Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Meineidpest.

Präzise Aufstellung der Thatsache", über die der Geguer schwören soll; die Partei
entspricht, damit ihr Eidesantrng nicht verworfen werde, dem Verlangen, sie
schiebt dem Gegner den Eid zu, es sei nicht wahr, daß er an dem und dem
Ort, zu der und der Zeit dies oder jenes gesagt oder gethan habe; sie hat sich
aber in ihrer Behauptung hinsichtlich des Ortes oder der Zeit geirrt: der Gegner
hat die streitige Erklärung abgegeben, aber uicht, wie es in dem Eidesthema
heißt, im März, sondern im April, nicht in seinem Hause, sondern auf der
Straße; daß er im März oder in seinem Hanse die Erklärung nicht abgegeben
habe, kann der Gegner beschwören; wie aber, wenn es auf Ort und Zeit der
Erklärung für die Existenz des streitigen Rechtes uicht ankommt? ist der geleistete
Eid ein Meineid? moralisch: ja, juristisch: nein. Auch ein fahrlässiger Meineid
liegt hier offenbar nicht vor; von einem Irrtume des Schwörenden ist überhaupt
keine Rede, Mau ist Wohl für solche Fälle, wie auch für die Fälle des oben
beleuchtete" fatalen Glaubenseidcs mit dem Troste bei der Hand: es könne und
solle der Richter durch sein Fragerecht aufklärend eingreifen. Allein dieser Trost
ist sehr unzulänglich. Allerdings hat der Richter während der Verhandlung
das Recht und die Pflicht, durch geeignete Fragen an die Partei (die er zum
Persönlichen Erscheinen auffordern kauu, die aber nach unserm Gesetz die Wahl
hat, ob sie der Aufforderung Folge leisten will oder nicht!) auf allseitige Auf¬
klärung der Sache hinzuwirken; ist aber einmal das eidbedingte Urteil gesprochen,
dann ist für das Fragerccht kein Raum mehr; der Richter kann und muß sich
darüber vergewissern, ob die schwurpflichtige Partei das Eidesthema richtig
aufgefaßt hat; jedes weitere Eingehen auf die Sache erscheint unstatthaft, denn
es ist eine Bekundung des Mißtrauens, ob die Partei nicht einen Meineid
schwören wolle, und zu einer solchen Kundgebung ist der Richter regelmäßig
nicht befugt; hat die Verhandlung greifbare Anhaltepunkte dafür ergeben, daß
die Partei den Eid mit Recht nicht schwören kann, so ist es freilich immer noch
^'hier, wenn der Richter durch eindringliche Vorstellungen sie von der Eides¬
leistung abzuhalten sucht und vielleicht abhält, als wenn der Meineid geschworen
^ird; in der That aber beweist der Richter dadurch, daß er diese Vorstellungen
se'r notwendig hält, die Unrichtigkeit seines zuvor "nach freier Überzeugung" (?)
gefällten Urteils. Es ist aber auch mit dem Fragerecht in diesem Stadium des
Prozesses nichts gewonnen: wenn in dem oben gewählten Beispiel der Richter
den Schwurpflichtigen fragte, ob er die in Rede stehende Erklärung nicht etwa
früher oder später oder anderswo abgegeben habe, so würde zwar eine wahr¬
heitsgemäße Bejahung dieser Frage zur Verweigerung des Eides, ja sogar zur
Weigerung des Richters führen, den Eid abzunehmen, auch wenn ihn die Partei
schwöre" wollte; allein ein Zwang zur wahrheitsgemäßen Beantwortung besteht
für die Partei nicht; wenn sie mit eherner Stirn die Frage verneint und den
E>d, so wie er im Urteil lautet, leistet, so begeht sie durch Leistung dieses
Eides doch keine" rechtlich strafbare" Meineid: das ist die notwendige, wenn


Die Meineidpest.

Präzise Aufstellung der Thatsache», über die der Geguer schwören soll; die Partei
entspricht, damit ihr Eidesantrng nicht verworfen werde, dem Verlangen, sie
schiebt dem Gegner den Eid zu, es sei nicht wahr, daß er an dem und dem
Ort, zu der und der Zeit dies oder jenes gesagt oder gethan habe; sie hat sich
aber in ihrer Behauptung hinsichtlich des Ortes oder der Zeit geirrt: der Gegner
hat die streitige Erklärung abgegeben, aber uicht, wie es in dem Eidesthema
heißt, im März, sondern im April, nicht in seinem Hause, sondern auf der
Straße; daß er im März oder in seinem Hanse die Erklärung nicht abgegeben
habe, kann der Gegner beschwören; wie aber, wenn es auf Ort und Zeit der
Erklärung für die Existenz des streitigen Rechtes uicht ankommt? ist der geleistete
Eid ein Meineid? moralisch: ja, juristisch: nein. Auch ein fahrlässiger Meineid
liegt hier offenbar nicht vor; von einem Irrtume des Schwörenden ist überhaupt
keine Rede, Mau ist Wohl für solche Fälle, wie auch für die Fälle des oben
beleuchtete» fatalen Glaubenseidcs mit dem Troste bei der Hand: es könne und
solle der Richter durch sein Fragerecht aufklärend eingreifen. Allein dieser Trost
ist sehr unzulänglich. Allerdings hat der Richter während der Verhandlung
das Recht und die Pflicht, durch geeignete Fragen an die Partei (die er zum
Persönlichen Erscheinen auffordern kauu, die aber nach unserm Gesetz die Wahl
hat, ob sie der Aufforderung Folge leisten will oder nicht!) auf allseitige Auf¬
klärung der Sache hinzuwirken; ist aber einmal das eidbedingte Urteil gesprochen,
dann ist für das Fragerccht kein Raum mehr; der Richter kann und muß sich
darüber vergewissern, ob die schwurpflichtige Partei das Eidesthema richtig
aufgefaßt hat; jedes weitere Eingehen auf die Sache erscheint unstatthaft, denn
es ist eine Bekundung des Mißtrauens, ob die Partei nicht einen Meineid
schwören wolle, und zu einer solchen Kundgebung ist der Richter regelmäßig
nicht befugt; hat die Verhandlung greifbare Anhaltepunkte dafür ergeben, daß
die Partei den Eid mit Recht nicht schwören kann, so ist es freilich immer noch
^'hier, wenn der Richter durch eindringliche Vorstellungen sie von der Eides¬
leistung abzuhalten sucht und vielleicht abhält, als wenn der Meineid geschworen
^ird; in der That aber beweist der Richter dadurch, daß er diese Vorstellungen
se'r notwendig hält, die Unrichtigkeit seines zuvor „nach freier Überzeugung" (?)
gefällten Urteils. Es ist aber auch mit dem Fragerecht in diesem Stadium des
Prozesses nichts gewonnen: wenn in dem oben gewählten Beispiel der Richter
den Schwurpflichtigen fragte, ob er die in Rede stehende Erklärung nicht etwa
früher oder später oder anderswo abgegeben habe, so würde zwar eine wahr¬
heitsgemäße Bejahung dieser Frage zur Verweigerung des Eides, ja sogar zur
Weigerung des Richters führen, den Eid abzunehmen, auch wenn ihn die Partei
schwöre» wollte; allein ein Zwang zur wahrheitsgemäßen Beantwortung besteht
für die Partei nicht; wenn sie mit eherner Stirn die Frage verneint und den
E>d, so wie er im Urteil lautet, leistet, so begeht sie durch Leistung dieses
Eides doch keine» rechtlich strafbare» Meineid: das ist die notwendige, wenn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199083"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Meineidpest.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1051" prev="#ID_1050" next="#ID_1052"> Präzise Aufstellung der Thatsache», über die der Geguer schwören soll; die Partei<lb/>
entspricht, damit ihr Eidesantrng nicht verworfen werde, dem Verlangen, sie<lb/>
schiebt dem Gegner den Eid zu, es sei nicht wahr, daß er an dem und dem<lb/>
Ort, zu der und der Zeit dies oder jenes gesagt oder gethan habe; sie hat sich<lb/>
aber in ihrer Behauptung hinsichtlich des Ortes oder der Zeit geirrt: der Gegner<lb/>
hat die streitige Erklärung abgegeben, aber uicht, wie es in dem Eidesthema<lb/>
heißt, im März, sondern im April, nicht in seinem Hause, sondern auf der<lb/>
Straße; daß er im März oder in seinem Hanse die Erklärung nicht abgegeben<lb/>
habe, kann der Gegner beschwören; wie aber, wenn es auf Ort und Zeit der<lb/>
Erklärung für die Existenz des streitigen Rechtes uicht ankommt? ist der geleistete<lb/>
Eid ein Meineid? moralisch: ja, juristisch: nein. Auch ein fahrlässiger Meineid<lb/>
liegt hier offenbar nicht vor; von einem Irrtume des Schwörenden ist überhaupt<lb/>
keine Rede, Mau ist Wohl für solche Fälle, wie auch für die Fälle des oben<lb/>
beleuchtete» fatalen Glaubenseidcs mit dem Troste bei der Hand: es könne und<lb/>
solle der Richter durch sein Fragerecht aufklärend eingreifen. Allein dieser Trost<lb/>
ist sehr unzulänglich. Allerdings hat der Richter während der Verhandlung<lb/>
das Recht und die Pflicht, durch geeignete Fragen an die Partei (die er zum<lb/>
Persönlichen Erscheinen auffordern kauu, die aber nach unserm Gesetz die Wahl<lb/>
hat, ob sie der Aufforderung Folge leisten will oder nicht!) auf allseitige Auf¬<lb/>
klärung der Sache hinzuwirken; ist aber einmal das eidbedingte Urteil gesprochen,<lb/>
dann ist für das Fragerccht kein Raum mehr; der Richter kann und muß sich<lb/>
darüber vergewissern, ob die schwurpflichtige Partei das Eidesthema richtig<lb/>
aufgefaßt hat; jedes weitere Eingehen auf die Sache erscheint unstatthaft, denn<lb/>
es ist eine Bekundung des Mißtrauens, ob die Partei nicht einen Meineid<lb/>
schwören wolle, und zu einer solchen Kundgebung ist der Richter regelmäßig<lb/>
nicht befugt; hat die Verhandlung greifbare Anhaltepunkte dafür ergeben, daß<lb/>
die Partei den Eid mit Recht nicht schwören kann, so ist es freilich immer noch<lb/>
^'hier, wenn der Richter durch eindringliche Vorstellungen sie von der Eides¬<lb/>
leistung abzuhalten sucht und vielleicht abhält, als wenn der Meineid geschworen<lb/>
^ird; in der That aber beweist der Richter dadurch, daß er diese Vorstellungen<lb/>
se'r notwendig hält, die Unrichtigkeit seines zuvor &#x201E;nach freier Überzeugung" (?)<lb/>
gefällten Urteils. Es ist aber auch mit dem Fragerecht in diesem Stadium des<lb/>
Prozesses nichts gewonnen: wenn in dem oben gewählten Beispiel der Richter<lb/>
den Schwurpflichtigen fragte, ob er die in Rede stehende Erklärung nicht etwa<lb/>
früher oder später oder anderswo abgegeben habe, so würde zwar eine wahr¬<lb/>
heitsgemäße Bejahung dieser Frage zur Verweigerung des Eides, ja sogar zur<lb/>
Weigerung des Richters führen, den Eid abzunehmen, auch wenn ihn die Partei<lb/>
schwöre» wollte; allein ein Zwang zur wahrheitsgemäßen Beantwortung besteht<lb/>
für die Partei nicht; wenn sie mit eherner Stirn die Frage verneint und den<lb/>
E&gt;d, so wie er im Urteil lautet, leistet, so begeht sie durch Leistung dieses<lb/>
Eides doch keine» rechtlich strafbare» Meineid: das ist die notwendige, wenn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0363] Die Meineidpest. Präzise Aufstellung der Thatsache», über die der Geguer schwören soll; die Partei entspricht, damit ihr Eidesantrng nicht verworfen werde, dem Verlangen, sie schiebt dem Gegner den Eid zu, es sei nicht wahr, daß er an dem und dem Ort, zu der und der Zeit dies oder jenes gesagt oder gethan habe; sie hat sich aber in ihrer Behauptung hinsichtlich des Ortes oder der Zeit geirrt: der Gegner hat die streitige Erklärung abgegeben, aber uicht, wie es in dem Eidesthema heißt, im März, sondern im April, nicht in seinem Hause, sondern auf der Straße; daß er im März oder in seinem Hanse die Erklärung nicht abgegeben habe, kann der Gegner beschwören; wie aber, wenn es auf Ort und Zeit der Erklärung für die Existenz des streitigen Rechtes uicht ankommt? ist der geleistete Eid ein Meineid? moralisch: ja, juristisch: nein. Auch ein fahrlässiger Meineid liegt hier offenbar nicht vor; von einem Irrtume des Schwörenden ist überhaupt keine Rede, Mau ist Wohl für solche Fälle, wie auch für die Fälle des oben beleuchtete» fatalen Glaubenseidcs mit dem Troste bei der Hand: es könne und solle der Richter durch sein Fragerecht aufklärend eingreifen. Allein dieser Trost ist sehr unzulänglich. Allerdings hat der Richter während der Verhandlung das Recht und die Pflicht, durch geeignete Fragen an die Partei (die er zum Persönlichen Erscheinen auffordern kauu, die aber nach unserm Gesetz die Wahl hat, ob sie der Aufforderung Folge leisten will oder nicht!) auf allseitige Auf¬ klärung der Sache hinzuwirken; ist aber einmal das eidbedingte Urteil gesprochen, dann ist für das Fragerccht kein Raum mehr; der Richter kann und muß sich darüber vergewissern, ob die schwurpflichtige Partei das Eidesthema richtig aufgefaßt hat; jedes weitere Eingehen auf die Sache erscheint unstatthaft, denn es ist eine Bekundung des Mißtrauens, ob die Partei nicht einen Meineid schwören wolle, und zu einer solchen Kundgebung ist der Richter regelmäßig nicht befugt; hat die Verhandlung greifbare Anhaltepunkte dafür ergeben, daß die Partei den Eid mit Recht nicht schwören kann, so ist es freilich immer noch ^'hier, wenn der Richter durch eindringliche Vorstellungen sie von der Eides¬ leistung abzuhalten sucht und vielleicht abhält, als wenn der Meineid geschworen ^ird; in der That aber beweist der Richter dadurch, daß er diese Vorstellungen se'r notwendig hält, die Unrichtigkeit seines zuvor „nach freier Überzeugung" (?) gefällten Urteils. Es ist aber auch mit dem Fragerecht in diesem Stadium des Prozesses nichts gewonnen: wenn in dem oben gewählten Beispiel der Richter den Schwurpflichtigen fragte, ob er die in Rede stehende Erklärung nicht etwa früher oder später oder anderswo abgegeben habe, so würde zwar eine wahr¬ heitsgemäße Bejahung dieser Frage zur Verweigerung des Eides, ja sogar zur Weigerung des Richters führen, den Eid abzunehmen, auch wenn ihn die Partei schwöre» wollte; allein ein Zwang zur wahrheitsgemäßen Beantwortung besteht für die Partei nicht; wenn sie mit eherner Stirn die Frage verneint und den E>d, so wie er im Urteil lautet, leistet, so begeht sie durch Leistung dieses Eides doch keine» rechtlich strafbare» Meineid: das ist die notwendige, wenn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/363
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/363>, abgerufen am 22.07.2024.