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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Lamoens.

opfert zu werden. Und während sie sicher in der dunkeln, engen Mauernstadt
am afrikanischen Strande auf das Wiedererwachen von Dom Sebastians Neigung
und Leidenschaft gehofft hatte, war die Kunde seines jähen Todes zu ihr ge¬
drungen! Camoens dachte an Catarina mit einem tiefen Mitleid, ans dem jede
selbstsüchtige Regung, jeder Traum glücklicher Zukunft verflogen war. Er wollte
und begehrte nichts mehr, als der Gebrochenen den Rest seines unnützen Lebens
zu weihen, und schon erfüllte es ihn mit heißer Ungeduld, daß ihn ein Stück
Weltmeer und eine Reihe von Tagen von dem traurigen Verbannungsorte Ka¬
tarinas trennten.

Der Abend sank heute auf Lissabon herab, ohne Abendruhe zu bringen.
Die erregten Volksmassen, welche die Straßen durchzogen und in immer lautere
Verwünschungen aller Ratgeber ausbrachen, die den König und Portugal
in die unselige Unternehmung gestürzt hatten, lechzten dabei nach neuen Er¬
regungen, nach Einzelheiten des ungeheuern Unglücks. Weil sie wußten, daß
die königliche Flotte der Vernichtung entgange" sei, schaarten sie sich um das
Hafenbecken, als ob deren Segel in der nächsten Minute sichtbar werden könnten.
Cnmoens suchte sich einen Pfad zum Hause der Admiralität zu bahnen, wo er
am ehesten erfahren konnte, ob morgen el" Schiff nach Tanger gehe oder nicht.
Ehe er indes den Eingang zu dem langgestreckten Gebäude gewann, unter dessen
Fenstern gleichfalls tobende, drohende Volkshaufen standen, vernahm er aus
einer Gruppe von Schiffern und Hafenwächtern, daß vom Wachtturme am
südlichen Molo zwei Schiffe aus Tanger signulisirt seien. Die Nachricht bannte
ihn auf die Stelle, an der er sie vernommen hatte. Nicht wahrscheinlich, aber
möglich war es doch, daß sich am Bord dieser Fahrzeuge jemand befand, welcher
die Gräfin Palmeinm in Tanger gesehen hatte und ihm ein Wort, ein tröst¬
liches Wort über sie berichten konnte.

Von den gewaltsame" Eindrücken des Tages tief erschöpft und völlig
stumm, lehnte sich Ccunoeus an einen der Pfeiler mit eisernen Ringen, an denen
die landenden kleineren Fahrzeuge festgelegt wurde". Er sah über die Hafen¬
flut hin, i" welcher sich die letzte" farbige" Wolken spiegelten, und vernahm
hinter sich den brausenden Lärm, ans dem immer aufs neue Wehklagen, Gebete
und Verwünschungen erschollen. Ihn, war unsäglich schwer und wirr zu Mute,
er fühlte, des Königs gedenkend, bald die tiefste Trauer, bald einen raschver-
loderndcn Zorn über das Weh, das Dom Sebastian der Gräfin Catarina bereitet
hatte. Dazu erfüllte" stumme Anklagen wider sich selbst seine Seele, so oft er
der Toten auf dem fernen Wüstenschlachtfelde gedachte, ergriff ihn ein dumpfer
Schauder und er mußte den Nest seiner Kraft aufbieten, um aufrecht zu bleiben.
Dann scheuchte er auf Minuten die quälenden Gedanken von sich und blickte
den beiden Schiffen entgegen, welche im Halbdunkel langsam, viel zu langsam
für seine brennende Ungeduld von der Rhede hcraufsegelten. Es ward immer
nächtiger rings umher, der Hafenvogt ließ ein paar Pechpfcmnen anzünden,


Lamoens.

opfert zu werden. Und während sie sicher in der dunkeln, engen Mauernstadt
am afrikanischen Strande auf das Wiedererwachen von Dom Sebastians Neigung
und Leidenschaft gehofft hatte, war die Kunde seines jähen Todes zu ihr ge¬
drungen! Camoens dachte an Catarina mit einem tiefen Mitleid, ans dem jede
selbstsüchtige Regung, jeder Traum glücklicher Zukunft verflogen war. Er wollte
und begehrte nichts mehr, als der Gebrochenen den Rest seines unnützen Lebens
zu weihen, und schon erfüllte es ihn mit heißer Ungeduld, daß ihn ein Stück
Weltmeer und eine Reihe von Tagen von dem traurigen Verbannungsorte Ka¬
tarinas trennten.

Der Abend sank heute auf Lissabon herab, ohne Abendruhe zu bringen.
Die erregten Volksmassen, welche die Straßen durchzogen und in immer lautere
Verwünschungen aller Ratgeber ausbrachen, die den König und Portugal
in die unselige Unternehmung gestürzt hatten, lechzten dabei nach neuen Er¬
regungen, nach Einzelheiten des ungeheuern Unglücks. Weil sie wußten, daß
die königliche Flotte der Vernichtung entgange» sei, schaarten sie sich um das
Hafenbecken, als ob deren Segel in der nächsten Minute sichtbar werden könnten.
Cnmoens suchte sich einen Pfad zum Hause der Admiralität zu bahnen, wo er
am ehesten erfahren konnte, ob morgen el» Schiff nach Tanger gehe oder nicht.
Ehe er indes den Eingang zu dem langgestreckten Gebäude gewann, unter dessen
Fenstern gleichfalls tobende, drohende Volkshaufen standen, vernahm er aus
einer Gruppe von Schiffern und Hafenwächtern, daß vom Wachtturme am
südlichen Molo zwei Schiffe aus Tanger signulisirt seien. Die Nachricht bannte
ihn auf die Stelle, an der er sie vernommen hatte. Nicht wahrscheinlich, aber
möglich war es doch, daß sich am Bord dieser Fahrzeuge jemand befand, welcher
die Gräfin Palmeinm in Tanger gesehen hatte und ihm ein Wort, ein tröst¬
liches Wort über sie berichten konnte.

Von den gewaltsame» Eindrücken des Tages tief erschöpft und völlig
stumm, lehnte sich Ccunoeus an einen der Pfeiler mit eisernen Ringen, an denen
die landenden kleineren Fahrzeuge festgelegt wurde». Er sah über die Hafen¬
flut hin, i» welcher sich die letzte» farbige» Wolken spiegelten, und vernahm
hinter sich den brausenden Lärm, ans dem immer aufs neue Wehklagen, Gebete
und Verwünschungen erschollen. Ihn, war unsäglich schwer und wirr zu Mute,
er fühlte, des Königs gedenkend, bald die tiefste Trauer, bald einen raschver-
loderndcn Zorn über das Weh, das Dom Sebastian der Gräfin Catarina bereitet
hatte. Dazu erfüllte» stumme Anklagen wider sich selbst seine Seele, so oft er
der Toten auf dem fernen Wüstenschlachtfelde gedachte, ergriff ihn ein dumpfer
Schauder und er mußte den Nest seiner Kraft aufbieten, um aufrecht zu bleiben.
Dann scheuchte er auf Minuten die quälenden Gedanken von sich und blickte
den beiden Schiffen entgegen, welche im Halbdunkel langsam, viel zu langsam
für seine brennende Ungeduld von der Rhede hcraufsegelten. Es ward immer
nächtiger rings umher, der Hafenvogt ließ ein paar Pechpfcmnen anzünden,


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[0280] Lamoens. opfert zu werden. Und während sie sicher in der dunkeln, engen Mauernstadt am afrikanischen Strande auf das Wiedererwachen von Dom Sebastians Neigung und Leidenschaft gehofft hatte, war die Kunde seines jähen Todes zu ihr ge¬ drungen! Camoens dachte an Catarina mit einem tiefen Mitleid, ans dem jede selbstsüchtige Regung, jeder Traum glücklicher Zukunft verflogen war. Er wollte und begehrte nichts mehr, als der Gebrochenen den Rest seines unnützen Lebens zu weihen, und schon erfüllte es ihn mit heißer Ungeduld, daß ihn ein Stück Weltmeer und eine Reihe von Tagen von dem traurigen Verbannungsorte Ka¬ tarinas trennten. Der Abend sank heute auf Lissabon herab, ohne Abendruhe zu bringen. Die erregten Volksmassen, welche die Straßen durchzogen und in immer lautere Verwünschungen aller Ratgeber ausbrachen, die den König und Portugal in die unselige Unternehmung gestürzt hatten, lechzten dabei nach neuen Er¬ regungen, nach Einzelheiten des ungeheuern Unglücks. Weil sie wußten, daß die königliche Flotte der Vernichtung entgange» sei, schaarten sie sich um das Hafenbecken, als ob deren Segel in der nächsten Minute sichtbar werden könnten. Cnmoens suchte sich einen Pfad zum Hause der Admiralität zu bahnen, wo er am ehesten erfahren konnte, ob morgen el» Schiff nach Tanger gehe oder nicht. Ehe er indes den Eingang zu dem langgestreckten Gebäude gewann, unter dessen Fenstern gleichfalls tobende, drohende Volkshaufen standen, vernahm er aus einer Gruppe von Schiffern und Hafenwächtern, daß vom Wachtturme am südlichen Molo zwei Schiffe aus Tanger signulisirt seien. Die Nachricht bannte ihn auf die Stelle, an der er sie vernommen hatte. Nicht wahrscheinlich, aber möglich war es doch, daß sich am Bord dieser Fahrzeuge jemand befand, welcher die Gräfin Palmeinm in Tanger gesehen hatte und ihm ein Wort, ein tröst¬ liches Wort über sie berichten konnte. Von den gewaltsame» Eindrücken des Tages tief erschöpft und völlig stumm, lehnte sich Ccunoeus an einen der Pfeiler mit eisernen Ringen, an denen die landenden kleineren Fahrzeuge festgelegt wurde». Er sah über die Hafen¬ flut hin, i» welcher sich die letzte» farbige» Wolken spiegelten, und vernahm hinter sich den brausenden Lärm, ans dem immer aufs neue Wehklagen, Gebete und Verwünschungen erschollen. Ihn, war unsäglich schwer und wirr zu Mute, er fühlte, des Königs gedenkend, bald die tiefste Trauer, bald einen raschver- loderndcn Zorn über das Weh, das Dom Sebastian der Gräfin Catarina bereitet hatte. Dazu erfüllte» stumme Anklagen wider sich selbst seine Seele, so oft er der Toten auf dem fernen Wüstenschlachtfelde gedachte, ergriff ihn ein dumpfer Schauder und er mußte den Nest seiner Kraft aufbieten, um aufrecht zu bleiben. Dann scheuchte er auf Minuten die quälenden Gedanken von sich und blickte den beiden Schiffen entgegen, welche im Halbdunkel langsam, viel zu langsam für seine brennende Ungeduld von der Rhede hcraufsegelten. Es ward immer nächtiger rings umher, der Hafenvogt ließ ein paar Pechpfcmnen anzünden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/280>, abgerufen am 22.07.2024.