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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Chauvinisten und Regierung in Rußland.
i.

on Zeit zu Zeit steigen ein unserm östlichen Horizonte Fragen
auf, die, wenn die Fortdauer des Friedens von ihnen nicht un¬
mittelbar bedroht wird, doch insofern Bedenken erwecken, als sie
ans Zustände und Bestrebungen schließen lassen, welche dieselbe
in Zukunft ernstlich gefährden können. Die russische Regierung
unterhält mit ihren westlichen Nachbarn gute Beziehungen, der Zar hat mit
den Herrschern des deutsche" Reiches und Österreich-Ungarns in Skiernewice
und Kremsier freundschaftliche Versicherungen und friedfertige Zusagen aus¬
getauscht, und die Kabinette der drei Kaiserstaaten haben sich mit Erfolg bemüht,
die Entwicklung der Krise, welche auf der Balkanhalbinsel ausbrach, in Bahnen
zu lenken, in welchen sie, wenigstens sür die Gegenwart, gefahrlos erscheint.
Die maßgebenden Kreise in Petersburg haben zwar wenig Anlaß, über den Gang
der Dinge in Bulgarien und Serbien besondre Befriedigung zu empfinden, und
sie mögen auch in andern Richtungen meinen, daß Rußlands Interesse nicht
genügend gewahrt sei, aber sie ordneten ihre Mißstimmung dem Bedürfnisse nach
Erhaltung des Friedens unter, und wir haben Ursache,, anzunehmen, daß sie
diese Politik weiter verfolgen werden, so lange sie können. Die Frage ist nnr,
wie lauge sie es können werden. Neben ihnen besteht eine chauvinistische Partei,
welche, indem sie sich das Ansehen giebt, im Namen des russischen Volkes zu
sprechen und dessen wahres Interesse zu vertreten, andre Wege als die von der
Regierung eingeschlagncn empfiehlt und die letzteren bisweilen mit einem Ungestüm
verurteilt, welches befremden muß, weil es von einer Macht geduldet wird, die
es nicht nötig zu haben scheint, sich Opposition in solchem Tone gefallen zu'


Grmzbow,lII. 1886. 37


Chauvinisten und Regierung in Rußland.
i.

on Zeit zu Zeit steigen ein unserm östlichen Horizonte Fragen
auf, die, wenn die Fortdauer des Friedens von ihnen nicht un¬
mittelbar bedroht wird, doch insofern Bedenken erwecken, als sie
ans Zustände und Bestrebungen schließen lassen, welche dieselbe
in Zukunft ernstlich gefährden können. Die russische Regierung
unterhält mit ihren westlichen Nachbarn gute Beziehungen, der Zar hat mit
den Herrschern des deutsche» Reiches und Österreich-Ungarns in Skiernewice
und Kremsier freundschaftliche Versicherungen und friedfertige Zusagen aus¬
getauscht, und die Kabinette der drei Kaiserstaaten haben sich mit Erfolg bemüht,
die Entwicklung der Krise, welche auf der Balkanhalbinsel ausbrach, in Bahnen
zu lenken, in welchen sie, wenigstens sür die Gegenwart, gefahrlos erscheint.
Die maßgebenden Kreise in Petersburg haben zwar wenig Anlaß, über den Gang
der Dinge in Bulgarien und Serbien besondre Befriedigung zu empfinden, und
sie mögen auch in andern Richtungen meinen, daß Rußlands Interesse nicht
genügend gewahrt sei, aber sie ordneten ihre Mißstimmung dem Bedürfnisse nach
Erhaltung des Friedens unter, und wir haben Ursache,, anzunehmen, daß sie
diese Politik weiter verfolgen werden, so lange sie können. Die Frage ist nnr,
wie lauge sie es können werden. Neben ihnen besteht eine chauvinistische Partei,
welche, indem sie sich das Ansehen giebt, im Namen des russischen Volkes zu
sprechen und dessen wahres Interesse zu vertreten, andre Wege als die von der
Regierung eingeschlagncn empfiehlt und die letzteren bisweilen mit einem Ungestüm
verurteilt, welches befremden muß, weil es von einer Macht geduldet wird, die
es nicht nötig zu haben scheint, sich Opposition in solchem Tone gefallen zu'


Grmzbow,lII. 1886. 37
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[0297] [Abbildung] Chauvinisten und Regierung in Rußland. i. on Zeit zu Zeit steigen ein unserm östlichen Horizonte Fragen auf, die, wenn die Fortdauer des Friedens von ihnen nicht un¬ mittelbar bedroht wird, doch insofern Bedenken erwecken, als sie ans Zustände und Bestrebungen schließen lassen, welche dieselbe in Zukunft ernstlich gefährden können. Die russische Regierung unterhält mit ihren westlichen Nachbarn gute Beziehungen, der Zar hat mit den Herrschern des deutsche» Reiches und Österreich-Ungarns in Skiernewice und Kremsier freundschaftliche Versicherungen und friedfertige Zusagen aus¬ getauscht, und die Kabinette der drei Kaiserstaaten haben sich mit Erfolg bemüht, die Entwicklung der Krise, welche auf der Balkanhalbinsel ausbrach, in Bahnen zu lenken, in welchen sie, wenigstens sür die Gegenwart, gefahrlos erscheint. Die maßgebenden Kreise in Petersburg haben zwar wenig Anlaß, über den Gang der Dinge in Bulgarien und Serbien besondre Befriedigung zu empfinden, und sie mögen auch in andern Richtungen meinen, daß Rußlands Interesse nicht genügend gewahrt sei, aber sie ordneten ihre Mißstimmung dem Bedürfnisse nach Erhaltung des Friedens unter, und wir haben Ursache,, anzunehmen, daß sie diese Politik weiter verfolgen werden, so lange sie können. Die Frage ist nnr, wie lauge sie es können werden. Neben ihnen besteht eine chauvinistische Partei, welche, indem sie sich das Ansehen giebt, im Namen des russischen Volkes zu sprechen und dessen wahres Interesse zu vertreten, andre Wege als die von der Regierung eingeschlagncn empfiehlt und die letzteren bisweilen mit einem Ungestüm verurteilt, welches befremden muß, weil es von einer Macht geduldet wird, die es nicht nötig zu haben scheint, sich Opposition in solchem Tone gefallen zu' Grmzbow,lII. 1886. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/297>, abgerufen am 03.07.2024.