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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums - Kunstausstellung.

Ausstellung eines längst vergessenen Kartons, der bei seinem ersten Erscheinen
schon von einem so enthusiastischen Menzclverehrer wie Franz Kugler verurteilt
worden war, von neuem erhärtet worden.

Dieser Menzelschen Arbeit weit überlegen sind zwei Kartons zu den ge¬
schichtlichen Wandmalereien im Rathause zu Erfurt von Peter Jenssen, welcher
immer noch der bedeutendste Vertreter der monumentalen Malerei in Deutsch¬
land ist, soweit sich dieselbe mit historischen Stoffen beschäftigt. Die beiden
Kartons "Bonifcizius als Heidenbekehrer" und "Das tolle Jahr in Erfurt,"
welche schon das Fegefeuer von sechs oder sieben großen Ausstellungen durch-
gemacht haben, sind Muster des historischen Stils in monumentaler Dar¬
stellungsform, knapp und scharf in der Komposition und in den herrschenden
Linien und doch wuchtig und von dramatischer Kraft im Ausdrucke des Ein¬
zelnen, der selbst in der tumultuarischen Revolutionsszene des zweiten Bildes
die der monumentalen Kunst gesteckten Grenzen nicht überschreitet. Es kann keinem
Zweisel unterliegen, daß ein Künstler von solcher Begabung auch die in Angriff
genommenen Friesgemälde in der Uria der Düsseldorfer Kunstakademie, deren
Skizzen, das Menschenleben als Gegenstand künstlerischer Phantasie behandelnd,
er zu unsrer Ausstellung geschickt hat, ebenso würdig und kraftvoll ausführen
wird wie den Bilderchklns im Rathaussaale zu Erfurt.

Jenssen, dessen Arbeiten uns auf den monumentalen oder dekorativen
Zweig der Historienmalerei geführt haben, ist ein Künstler von ursprünglicher
Begabung, ein Mann, der sich seinen eignen Weg gebahnt hat, ohne nach
Michelangelo und Naffael zu schielen. Der Eklektizismus ist ihm verhaßt. Er
ist lieber schlicht und einfach er selbst, als daß er sich eine feierliche pathetische
Maske borgte, welche nur für kurze Zeit eine Täuschung hervorrufen kann. In
einer solchen keineswegs beneidenswerten Lage befindet sich der Maler Friedrich
Geselschap, welcher vor zehn Jahren bei Gelegenheit der Konkurrenz um die
Wandgemälde im Kaiserhause zu Goslar aus der Verborgenheit auftauchte und
einige Jahre darauf den Auftrag erhielt, die Kuppelhalle im Berliner Zeug¬
hause mit großen Malereien zu dekoriren. Der Ruf, der diesem plötzlich zum
Heile der monumentalen Kunst erschienenen Messias vorausging, war ein ganz
gewaltiger. Es handelte sich um nichts geringeres als um die Entthronung
Michelangelos und Raffaels von ihren mit Unrecht usurpirter Ehrcnsitzen.
Das erste, was Geselschap zu stände brachte, ein römischer Triumphzug im
Innern der Kuppel, erweckte auch die besten Hoffnungen. Es war wenigstens
auf einen Künstler zu rechnen, der in Italien die guten Muster der Wand-
malerei mit Verständnis studirt und sich ein sicheres Gefühl für monumentale
Größe und Würde angeeignet hatte. Leider sind wir in dieser Voraussicht
durch den großen Karton zu einem Lünettenbilde, eine Symbolik des Krieges,
bitter getäuscht worden. Das Aufgebot gewaltiger Mittel, riesengroßer, bald
übermüßig schlanker, bald übermüßig kräftiger und plumper Figuren kann den


Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums - Kunstausstellung.

Ausstellung eines längst vergessenen Kartons, der bei seinem ersten Erscheinen
schon von einem so enthusiastischen Menzclverehrer wie Franz Kugler verurteilt
worden war, von neuem erhärtet worden.

Dieser Menzelschen Arbeit weit überlegen sind zwei Kartons zu den ge¬
schichtlichen Wandmalereien im Rathause zu Erfurt von Peter Jenssen, welcher
immer noch der bedeutendste Vertreter der monumentalen Malerei in Deutsch¬
land ist, soweit sich dieselbe mit historischen Stoffen beschäftigt. Die beiden
Kartons „Bonifcizius als Heidenbekehrer" und „Das tolle Jahr in Erfurt,"
welche schon das Fegefeuer von sechs oder sieben großen Ausstellungen durch-
gemacht haben, sind Muster des historischen Stils in monumentaler Dar¬
stellungsform, knapp und scharf in der Komposition und in den herrschenden
Linien und doch wuchtig und von dramatischer Kraft im Ausdrucke des Ein¬
zelnen, der selbst in der tumultuarischen Revolutionsszene des zweiten Bildes
die der monumentalen Kunst gesteckten Grenzen nicht überschreitet. Es kann keinem
Zweisel unterliegen, daß ein Künstler von solcher Begabung auch die in Angriff
genommenen Friesgemälde in der Uria der Düsseldorfer Kunstakademie, deren
Skizzen, das Menschenleben als Gegenstand künstlerischer Phantasie behandelnd,
er zu unsrer Ausstellung geschickt hat, ebenso würdig und kraftvoll ausführen
wird wie den Bilderchklns im Rathaussaale zu Erfurt.

Jenssen, dessen Arbeiten uns auf den monumentalen oder dekorativen
Zweig der Historienmalerei geführt haben, ist ein Künstler von ursprünglicher
Begabung, ein Mann, der sich seinen eignen Weg gebahnt hat, ohne nach
Michelangelo und Naffael zu schielen. Der Eklektizismus ist ihm verhaßt. Er
ist lieber schlicht und einfach er selbst, als daß er sich eine feierliche pathetische
Maske borgte, welche nur für kurze Zeit eine Täuschung hervorrufen kann. In
einer solchen keineswegs beneidenswerten Lage befindet sich der Maler Friedrich
Geselschap, welcher vor zehn Jahren bei Gelegenheit der Konkurrenz um die
Wandgemälde im Kaiserhause zu Goslar aus der Verborgenheit auftauchte und
einige Jahre darauf den Auftrag erhielt, die Kuppelhalle im Berliner Zeug¬
hause mit großen Malereien zu dekoriren. Der Ruf, der diesem plötzlich zum
Heile der monumentalen Kunst erschienenen Messias vorausging, war ein ganz
gewaltiger. Es handelte sich um nichts geringeres als um die Entthronung
Michelangelos und Raffaels von ihren mit Unrecht usurpirter Ehrcnsitzen.
Das erste, was Geselschap zu stände brachte, ein römischer Triumphzug im
Innern der Kuppel, erweckte auch die besten Hoffnungen. Es war wenigstens
auf einen Künstler zu rechnen, der in Italien die guten Muster der Wand-
malerei mit Verständnis studirt und sich ein sicheres Gefühl für monumentale
Größe und Würde angeeignet hatte. Leider sind wir in dieser Voraussicht
durch den großen Karton zu einem Lünettenbilde, eine Symbolik des Krieges,
bitter getäuscht worden. Das Aufgebot gewaltiger Mittel, riesengroßer, bald
übermüßig schlanker, bald übermüßig kräftiger und plumper Figuren kann den


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[0271] Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums - Kunstausstellung. Ausstellung eines längst vergessenen Kartons, der bei seinem ersten Erscheinen schon von einem so enthusiastischen Menzclverehrer wie Franz Kugler verurteilt worden war, von neuem erhärtet worden. Dieser Menzelschen Arbeit weit überlegen sind zwei Kartons zu den ge¬ schichtlichen Wandmalereien im Rathause zu Erfurt von Peter Jenssen, welcher immer noch der bedeutendste Vertreter der monumentalen Malerei in Deutsch¬ land ist, soweit sich dieselbe mit historischen Stoffen beschäftigt. Die beiden Kartons „Bonifcizius als Heidenbekehrer" und „Das tolle Jahr in Erfurt," welche schon das Fegefeuer von sechs oder sieben großen Ausstellungen durch- gemacht haben, sind Muster des historischen Stils in monumentaler Dar¬ stellungsform, knapp und scharf in der Komposition und in den herrschenden Linien und doch wuchtig und von dramatischer Kraft im Ausdrucke des Ein¬ zelnen, der selbst in der tumultuarischen Revolutionsszene des zweiten Bildes die der monumentalen Kunst gesteckten Grenzen nicht überschreitet. Es kann keinem Zweisel unterliegen, daß ein Künstler von solcher Begabung auch die in Angriff genommenen Friesgemälde in der Uria der Düsseldorfer Kunstakademie, deren Skizzen, das Menschenleben als Gegenstand künstlerischer Phantasie behandelnd, er zu unsrer Ausstellung geschickt hat, ebenso würdig und kraftvoll ausführen wird wie den Bilderchklns im Rathaussaale zu Erfurt. Jenssen, dessen Arbeiten uns auf den monumentalen oder dekorativen Zweig der Historienmalerei geführt haben, ist ein Künstler von ursprünglicher Begabung, ein Mann, der sich seinen eignen Weg gebahnt hat, ohne nach Michelangelo und Naffael zu schielen. Der Eklektizismus ist ihm verhaßt. Er ist lieber schlicht und einfach er selbst, als daß er sich eine feierliche pathetische Maske borgte, welche nur für kurze Zeit eine Täuschung hervorrufen kann. In einer solchen keineswegs beneidenswerten Lage befindet sich der Maler Friedrich Geselschap, welcher vor zehn Jahren bei Gelegenheit der Konkurrenz um die Wandgemälde im Kaiserhause zu Goslar aus der Verborgenheit auftauchte und einige Jahre darauf den Auftrag erhielt, die Kuppelhalle im Berliner Zeug¬ hause mit großen Malereien zu dekoriren. Der Ruf, der diesem plötzlich zum Heile der monumentalen Kunst erschienenen Messias vorausging, war ein ganz gewaltiger. Es handelte sich um nichts geringeres als um die Entthronung Michelangelos und Raffaels von ihren mit Unrecht usurpirter Ehrcnsitzen. Das erste, was Geselschap zu stände brachte, ein römischer Triumphzug im Innern der Kuppel, erweckte auch die besten Hoffnungen. Es war wenigstens auf einen Künstler zu rechnen, der in Italien die guten Muster der Wand- malerei mit Verständnis studirt und sich ein sicheres Gefühl für monumentale Größe und Würde angeeignet hatte. Leider sind wir in dieser Voraussicht durch den großen Karton zu einem Lünettenbilde, eine Symbolik des Krieges, bitter getäuscht worden. Das Aufgebot gewaltiger Mittel, riesengroßer, bald übermüßig schlanker, bald übermüßig kräftiger und plumper Figuren kann den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/271>, abgerufen am 25.08.2024.