Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein zukünftiger Kriegsschauplatz,

nötigen, vollkommen erfüllen. Von andern Festungen Polens nennen wir
zunächst Brest-Litewsk, das, auf einer Insel des Bug erbaut und mit sechs
selbständigen Forts umgeben, die Bestimmung hat, die große Eisenbahn zwischen
Warschau und Moskau zu beherrschen, welche hier den Fluß überschreitet. Daun
ist Kowno am Njemen zu erwähnen, dessen Werke nur aus einem Gürtel von
elf vorgeschobenen Forts bestehen, von denen die stärksten sich an der Südfront,
auf dem linken Ufer des Flusses, befinden, wo sie die Eisenbahn und die von
der preußischen Grenze kommende große Heerstraße beherrschen. Betrachten wir
die Festungen an Weichsel, Bug und Njemen als erste Linie der Grenzver-
teidiguug gegen Westen, so bildet sich eine zweite durch die Plätze Kjew,
Bvbruisk und Dünaburg, die aber dadurch, daß der zweite vom ersten 43, vom
dritten 50 Meilen entfernt ist, sehr an Wert verliert. Bobrnisk ist übrigens
eine kleine Festung und sperrt zwar die Straße von Brest-Litewsk nach Moskau,
aber nicht die Eisenbahn zwischen diesen Städten, die fünfzehn Meilen abseits
von hier hinläuft.

Was die Straßen betrifft, so handelt sichs bei militärischen Operationen
nur um die Chausseen, weil nur diese bei jeder Witterung benutzbar sind. Sie
zerfallen in Reichs- und Kreischausseen, von denen die ersteren Warschau mit
Posen, Krakau, Plvek, Kowno, Grvdnow, Brest und Moskau, Ludim und Kjew,
letztere nur die Gouvernements- nud Kreisstädte miteinander verbinden. Jene
sind fünfzehn, diese nnr zehn Meter breit, jene sehr solid, diese weniger sorg¬
fältig angelegt nud oft vernachlässigt, sodaß sich nicht selten Wegstrecken finden,
wo in den Chausseekörper tiefe Geleise eingefahren und die Pflasterungen ganz
aufgebrochen sind. Die Poststraßen sind nicht chaussirt, sondern nur geebnete
Fahrdämme, deren Brauchbarkeit vom Wetter abhängt. Die übrigen Fahrwege
sind bei anhaltendem Regen und nach der Schneeschmelze, der "Nasputiza," un-
Passirbar. Von den dreizehn Straßen zum Vormarsch auf der Landstrecke von
der Westgrenze bis zur Weichsel führen sieben direkt nach Warschau, welches
von Posen 41, von Kalisch 32 Meilen entfernt ist und von dort aus in sechzehn,
von hier aus in zwölf Tagen von einer westlichen Armee zu erreichen wäre.
Zu derselben Zeit könnte eine von Krakau aus kovperirende Abteilung dort ein¬
treffen. Die Eisenbahnen, die hier in Betracht kommen, findet man auf der
Karte. Drei große Bahnstränge führen von Petersburg, Moskau und Odessa
nach Westen, um sich bei Warschau zu vereinigen, von wo Fortsetzungen oder
Zweiglinien der deutschen nud österreichischen Greuze zustreben. Diese Gestalt
des Vahnnetzes gestattet einerseits eine bequeme Beförderung der Truppen aus
allen Teilen des Reiches in westlicher Richtung und eine Vereinigung großer
Massen zur Verteidigung, nach Belieben bei Kowno, Bialystvk, Warschau, Jwan-
gvrvd oder Michailogorod, anderseis auch eine offensive Verwendung derselben
nach verschiednen Richtungen. Die Bahnen haben mit Ausnahme der Warschan-
Bromberger und der Warschau-Wiener eine größere Spurweite als die unsrigen,


Ein zukünftiger Kriegsschauplatz,

nötigen, vollkommen erfüllen. Von andern Festungen Polens nennen wir
zunächst Brest-Litewsk, das, auf einer Insel des Bug erbaut und mit sechs
selbständigen Forts umgeben, die Bestimmung hat, die große Eisenbahn zwischen
Warschau und Moskau zu beherrschen, welche hier den Fluß überschreitet. Daun
ist Kowno am Njemen zu erwähnen, dessen Werke nur aus einem Gürtel von
elf vorgeschobenen Forts bestehen, von denen die stärksten sich an der Südfront,
auf dem linken Ufer des Flusses, befinden, wo sie die Eisenbahn und die von
der preußischen Grenze kommende große Heerstraße beherrschen. Betrachten wir
die Festungen an Weichsel, Bug und Njemen als erste Linie der Grenzver-
teidiguug gegen Westen, so bildet sich eine zweite durch die Plätze Kjew,
Bvbruisk und Dünaburg, die aber dadurch, daß der zweite vom ersten 43, vom
dritten 50 Meilen entfernt ist, sehr an Wert verliert. Bobrnisk ist übrigens
eine kleine Festung und sperrt zwar die Straße von Brest-Litewsk nach Moskau,
aber nicht die Eisenbahn zwischen diesen Städten, die fünfzehn Meilen abseits
von hier hinläuft.

Was die Straßen betrifft, so handelt sichs bei militärischen Operationen
nur um die Chausseen, weil nur diese bei jeder Witterung benutzbar sind. Sie
zerfallen in Reichs- und Kreischausseen, von denen die ersteren Warschau mit
Posen, Krakau, Plvek, Kowno, Grvdnow, Brest und Moskau, Ludim und Kjew,
letztere nur die Gouvernements- nud Kreisstädte miteinander verbinden. Jene
sind fünfzehn, diese nnr zehn Meter breit, jene sehr solid, diese weniger sorg¬
fältig angelegt nud oft vernachlässigt, sodaß sich nicht selten Wegstrecken finden,
wo in den Chausseekörper tiefe Geleise eingefahren und die Pflasterungen ganz
aufgebrochen sind. Die Poststraßen sind nicht chaussirt, sondern nur geebnete
Fahrdämme, deren Brauchbarkeit vom Wetter abhängt. Die übrigen Fahrwege
sind bei anhaltendem Regen und nach der Schneeschmelze, der „Nasputiza," un-
Passirbar. Von den dreizehn Straßen zum Vormarsch auf der Landstrecke von
der Westgrenze bis zur Weichsel führen sieben direkt nach Warschau, welches
von Posen 41, von Kalisch 32 Meilen entfernt ist und von dort aus in sechzehn,
von hier aus in zwölf Tagen von einer westlichen Armee zu erreichen wäre.
Zu derselben Zeit könnte eine von Krakau aus kovperirende Abteilung dort ein¬
treffen. Die Eisenbahnen, die hier in Betracht kommen, findet man auf der
Karte. Drei große Bahnstränge führen von Petersburg, Moskau und Odessa
nach Westen, um sich bei Warschau zu vereinigen, von wo Fortsetzungen oder
Zweiglinien der deutschen nud österreichischen Greuze zustreben. Diese Gestalt
des Vahnnetzes gestattet einerseits eine bequeme Beförderung der Truppen aus
allen Teilen des Reiches in westlicher Richtung und eine Vereinigung großer
Massen zur Verteidigung, nach Belieben bei Kowno, Bialystvk, Warschau, Jwan-
gvrvd oder Michailogorod, anderseis auch eine offensive Verwendung derselben
nach verschiednen Richtungen. Die Bahnen haben mit Ausnahme der Warschan-
Bromberger und der Warschau-Wiener eine größere Spurweite als die unsrigen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199119"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein zukünftiger Kriegsschauplatz,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1204" prev="#ID_1203"> nötigen, vollkommen erfüllen. Von andern Festungen Polens nennen wir<lb/>
zunächst Brest-Litewsk, das, auf einer Insel des Bug erbaut und mit sechs<lb/>
selbständigen Forts umgeben, die Bestimmung hat, die große Eisenbahn zwischen<lb/>
Warschau und Moskau zu beherrschen, welche hier den Fluß überschreitet. Daun<lb/>
ist Kowno am Njemen zu erwähnen, dessen Werke nur aus einem Gürtel von<lb/>
elf vorgeschobenen Forts bestehen, von denen die stärksten sich an der Südfront,<lb/>
auf dem linken Ufer des Flusses, befinden, wo sie die Eisenbahn und die von<lb/>
der preußischen Grenze kommende große Heerstraße beherrschen. Betrachten wir<lb/>
die Festungen an Weichsel, Bug und Njemen als erste Linie der Grenzver-<lb/>
teidiguug gegen Westen, so bildet sich eine zweite durch die Plätze Kjew,<lb/>
Bvbruisk und Dünaburg, die aber dadurch, daß der zweite vom ersten 43, vom<lb/>
dritten 50 Meilen entfernt ist, sehr an Wert verliert. Bobrnisk ist übrigens<lb/>
eine kleine Festung und sperrt zwar die Straße von Brest-Litewsk nach Moskau,<lb/>
aber nicht die Eisenbahn zwischen diesen Städten, die fünfzehn Meilen abseits<lb/>
von hier hinläuft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1205" next="#ID_1206"> Was die Straßen betrifft, so handelt sichs bei militärischen Operationen<lb/>
nur um die Chausseen, weil nur diese bei jeder Witterung benutzbar sind. Sie<lb/>
zerfallen in Reichs- und Kreischausseen, von denen die ersteren Warschau mit<lb/>
Posen, Krakau, Plvek, Kowno, Grvdnow, Brest und Moskau, Ludim und Kjew,<lb/>
letztere nur die Gouvernements- nud Kreisstädte miteinander verbinden. Jene<lb/>
sind fünfzehn, diese nnr zehn Meter breit, jene sehr solid, diese weniger sorg¬<lb/>
fältig angelegt nud oft vernachlässigt, sodaß sich nicht selten Wegstrecken finden,<lb/>
wo in den Chausseekörper tiefe Geleise eingefahren und die Pflasterungen ganz<lb/>
aufgebrochen sind. Die Poststraßen sind nicht chaussirt, sondern nur geebnete<lb/>
Fahrdämme, deren Brauchbarkeit vom Wetter abhängt. Die übrigen Fahrwege<lb/>
sind bei anhaltendem Regen und nach der Schneeschmelze, der &#x201E;Nasputiza," un-<lb/>
Passirbar. Von den dreizehn Straßen zum Vormarsch auf der Landstrecke von<lb/>
der Westgrenze bis zur Weichsel führen sieben direkt nach Warschau, welches<lb/>
von Posen 41, von Kalisch 32 Meilen entfernt ist und von dort aus in sechzehn,<lb/>
von hier aus in zwölf Tagen von einer westlichen Armee zu erreichen wäre.<lb/>
Zu derselben Zeit könnte eine von Krakau aus kovperirende Abteilung dort ein¬<lb/>
treffen. Die Eisenbahnen, die hier in Betracht kommen, findet man auf der<lb/>
Karte. Drei große Bahnstränge führen von Petersburg, Moskau und Odessa<lb/>
nach Westen, um sich bei Warschau zu vereinigen, von wo Fortsetzungen oder<lb/>
Zweiglinien der deutschen nud österreichischen Greuze zustreben. Diese Gestalt<lb/>
des Vahnnetzes gestattet einerseits eine bequeme Beförderung der Truppen aus<lb/>
allen Teilen des Reiches in westlicher Richtung und eine Vereinigung großer<lb/>
Massen zur Verteidigung, nach Belieben bei Kowno, Bialystvk, Warschau, Jwan-<lb/>
gvrvd oder Michailogorod, anderseis auch eine offensive Verwendung derselben<lb/>
nach verschiednen Richtungen. Die Bahnen haben mit Ausnahme der Warschan-<lb/>
Bromberger und der Warschau-Wiener eine größere Spurweite als die unsrigen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0399] Ein zukünftiger Kriegsschauplatz, nötigen, vollkommen erfüllen. Von andern Festungen Polens nennen wir zunächst Brest-Litewsk, das, auf einer Insel des Bug erbaut und mit sechs selbständigen Forts umgeben, die Bestimmung hat, die große Eisenbahn zwischen Warschau und Moskau zu beherrschen, welche hier den Fluß überschreitet. Daun ist Kowno am Njemen zu erwähnen, dessen Werke nur aus einem Gürtel von elf vorgeschobenen Forts bestehen, von denen die stärksten sich an der Südfront, auf dem linken Ufer des Flusses, befinden, wo sie die Eisenbahn und die von der preußischen Grenze kommende große Heerstraße beherrschen. Betrachten wir die Festungen an Weichsel, Bug und Njemen als erste Linie der Grenzver- teidiguug gegen Westen, so bildet sich eine zweite durch die Plätze Kjew, Bvbruisk und Dünaburg, die aber dadurch, daß der zweite vom ersten 43, vom dritten 50 Meilen entfernt ist, sehr an Wert verliert. Bobrnisk ist übrigens eine kleine Festung und sperrt zwar die Straße von Brest-Litewsk nach Moskau, aber nicht die Eisenbahn zwischen diesen Städten, die fünfzehn Meilen abseits von hier hinläuft. Was die Straßen betrifft, so handelt sichs bei militärischen Operationen nur um die Chausseen, weil nur diese bei jeder Witterung benutzbar sind. Sie zerfallen in Reichs- und Kreischausseen, von denen die ersteren Warschau mit Posen, Krakau, Plvek, Kowno, Grvdnow, Brest und Moskau, Ludim und Kjew, letztere nur die Gouvernements- nud Kreisstädte miteinander verbinden. Jene sind fünfzehn, diese nnr zehn Meter breit, jene sehr solid, diese weniger sorg¬ fältig angelegt nud oft vernachlässigt, sodaß sich nicht selten Wegstrecken finden, wo in den Chausseekörper tiefe Geleise eingefahren und die Pflasterungen ganz aufgebrochen sind. Die Poststraßen sind nicht chaussirt, sondern nur geebnete Fahrdämme, deren Brauchbarkeit vom Wetter abhängt. Die übrigen Fahrwege sind bei anhaltendem Regen und nach der Schneeschmelze, der „Nasputiza," un- Passirbar. Von den dreizehn Straßen zum Vormarsch auf der Landstrecke von der Westgrenze bis zur Weichsel führen sieben direkt nach Warschau, welches von Posen 41, von Kalisch 32 Meilen entfernt ist und von dort aus in sechzehn, von hier aus in zwölf Tagen von einer westlichen Armee zu erreichen wäre. Zu derselben Zeit könnte eine von Krakau aus kovperirende Abteilung dort ein¬ treffen. Die Eisenbahnen, die hier in Betracht kommen, findet man auf der Karte. Drei große Bahnstränge führen von Petersburg, Moskau und Odessa nach Westen, um sich bei Warschau zu vereinigen, von wo Fortsetzungen oder Zweiglinien der deutschen nud österreichischen Greuze zustreben. Diese Gestalt des Vahnnetzes gestattet einerseits eine bequeme Beförderung der Truppen aus allen Teilen des Reiches in westlicher Richtung und eine Vereinigung großer Massen zur Verteidigung, nach Belieben bei Kowno, Bialystvk, Warschau, Jwan- gvrvd oder Michailogorod, anderseis auch eine offensive Verwendung derselben nach verschiednen Richtungen. Die Bahnen haben mit Ausnahme der Warschan- Bromberger und der Warschau-Wiener eine größere Spurweite als die unsrigen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/399
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/399>, abgerufen am 22.07.2024.