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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Allerlei Laufbahnen.

zur Zeit des letzten polnischen Aufstandes, als er im Vertrauen der geheimen
Nationalregierung war oder sein wollte und so lange über deren Dekrete und über
Siege des Diktators Langiewicz berichtete, bis dieser sich über die Grenze manövrirt
hatte. Ebenso stand er zu dem Preßkomitee der ungarischen Emigration in Paris
in Beziehungen und selbstverständlich auf gutem Fuß mit Rom.

So lange Goldschaum noch in unserm Biireau saß, legten er und Lwowski
die größte Abneigung gegen einander an den Tag. Lwowski schien den "Juden"
gründlich zu verachten, Goldschaum nannte jenen, allerdings nnr hinter dem Rücken,
Krapnlinski, und machte es dem Polen zum Vorwurf, daß er, anstatt für die Frei¬
heit zu kämpfen, reaktionären Regierungen als Mundstück diene. Und wieder hatte
niemand Goldschaums Benehmen lauter und schärfer verurteilt, als Herr von
Lwowski, der sich bei uns über das neue Blatt noch lustig zu machen Pflegte, als
beide sich wahrscheinlich bereits gefunden hatten.

Die Beobachtungen nun, welche der Pole in seinem Verkehre mit Legations¬
sekretären angestellt, die Einblicke, welche mau ihn wohl mitunter in Aktenstücke
hatte thun lassen, waren von ihm benutzt worden, um mit Hilfe seiner lebhaften
Phantasie diplomatische Schriften zu verfertigen, wie sie nach der augenblicklichen
Weltlage hätten allenfalls wirklich geschrieben werden können. Am liebsten und
sichersten arbeitete er dann, wenn mau in diplomatischen Kreisen Kenntnis von der
Existenz eines wichtigen Schreibens erlangt hatte, jedoch den Inhalt uicht genau
kannte, geschweige den Wortlaut. Und in solche" Fällen soll es ihm mehr als einmal
gelungen sein, in einzelnen Kabinetten für sein Machwerk kurze Zeit Glauben zu
finden. Wo er ohne jeden äußern Anhalt ins Zeug ging, war ohne Zweifel der
Börsenspekulant Goldschaum sein Inspirator. Manches von seineu Produkten mag
denen, deren Namen mißbraucht worden waren, niemals zu Gesichte gekommen
sein, andre wurde" ignorirt, weil mau sich darauf verließ, daß sie niemand täuschen
würden. Dadurch war er übermütig geworden und hatte endlich die Entdeckung
seines Treibens in der erzählten Weise herbeigeführt.

Aber so einträglich diese Beschäftigung sein "kochte, hatte Lwowski sich a"
den Grundsatz gehalten, daß man stets mehr als ein Eisen im Feuer haben müsse,
und darum gleichzeitig der geheimen Polizei Dienste geleistet. Ob er dieser gegen¬
über gewissenhafter gewesen ist, steht dahin. Ans jeden Fall muß er Beweise vou
Talent gegeben haben, da seinem Ansuchen um eine feste, wenn auch nicht öffent¬
lich anerkannte Anstellung gerade damals nachgegeben werden sollte, als Freund
Goldschaum ihn verriet. Die bei ihm mit Beschlag belegten Papiere scheinen in¬
dessen der Art gewesen zu sein, daß die Polizei, die ja nicht wählerisch sein kann,
doch Bedenken getragen hat, sich eines solchen Werkzeuges serner zu bedienen. Er
verschwand in aller Stille, tauchte in Paris wieder auf, und zwar als polnischer
Flüchtling, soll dort vor einem Ehrengerichte eine üble Rolle gespielt haben und
in der Komnumezeit irgendwie zu Grunde gegangen sein.




Allerlei Laufbahnen.

zur Zeit des letzten polnischen Aufstandes, als er im Vertrauen der geheimen
Nationalregierung war oder sein wollte und so lange über deren Dekrete und über
Siege des Diktators Langiewicz berichtete, bis dieser sich über die Grenze manövrirt
hatte. Ebenso stand er zu dem Preßkomitee der ungarischen Emigration in Paris
in Beziehungen und selbstverständlich auf gutem Fuß mit Rom.

So lange Goldschaum noch in unserm Biireau saß, legten er und Lwowski
die größte Abneigung gegen einander an den Tag. Lwowski schien den „Juden"
gründlich zu verachten, Goldschaum nannte jenen, allerdings nnr hinter dem Rücken,
Krapnlinski, und machte es dem Polen zum Vorwurf, daß er, anstatt für die Frei¬
heit zu kämpfen, reaktionären Regierungen als Mundstück diene. Und wieder hatte
niemand Goldschaums Benehmen lauter und schärfer verurteilt, als Herr von
Lwowski, der sich bei uns über das neue Blatt noch lustig zu machen Pflegte, als
beide sich wahrscheinlich bereits gefunden hatten.

Die Beobachtungen nun, welche der Pole in seinem Verkehre mit Legations¬
sekretären angestellt, die Einblicke, welche mau ihn wohl mitunter in Aktenstücke
hatte thun lassen, waren von ihm benutzt worden, um mit Hilfe seiner lebhaften
Phantasie diplomatische Schriften zu verfertigen, wie sie nach der augenblicklichen
Weltlage hätten allenfalls wirklich geschrieben werden können. Am liebsten und
sichersten arbeitete er dann, wenn mau in diplomatischen Kreisen Kenntnis von der
Existenz eines wichtigen Schreibens erlangt hatte, jedoch den Inhalt uicht genau
kannte, geschweige den Wortlaut. Und in solche» Fällen soll es ihm mehr als einmal
gelungen sein, in einzelnen Kabinetten für sein Machwerk kurze Zeit Glauben zu
finden. Wo er ohne jeden äußern Anhalt ins Zeug ging, war ohne Zweifel der
Börsenspekulant Goldschaum sein Inspirator. Manches von seineu Produkten mag
denen, deren Namen mißbraucht worden waren, niemals zu Gesichte gekommen
sein, andre wurde» ignorirt, weil mau sich darauf verließ, daß sie niemand täuschen
würden. Dadurch war er übermütig geworden und hatte endlich die Entdeckung
seines Treibens in der erzählten Weise herbeigeführt.

Aber so einträglich diese Beschäftigung sein »kochte, hatte Lwowski sich a»
den Grundsatz gehalten, daß man stets mehr als ein Eisen im Feuer haben müsse,
und darum gleichzeitig der geheimen Polizei Dienste geleistet. Ob er dieser gegen¬
über gewissenhafter gewesen ist, steht dahin. Ans jeden Fall muß er Beweise vou
Talent gegeben haben, da seinem Ansuchen um eine feste, wenn auch nicht öffent¬
lich anerkannte Anstellung gerade damals nachgegeben werden sollte, als Freund
Goldschaum ihn verriet. Die bei ihm mit Beschlag belegten Papiere scheinen in¬
dessen der Art gewesen zu sein, daß die Polizei, die ja nicht wählerisch sein kann,
doch Bedenken getragen hat, sich eines solchen Werkzeuges serner zu bedienen. Er
verschwand in aller Stille, tauchte in Paris wieder auf, und zwar als polnischer
Flüchtling, soll dort vor einem Ehrengerichte eine üble Rolle gespielt haben und
in der Komnumezeit irgendwie zu Grunde gegangen sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/380>, abgerufen am 22.07.2024.