des Gemsenjägers Max geziemte; mit Wohlgefallen
sah es der kaiserliche Großvater: "man hätte ihn sonst für einen Bastard halten
können." In den Niederlanden, der Heimat des Erasmus, war es besonders
leicht, vortreffliche Lehrer zu beschaffen; Margarethe ließ es auch nicht daran
fehlen, die besten anzustellen; vor allem aber wurde er einem Gelehrten namens
Luis Vacca übergeben, welcher ihn sechs Jahre lang unterrichtete, drei mit seinen
Schwestern, dann drei mit einem Edelknaben zusammen; neben ihm wirkte als
Erzieher Adrian von Utrecht, der Vizekanzler der Universität Löwen, ein ebenso
frommer als gelehrter Mann. Der Mailänder Humanist Pietro Martiro d'An-
ghiera (Petrus Martyr), welcher 1487 nach Spanien gekommen war und nach
dem Willen der Königin Jsabella "den Adel durch das Studium der Alten zu
Zucht und guter Sitte zwingen" sollte, vernahm allerlei Gutes von dem Prinzen;
er gab viele Beweise eines hohen Sinnes; obwohl noch Knabe, begünstige
er Schmeichelei und Lüge nicht nur nicht -- dafür bringt Sepulveda eine Reihe
von Belegen auch aus späterer Zeit bei --, sondern trete ihr offen entgegen;
er verabscheue solche Menschen. Die Nüchternheit liebe er sehr; wenn einer von
seinen Leuten zu viel getrunken, sehe er ihn scheel an und Schelte ihn den andern
Tag aus, "wie mit dem Unwillen eines Greises." Von diesem über sein Alter
hinaus entwickelten Ernste werde viel gemeldet. In seinem ganzen Gebcchren,
in Bewegn"g, Antworten, Geberden sei er höchst bescheiden. Kurz, man könne
bis jetzt nichts wünschen, das die Natur ihm nicht verliehen habe. Man dürfe
hoffen, in ihm einen ausgezeichneten Herrscher so vieler Reiche zu bekommen,
da auch in seiner Erziehung nichts versäumt werde.*) Es giebt ein Bild von
Karl in der Pariser Nationalbibliothek mit der Umschrift: Usx oÄtllvUons; da
er diese Würde erst seit dem Tode seines Großvaters Ferdinand, also erst seit
dem 23. Januar 1516, besaß, so giebt das Bild die Züge des sechzehnjähriger



Baumgarten S, Is bis 16.
Die Raiserwahl vom Jahre ^5^9 ""d Karls V. Anfänge.

sehe» und von besondrer Kraft; auch die übrigen Glieder waren sehr ebenmäßig,
die Hautfarbe weiß; Haar und Bart spielten ins Blonde. Die Augen waren
groß, sein Gesicht wohlgebildet, nur daß das vorstehende Kinn und die nicht
recht zusammenhängenden Lippen — die Unterlippe stand vor, ein Merkmal
aller Habsburger — es einigermaßen entstellten. Seine Jugend verbrachte er
in den Niederlanden, wo er ja anch geboren war; er wurde unter der Auf¬
sicht seiner Muhme Margarethe zusammen mit seinen Schwestern Eleonore,
Jsabella und Maria erzogen, während die beiden andern Kinder, Ferdinand
und Katharina, in Spanien heranwuchsen. An körperlichen Übungen fand er
großes Gefallen; man sah ihn als zwölfjährigen Knaben zu Brüssel um das
Johannisfeuer tanzen, inmitten des jungen Volkes, bis gegen zehn Uhr abends;
die englischen Gesandten bemerkten, daß er mit dem Bogen vortrefflich umzu¬
gehen wußte; auch an der Jagd hatte er große Freude, wie es dem Enkel der
„burgundischen Diana" und des Gemsenjägers Max geziemte; mit Wohlgefallen
sah es der kaiserliche Großvater: „man hätte ihn sonst für einen Bastard halten
können." In den Niederlanden, der Heimat des Erasmus, war es besonders
leicht, vortreffliche Lehrer zu beschaffen; Margarethe ließ es auch nicht daran
fehlen, die besten anzustellen; vor allem aber wurde er einem Gelehrten namens
Luis Vacca übergeben, welcher ihn sechs Jahre lang unterrichtete, drei mit seinen
Schwestern, dann drei mit einem Edelknaben zusammen; neben ihm wirkte als
Erzieher Adrian von Utrecht, der Vizekanzler der Universität Löwen, ein ebenso
frommer als gelehrter Mann. Der Mailänder Humanist Pietro Martiro d'An-
ghiera (Petrus Martyr), welcher 1487 nach Spanien gekommen war und nach
dem Willen der Königin Jsabella „den Adel durch das Studium der Alten zu
Zucht und guter Sitte zwingen" sollte, vernahm allerlei Gutes von dem Prinzen;
er gab viele Beweise eines hohen Sinnes; obwohl noch Knabe, begünstige
er Schmeichelei und Lüge nicht nur nicht — dafür bringt Sepulveda eine Reihe
von Belegen auch aus späterer Zeit bei —, sondern trete ihr offen entgegen;
er verabscheue solche Menschen. Die Nüchternheit liebe er sehr; wenn einer von
seinen Leuten zu viel getrunken, sehe er ihn scheel an und Schelte ihn den andern
Tag aus, „wie mit dem Unwillen eines Greises." Von diesem über sein Alter
hinaus entwickelten Ernste werde viel gemeldet. In seinem ganzen Gebcchren,
in Bewegn»g, Antworten, Geberden sei er höchst bescheiden. Kurz, man könne
bis jetzt nichts wünschen, das die Natur ihm nicht verliehen habe. Man dürfe
hoffen, in ihm einen ausgezeichneten Herrscher so vieler Reiche zu bekommen,
da auch in seiner Erziehung nichts versäumt werde.*) Es giebt ein Bild von
Karl in der Pariser Nationalbibliothek mit der Umschrift: Usx oÄtllvUons; da
er diese Würde erst seit dem Tode seines Großvaters Ferdinand, also erst seit
dem 23. Januar 1516, besaß, so giebt das Bild die Züge des sechzehnjähriger



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[0420] Die Raiserwahl vom Jahre ^5^9 ""d Karls V. Anfänge. sehe» und von besondrer Kraft; auch die übrigen Glieder waren sehr ebenmäßig, die Hautfarbe weiß; Haar und Bart spielten ins Blonde. Die Augen waren groß, sein Gesicht wohlgebildet, nur daß das vorstehende Kinn und die nicht recht zusammenhängenden Lippen — die Unterlippe stand vor, ein Merkmal aller Habsburger — es einigermaßen entstellten. Seine Jugend verbrachte er in den Niederlanden, wo er ja anch geboren war; er wurde unter der Auf¬ sicht seiner Muhme Margarethe zusammen mit seinen Schwestern Eleonore, Jsabella und Maria erzogen, während die beiden andern Kinder, Ferdinand und Katharina, in Spanien heranwuchsen. An körperlichen Übungen fand er großes Gefallen; man sah ihn als zwölfjährigen Knaben zu Brüssel um das Johannisfeuer tanzen, inmitten des jungen Volkes, bis gegen zehn Uhr abends; die englischen Gesandten bemerkten, daß er mit dem Bogen vortrefflich umzu¬ gehen wußte; auch an der Jagd hatte er große Freude, wie es dem Enkel der „burgundischen Diana" und des Gemsenjägers Max geziemte; mit Wohlgefallen sah es der kaiserliche Großvater: „man hätte ihn sonst für einen Bastard halten können." In den Niederlanden, der Heimat des Erasmus, war es besonders leicht, vortreffliche Lehrer zu beschaffen; Margarethe ließ es auch nicht daran fehlen, die besten anzustellen; vor allem aber wurde er einem Gelehrten namens Luis Vacca übergeben, welcher ihn sechs Jahre lang unterrichtete, drei mit seinen Schwestern, dann drei mit einem Edelknaben zusammen; neben ihm wirkte als Erzieher Adrian von Utrecht, der Vizekanzler der Universität Löwen, ein ebenso frommer als gelehrter Mann. Der Mailänder Humanist Pietro Martiro d'An- ghiera (Petrus Martyr), welcher 1487 nach Spanien gekommen war und nach dem Willen der Königin Jsabella „den Adel durch das Studium der Alten zu Zucht und guter Sitte zwingen" sollte, vernahm allerlei Gutes von dem Prinzen; er gab viele Beweise eines hohen Sinnes; obwohl noch Knabe, begünstige er Schmeichelei und Lüge nicht nur nicht — dafür bringt Sepulveda eine Reihe von Belegen auch aus späterer Zeit bei —, sondern trete ihr offen entgegen; er verabscheue solche Menschen. Die Nüchternheit liebe er sehr; wenn einer von seinen Leuten zu viel getrunken, sehe er ihn scheel an und Schelte ihn den andern Tag aus, „wie mit dem Unwillen eines Greises." Von diesem über sein Alter hinaus entwickelten Ernste werde viel gemeldet. In seinem ganzen Gebcchren, in Bewegn»g, Antworten, Geberden sei er höchst bescheiden. Kurz, man könne bis jetzt nichts wünschen, das die Natur ihm nicht verliehen habe. Man dürfe hoffen, in ihm einen ausgezeichneten Herrscher so vieler Reiche zu bekommen, da auch in seiner Erziehung nichts versäumt werde.*) Es giebt ein Bild von Karl in der Pariser Nationalbibliothek mit der Umschrift: Usx oÄtllvUons; da er diese Würde erst seit dem Tode seines Großvaters Ferdinand, also erst seit dem 23. Januar 1516, besaß, so giebt das Bild die Züge des sechzehnjähriger Baumgarten S, Is bis 16.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/420>, abgerufen am 22.07.2024.