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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Camoens.

Ich möchte ihm Wohl- und nicht wehthun, versetzte Varreto. Nicht ich,
sondern er wird es sein, welcher des Vergangnen gedenkt. Ich werde ihn bitten,
um deinetwillen alten Zwist und Dinge, die längst eitel und nichtig geworden
sind, ruhen zu lassen. Dort ist die Pforte des Hospitals, Esmcch, und Okaz
hat Einlaß gefunden. Fast will minds bedünken, als wäre er in seiner schlichten
Treue der bessere Mann von uns beiden, er hat nicht abgelassen, nach Camoens'
Schicksal zu forschen, hat tagelang wieder und wieder Lissabon nach seiner Spur
durchsucht, sich von keinem Mißlingen abschrecken lassen, und wir danken es ihm
allein, wenn wir den Freund finden.

Sie gingen im Abendlichte von Zeit zu Zeit stillstehend an der Kloster-
mauer hin, und ehe sie die große Pforte des Hospitals erreichten, zeigte sich
ihr belobter Gefährte schon wieder unter derselben. Er winkte den Näher¬
kommenden in einer Weise, aus der sie errieten, daß er erwünschten Bescheid
erhalten habe. Der Herr und die Herrin von Almoeegema beschleunigten jetzt
ihre Schritte, sie sahen im Näherkommen, daß ein greiser Priester und der
Thürhüter des Hospitals hinter Bartolomeo Okaz standen und ihnen entgegen¬
blinkten. Euer Freund ist hier, Senhor Manuel -- leider schwer krank, wie
Ihr gefürchtet habt, flüsterte der Herbergswirt, während er von der Schwelle
hinwegtrat, um Varreto und seine Gemahlin einzulassen. Sie grüßten ehr¬
furchtsvoll den alten Priester, dessen klare, milde Züge und dessen Gestalt Esmcch
an Pater Henriques mahnten, der sie getauft und getraut hatte. Ehe Varreto
eine Frage zu thun vermochte, nahm der Priester das Wort und sagte: Ich
vernehme vou diesen: Manne hier, Senhor Manuel Varreto, daß Ihr Luis Ca¬
moens, den Dichter, sucht und ein Freund des Kranke" seid, der ihn zu sehen und
zu trösten begehrt. Er hat seit wenigen Tagen hier Aufnahme gefunden, niemand
ahnte ja, daß der Ruhmreiche in hilfloser Verborgenheit lebe und der Barmherzigkeit
andrer bedürfe. Wir würden es heute uoch nicht wissen, wenn nicht eine der
Schwestern, die sich hier der Krankenpflege und frommen Übungen widmen, vor
Monaten selbst in lange, schwere Krankheit gefallen wäre und in dieser Krank¬
heit den Namen Camoens unablässig genannt hätte. Die Kranke schien sich
einer Schuld gegen ihn zu zeihen; um ihrer Genesung, ihrer Seelenruhe willen
begannen wir Nachforschungen nach seinem Schicksale. Er war seit dem großen
Unglück, das über Portugal hereingebrochen, nirgends mehr öffentlich gesehen
worden, es hielt schwer, ihn aufzufinden, und als es endlich gelang -- aber Ihr
werdet selbst sehen, Herr, und auch Ihr, edle Frau, wie wir ihn fanden. Immer¬
hin war es ein Tropfen Linderung für die gequälte Seele unsrer Genesenden
und Erquickung auch für den Sterbenden, daß er in dies Haus gebracht ward.

Ihr glaubt, daß seine Tage gezählt sind? fragte Varreto in tiefer Be¬
wegung.

Ich fürchte, seine Stunden sind es, Senhor! entgegnete ernst der Hospital¬
priester, indem er den Besuchern voranschritt. Esmcch aber hielt Manuel zurück


Camoens.

Ich möchte ihm Wohl- und nicht wehthun, versetzte Varreto. Nicht ich,
sondern er wird es sein, welcher des Vergangnen gedenkt. Ich werde ihn bitten,
um deinetwillen alten Zwist und Dinge, die längst eitel und nichtig geworden
sind, ruhen zu lassen. Dort ist die Pforte des Hospitals, Esmcch, und Okaz
hat Einlaß gefunden. Fast will minds bedünken, als wäre er in seiner schlichten
Treue der bessere Mann von uns beiden, er hat nicht abgelassen, nach Camoens'
Schicksal zu forschen, hat tagelang wieder und wieder Lissabon nach seiner Spur
durchsucht, sich von keinem Mißlingen abschrecken lassen, und wir danken es ihm
allein, wenn wir den Freund finden.

Sie gingen im Abendlichte von Zeit zu Zeit stillstehend an der Kloster-
mauer hin, und ehe sie die große Pforte des Hospitals erreichten, zeigte sich
ihr belobter Gefährte schon wieder unter derselben. Er winkte den Näher¬
kommenden in einer Weise, aus der sie errieten, daß er erwünschten Bescheid
erhalten habe. Der Herr und die Herrin von Almoeegema beschleunigten jetzt
ihre Schritte, sie sahen im Näherkommen, daß ein greiser Priester und der
Thürhüter des Hospitals hinter Bartolomeo Okaz standen und ihnen entgegen¬
blinkten. Euer Freund ist hier, Senhor Manuel — leider schwer krank, wie
Ihr gefürchtet habt, flüsterte der Herbergswirt, während er von der Schwelle
hinwegtrat, um Varreto und seine Gemahlin einzulassen. Sie grüßten ehr¬
furchtsvoll den alten Priester, dessen klare, milde Züge und dessen Gestalt Esmcch
an Pater Henriques mahnten, der sie getauft und getraut hatte. Ehe Varreto
eine Frage zu thun vermochte, nahm der Priester das Wort und sagte: Ich
vernehme vou diesen: Manne hier, Senhor Manuel Varreto, daß Ihr Luis Ca¬
moens, den Dichter, sucht und ein Freund des Kranke» seid, der ihn zu sehen und
zu trösten begehrt. Er hat seit wenigen Tagen hier Aufnahme gefunden, niemand
ahnte ja, daß der Ruhmreiche in hilfloser Verborgenheit lebe und der Barmherzigkeit
andrer bedürfe. Wir würden es heute uoch nicht wissen, wenn nicht eine der
Schwestern, die sich hier der Krankenpflege und frommen Übungen widmen, vor
Monaten selbst in lange, schwere Krankheit gefallen wäre und in dieser Krank¬
heit den Namen Camoens unablässig genannt hätte. Die Kranke schien sich
einer Schuld gegen ihn zu zeihen; um ihrer Genesung, ihrer Seelenruhe willen
begannen wir Nachforschungen nach seinem Schicksale. Er war seit dem großen
Unglück, das über Portugal hereingebrochen, nirgends mehr öffentlich gesehen
worden, es hielt schwer, ihn aufzufinden, und als es endlich gelang — aber Ihr
werdet selbst sehen, Herr, und auch Ihr, edle Frau, wie wir ihn fanden. Immer¬
hin war es ein Tropfen Linderung für die gequälte Seele unsrer Genesenden
und Erquickung auch für den Sterbenden, daß er in dies Haus gebracht ward.

Ihr glaubt, daß seine Tage gezählt sind? fragte Varreto in tiefer Be¬
wegung.

Ich fürchte, seine Stunden sind es, Senhor! entgegnete ernst der Hospital¬
priester, indem er den Besuchern voranschritt. Esmcch aber hielt Manuel zurück


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[0286] Camoens. Ich möchte ihm Wohl- und nicht wehthun, versetzte Varreto. Nicht ich, sondern er wird es sein, welcher des Vergangnen gedenkt. Ich werde ihn bitten, um deinetwillen alten Zwist und Dinge, die längst eitel und nichtig geworden sind, ruhen zu lassen. Dort ist die Pforte des Hospitals, Esmcch, und Okaz hat Einlaß gefunden. Fast will minds bedünken, als wäre er in seiner schlichten Treue der bessere Mann von uns beiden, er hat nicht abgelassen, nach Camoens' Schicksal zu forschen, hat tagelang wieder und wieder Lissabon nach seiner Spur durchsucht, sich von keinem Mißlingen abschrecken lassen, und wir danken es ihm allein, wenn wir den Freund finden. Sie gingen im Abendlichte von Zeit zu Zeit stillstehend an der Kloster- mauer hin, und ehe sie die große Pforte des Hospitals erreichten, zeigte sich ihr belobter Gefährte schon wieder unter derselben. Er winkte den Näher¬ kommenden in einer Weise, aus der sie errieten, daß er erwünschten Bescheid erhalten habe. Der Herr und die Herrin von Almoeegema beschleunigten jetzt ihre Schritte, sie sahen im Näherkommen, daß ein greiser Priester und der Thürhüter des Hospitals hinter Bartolomeo Okaz standen und ihnen entgegen¬ blinkten. Euer Freund ist hier, Senhor Manuel — leider schwer krank, wie Ihr gefürchtet habt, flüsterte der Herbergswirt, während er von der Schwelle hinwegtrat, um Varreto und seine Gemahlin einzulassen. Sie grüßten ehr¬ furchtsvoll den alten Priester, dessen klare, milde Züge und dessen Gestalt Esmcch an Pater Henriques mahnten, der sie getauft und getraut hatte. Ehe Varreto eine Frage zu thun vermochte, nahm der Priester das Wort und sagte: Ich vernehme vou diesen: Manne hier, Senhor Manuel Varreto, daß Ihr Luis Ca¬ moens, den Dichter, sucht und ein Freund des Kranke» seid, der ihn zu sehen und zu trösten begehrt. Er hat seit wenigen Tagen hier Aufnahme gefunden, niemand ahnte ja, daß der Ruhmreiche in hilfloser Verborgenheit lebe und der Barmherzigkeit andrer bedürfe. Wir würden es heute uoch nicht wissen, wenn nicht eine der Schwestern, die sich hier der Krankenpflege und frommen Übungen widmen, vor Monaten selbst in lange, schwere Krankheit gefallen wäre und in dieser Krank¬ heit den Namen Camoens unablässig genannt hätte. Die Kranke schien sich einer Schuld gegen ihn zu zeihen; um ihrer Genesung, ihrer Seelenruhe willen begannen wir Nachforschungen nach seinem Schicksale. Er war seit dem großen Unglück, das über Portugal hereingebrochen, nirgends mehr öffentlich gesehen worden, es hielt schwer, ihn aufzufinden, und als es endlich gelang — aber Ihr werdet selbst sehen, Herr, und auch Ihr, edle Frau, wie wir ihn fanden. Immer¬ hin war es ein Tropfen Linderung für die gequälte Seele unsrer Genesenden und Erquickung auch für den Sterbenden, daß er in dies Haus gebracht ward. Ihr glaubt, daß seine Tage gezählt sind? fragte Varreto in tiefer Be¬ wegung. Ich fürchte, seine Stunden sind es, Senhor! entgegnete ernst der Hospital¬ priester, indem er den Besuchern voranschritt. Esmcch aber hielt Manuel zurück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/286>, abgerufen am 24.08.2024.