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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Chauvinisten und Regierung in Rußland.

wahrte seine friedfertige Gesinnung und seine Vertragstreue, er berief den gleich-
gesinnten Grafen Peter Schuwaloff zu sich nach Livadia und beauftragte ihn,
den beunruhigten Großmächten zu versichern, daß der Berliner Friedensvertrag
von Nußland genau ausgeführt werden solle. Nicht lange nachher äußerten
die unzufriedenen Parteien ihren Verdruß durch den Stndentenauflauf vor
der kaiserlichen Residenz in Petersburg, dem Anitschkoff-Palais, und in den
ersten Monaten des neuen Jahres (1879) folgte darauf eine ganze Reihe von
mörderischen Angriffen auf hohe Beamte, im Februar auf den Gouverneur
Krapotkin, im März auf deu General Drentelen, im April auf den General
Tschertloff, an das sich wenige Tage später, am 14. April, das Attentat Sso-
lowjcffs aus den Zaren selbst schloß. Der Einfluß der Chauvinisten, die Furcht
vor ihnen oder das Bestreben, ihnen zu gefallen, reichte auch jetzt, wie früher,
bis in sehr hohe Sphären, bis in die Bureaus der Ministerien hinein. Selbst
das Kriegsministerium glaubte sich befugt, eigue Politik zu treiben. Im Sommer
1879 unternahm man, während die russische Presse unaufhörlich die Regierung
des deutschen Reiches verunglimpfte und zum Kriege mit ihm aufforderte,
mit dem General Chanzy, dem Botschafter Frankreichs am Petersburger Hofe,
eine Inspektion der Festungen im Gebiete der westlichen Grenzen, und es fanden
Truppenvcrschiebungen in dieser Richtung statt, die in Berlin bemerkt wurden
und Bedenken erregten. Der Zar brach der Gefahr, welche darin lag, die
Spitze ab, indem er sich zu einem Zusammentreffen mit dem deutscheu Kaiser,
seinem Oheim, entschloß, welches am 3. September zu Alexandrvwo vor sich
ging. Fürst Gortschcikoff, in erster Linie ein eitler und gefallsüchtiger Politiker,
dem es einerseits um den Beifall der Chauvinisten daheim, anderseits um den
der Franzosen zu thun war, hielt es für erlaubt, sich gegenüber einem Bericht¬
erstatter des Pariser Lolsil in einer Weise zu äußern, welche der friedlichen
Demonstration seines kaiserlichen Gebieters widersprach, und die oberste Leitung
des russischen Okkupationshecres in Bulgarien meinte gleichfalls gegen die in
Alexandrowv kundgegebene Gesinnung ihres Kriegsherrn agiren zu dürfen, indem
sie die Räumung des Landes einstellte und die vertragsmäßig sich vollziehende
Besetzung Nowibazars durch die Österreicher angriff. Endlich gehört in diesen
Zusammenhang, daß der General Obrutscheff in Paris erschien, um die dortige
Negierung wegen eines gegen Deutschland und Österreich gerichteten russisch¬
französischen Wafsenbündnisses zu sondiren, welches beiläufig von den Franzosen
abgelehnt wurde. Diese chauvinistische Ncbenpolitik neben der Vertragstreuen
Haltung Alexanders II., die von Mitgliedern der russischen Negierung nicht
bloß geduldet, sondern unterstützt wurde, und von der man befürchten mußte,
sie werde zuletzt auch den Zaren selbst in ihre Netze verwickeln und sich dienstbar
machen, bewog den Fürsten Bismarck, die Ausführung seines schon lange ge¬
hegten und vorbereiteten Planes zu einem Defensivbündniffe mit Österreich-
Ungarn zu beschleunigen, und die Staatsmänner des letzteren, bereitwillig darauf


Chauvinisten und Regierung in Rußland.

wahrte seine friedfertige Gesinnung und seine Vertragstreue, er berief den gleich-
gesinnten Grafen Peter Schuwaloff zu sich nach Livadia und beauftragte ihn,
den beunruhigten Großmächten zu versichern, daß der Berliner Friedensvertrag
von Nußland genau ausgeführt werden solle. Nicht lange nachher äußerten
die unzufriedenen Parteien ihren Verdruß durch den Stndentenauflauf vor
der kaiserlichen Residenz in Petersburg, dem Anitschkoff-Palais, und in den
ersten Monaten des neuen Jahres (1879) folgte darauf eine ganze Reihe von
mörderischen Angriffen auf hohe Beamte, im Februar auf den Gouverneur
Krapotkin, im März auf deu General Drentelen, im April auf den General
Tschertloff, an das sich wenige Tage später, am 14. April, das Attentat Sso-
lowjcffs aus den Zaren selbst schloß. Der Einfluß der Chauvinisten, die Furcht
vor ihnen oder das Bestreben, ihnen zu gefallen, reichte auch jetzt, wie früher,
bis in sehr hohe Sphären, bis in die Bureaus der Ministerien hinein. Selbst
das Kriegsministerium glaubte sich befugt, eigue Politik zu treiben. Im Sommer
1879 unternahm man, während die russische Presse unaufhörlich die Regierung
des deutschen Reiches verunglimpfte und zum Kriege mit ihm aufforderte,
mit dem General Chanzy, dem Botschafter Frankreichs am Petersburger Hofe,
eine Inspektion der Festungen im Gebiete der westlichen Grenzen, und es fanden
Truppenvcrschiebungen in dieser Richtung statt, die in Berlin bemerkt wurden
und Bedenken erregten. Der Zar brach der Gefahr, welche darin lag, die
Spitze ab, indem er sich zu einem Zusammentreffen mit dem deutscheu Kaiser,
seinem Oheim, entschloß, welches am 3. September zu Alexandrvwo vor sich
ging. Fürst Gortschcikoff, in erster Linie ein eitler und gefallsüchtiger Politiker,
dem es einerseits um den Beifall der Chauvinisten daheim, anderseits um den
der Franzosen zu thun war, hielt es für erlaubt, sich gegenüber einem Bericht¬
erstatter des Pariser Lolsil in einer Weise zu äußern, welche der friedlichen
Demonstration seines kaiserlichen Gebieters widersprach, und die oberste Leitung
des russischen Okkupationshecres in Bulgarien meinte gleichfalls gegen die in
Alexandrowv kundgegebene Gesinnung ihres Kriegsherrn agiren zu dürfen, indem
sie die Räumung des Landes einstellte und die vertragsmäßig sich vollziehende
Besetzung Nowibazars durch die Österreicher angriff. Endlich gehört in diesen
Zusammenhang, daß der General Obrutscheff in Paris erschien, um die dortige
Negierung wegen eines gegen Deutschland und Österreich gerichteten russisch¬
französischen Wafsenbündnisses zu sondiren, welches beiläufig von den Franzosen
abgelehnt wurde. Diese chauvinistische Ncbenpolitik neben der Vertragstreuen
Haltung Alexanders II., die von Mitgliedern der russischen Negierung nicht
bloß geduldet, sondern unterstützt wurde, und von der man befürchten mußte,
sie werde zuletzt auch den Zaren selbst in ihre Netze verwickeln und sich dienstbar
machen, bewog den Fürsten Bismarck, die Ausführung seines schon lange ge¬
hegten und vorbereiteten Planes zu einem Defensivbündniffe mit Österreich-
Ungarn zu beschleunigen, und die Staatsmänner des letzteren, bereitwillig darauf


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[0346] Chauvinisten und Regierung in Rußland. wahrte seine friedfertige Gesinnung und seine Vertragstreue, er berief den gleich- gesinnten Grafen Peter Schuwaloff zu sich nach Livadia und beauftragte ihn, den beunruhigten Großmächten zu versichern, daß der Berliner Friedensvertrag von Nußland genau ausgeführt werden solle. Nicht lange nachher äußerten die unzufriedenen Parteien ihren Verdruß durch den Stndentenauflauf vor der kaiserlichen Residenz in Petersburg, dem Anitschkoff-Palais, und in den ersten Monaten des neuen Jahres (1879) folgte darauf eine ganze Reihe von mörderischen Angriffen auf hohe Beamte, im Februar auf den Gouverneur Krapotkin, im März auf deu General Drentelen, im April auf den General Tschertloff, an das sich wenige Tage später, am 14. April, das Attentat Sso- lowjcffs aus den Zaren selbst schloß. Der Einfluß der Chauvinisten, die Furcht vor ihnen oder das Bestreben, ihnen zu gefallen, reichte auch jetzt, wie früher, bis in sehr hohe Sphären, bis in die Bureaus der Ministerien hinein. Selbst das Kriegsministerium glaubte sich befugt, eigue Politik zu treiben. Im Sommer 1879 unternahm man, während die russische Presse unaufhörlich die Regierung des deutschen Reiches verunglimpfte und zum Kriege mit ihm aufforderte, mit dem General Chanzy, dem Botschafter Frankreichs am Petersburger Hofe, eine Inspektion der Festungen im Gebiete der westlichen Grenzen, und es fanden Truppenvcrschiebungen in dieser Richtung statt, die in Berlin bemerkt wurden und Bedenken erregten. Der Zar brach der Gefahr, welche darin lag, die Spitze ab, indem er sich zu einem Zusammentreffen mit dem deutscheu Kaiser, seinem Oheim, entschloß, welches am 3. September zu Alexandrvwo vor sich ging. Fürst Gortschcikoff, in erster Linie ein eitler und gefallsüchtiger Politiker, dem es einerseits um den Beifall der Chauvinisten daheim, anderseits um den der Franzosen zu thun war, hielt es für erlaubt, sich gegenüber einem Bericht¬ erstatter des Pariser Lolsil in einer Weise zu äußern, welche der friedlichen Demonstration seines kaiserlichen Gebieters widersprach, und die oberste Leitung des russischen Okkupationshecres in Bulgarien meinte gleichfalls gegen die in Alexandrowv kundgegebene Gesinnung ihres Kriegsherrn agiren zu dürfen, indem sie die Räumung des Landes einstellte und die vertragsmäßig sich vollziehende Besetzung Nowibazars durch die Österreicher angriff. Endlich gehört in diesen Zusammenhang, daß der General Obrutscheff in Paris erschien, um die dortige Negierung wegen eines gegen Deutschland und Österreich gerichteten russisch¬ französischen Wafsenbündnisses zu sondiren, welches beiläufig von den Franzosen abgelehnt wurde. Diese chauvinistische Ncbenpolitik neben der Vertragstreuen Haltung Alexanders II., die von Mitgliedern der russischen Negierung nicht bloß geduldet, sondern unterstützt wurde, und von der man befürchten mußte, sie werde zuletzt auch den Zaren selbst in ihre Netze verwickeln und sich dienstbar machen, bewog den Fürsten Bismarck, die Ausführung seines schon lange ge¬ hegten und vorbereiteten Planes zu einem Defensivbündniffe mit Österreich- Ungarn zu beschleunigen, und die Staatsmänner des letzteren, bereitwillig darauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/346>, abgerufen am 03.07.2024.