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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Lamoüns.

daß Euer Gemahl meiner noch ohne Groll und Fluch gedenke. Ich habe es
nicht um ihn verdient und hätte seinen Zorn in Reue und Demut getragen.
Ist es aber anders, ist er in Lissabon, so laßt ihn wissen, daß ich ihm gern
vor dem letzten Scheiden noch ein Wort gesagt hätte.

Esmah lächelte dem Erschütterten so herzlich zu, daß er die Wahrheit er¬
kennen mußte. Ihr seid mit Manuel gekommen, sagte er lauter. Er vermag
vielleicht meinen Ruf zu hören; wenn ers vermag, so weiß er, daß ich mich
nach ihm sehne.

Der Priester trat einen Schritt nach der Schwelle, aber Barreto, dem
vor der Zellenthür kein Wort entgangen war, kam seinem Winke zuvor. Er
stand alsbald neben Esmah, und die Arme des Kranken umschlangen die hohe,
kräftige Gestalt des Fidalgo. Auch Okaz schlich in die Zelle, blieb aber an
der Thür stehen und blickte gleich dem Priester mit feuchten Augen ans das
Wiedersehen der Freunde, welche lange Minuten kein Wort fanden. Das
thränenübcrströmte Gesicht Barrctos beugte sich liebevoll zu Camoens' Haupt
herab, das wieder auf die Kissen gesunken war. Endlich richtete sich Camoens
von neuem empor und sagte laut und ruhig: Ich habe mich auf ein Gottes¬
gericht berufen, Manuel, und Gott hat gerichtet! Daß Ihr zu mir gekommen
seid, nehme ich als ein tröstliches Unterpfand, daß meine Neue den Irrtum
meines Herzens aufgewogen hat. Ich habe gebüßt, wie ein Mensch büßen kann,
habe in öder Verzweiflung, in bitterer Not und trostloser Einsamkeit gelitten,
als trüge ich allein die Schuld am Elend des Vaterlandes und am Niedergange
unsers alten Ruhmes. Ihr wißt es, Manuel, daß anch ohne mich geschehen
wäre, was auf uns allen liegt, Ihr wißt auch, wie ich dazu gekommen bin,
mit meiner Dichtung den Brand zu schüren, der Portugal verzehrt. Daß Ihr
mir vergeben könnt, stärkt meine Hoffnung, daß mir bei Gott vergeben sei!

Sprecht nicht von Vergebung, Luis! bat Manuel Barreto. Hat Euer
Irrtum mir weh gethan, so that er es immer nur um Euertwillen! Maße
Euch keine größere Schuld bei, als die Ihr tragt und mit Tausenden teilt --
faßt neuen Mut, neue Hoffnung!

Mut zum Ende, Manuel, Hoffnung ans Gottes Erbarmen, antwortete
ruhig der Kranke. Habt innigen Dank, daß Ihr meine letzten Stunden schöner
erhellt, als es der Frühlingssonncnschein draußen vermochte -- Dank, daß ich
Euch glücklich neben Frau Esmah schauen darf. Meine Schuld wog doch
schwerer, als die der Tausende, und ich sühne sie wahrlich auch schwerer. Ihr
wißt, daß mein Leben keinen Zweck und keine Frucht gehabt als jenes Werk,
das den Ruhm und die Ehre unsers Volkes feiert und das nun mit Portugal
selbst, mit dem Glänze unsrer Seefahrten und Siege, mit dem Namen der
Lusitanen in Vergessenheit sinkt!

Luis Camoens, was sagt Ihr? rief Barreto aufwallend. So gewiß unser
Volk nicht untergeht, so gewiß die Welt unsre Thaten nicht vergißt, so gewiß


Lamoüns.

daß Euer Gemahl meiner noch ohne Groll und Fluch gedenke. Ich habe es
nicht um ihn verdient und hätte seinen Zorn in Reue und Demut getragen.
Ist es aber anders, ist er in Lissabon, so laßt ihn wissen, daß ich ihm gern
vor dem letzten Scheiden noch ein Wort gesagt hätte.

Esmah lächelte dem Erschütterten so herzlich zu, daß er die Wahrheit er¬
kennen mußte. Ihr seid mit Manuel gekommen, sagte er lauter. Er vermag
vielleicht meinen Ruf zu hören; wenn ers vermag, so weiß er, daß ich mich
nach ihm sehne.

Der Priester trat einen Schritt nach der Schwelle, aber Barreto, dem
vor der Zellenthür kein Wort entgangen war, kam seinem Winke zuvor. Er
stand alsbald neben Esmah, und die Arme des Kranken umschlangen die hohe,
kräftige Gestalt des Fidalgo. Auch Okaz schlich in die Zelle, blieb aber an
der Thür stehen und blickte gleich dem Priester mit feuchten Augen ans das
Wiedersehen der Freunde, welche lange Minuten kein Wort fanden. Das
thränenübcrströmte Gesicht Barrctos beugte sich liebevoll zu Camoens' Haupt
herab, das wieder auf die Kissen gesunken war. Endlich richtete sich Camoens
von neuem empor und sagte laut und ruhig: Ich habe mich auf ein Gottes¬
gericht berufen, Manuel, und Gott hat gerichtet! Daß Ihr zu mir gekommen
seid, nehme ich als ein tröstliches Unterpfand, daß meine Neue den Irrtum
meines Herzens aufgewogen hat. Ich habe gebüßt, wie ein Mensch büßen kann,
habe in öder Verzweiflung, in bitterer Not und trostloser Einsamkeit gelitten,
als trüge ich allein die Schuld am Elend des Vaterlandes und am Niedergange
unsers alten Ruhmes. Ihr wißt es, Manuel, daß anch ohne mich geschehen
wäre, was auf uns allen liegt, Ihr wißt auch, wie ich dazu gekommen bin,
mit meiner Dichtung den Brand zu schüren, der Portugal verzehrt. Daß Ihr
mir vergeben könnt, stärkt meine Hoffnung, daß mir bei Gott vergeben sei!

Sprecht nicht von Vergebung, Luis! bat Manuel Barreto. Hat Euer
Irrtum mir weh gethan, so that er es immer nur um Euertwillen! Maße
Euch keine größere Schuld bei, als die Ihr tragt und mit Tausenden teilt —
faßt neuen Mut, neue Hoffnung!

Mut zum Ende, Manuel, Hoffnung ans Gottes Erbarmen, antwortete
ruhig der Kranke. Habt innigen Dank, daß Ihr meine letzten Stunden schöner
erhellt, als es der Frühlingssonncnschein draußen vermochte — Dank, daß ich
Euch glücklich neben Frau Esmah schauen darf. Meine Schuld wog doch
schwerer, als die der Tausende, und ich sühne sie wahrlich auch schwerer. Ihr
wißt, daß mein Leben keinen Zweck und keine Frucht gehabt als jenes Werk,
das den Ruhm und die Ehre unsers Volkes feiert und das nun mit Portugal
selbst, mit dem Glänze unsrer Seefahrten und Siege, mit dem Namen der
Lusitanen in Vergessenheit sinkt!

Luis Camoens, was sagt Ihr? rief Barreto aufwallend. So gewiß unser
Volk nicht untergeht, so gewiß die Welt unsre Thaten nicht vergißt, so gewiß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/288>, abgerufen am 03.07.2024.