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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

zahlreichen Köpfe für die Reizlosigkeit des Kolorits. Der alte, ursprüngliche
Defregger, der sich ein begründetes Anrecht auf die Liebe des deutschen Volkes
erworben hat, erscheint nur auf zwei ältern, durch Nachbildungen allgemein
bekannten Genrebildern, dem "Zitherspieler" und dem "Besuch auf der Alm."
Hier decken sich die Mittel der Darstellung mit dem Stoffe so vollkommen,
daß mau diese Bilder zu jenen Schöpfungen zählen darf, melche dereinst das
Kunstvermögen unsrer Epoche ehrenvoll charakterisiren werden.

Jenes Spcckbacherbild sowie eine Episode aus dem Leben Andreas Hofers,
die Überreichung der Geschenke des Kaisers Franz an den Volkshelden in der
Hofburg zu Innsbruck, würde man nach altem Brauche wegen ihres Inhalts,
nach neuer Meinung wegen der Kleinheit der Figuren in die Kategorie der
historischen Genrebilder einreihen müssen. Dahin gehört auch ein glatt und
gewandt durchgeführtes Kostümstück des Pilotyschülcrs Max Adamo: "König
Karl I. von England empfängt den Besuch seiner jüngsten Kinder bei Maiden-
head," während ein Bild seines in diesen Tagen verstorbenen Meisters "Der
Rat der Drei in Venedig," vor welchem drei Vravi nach erbrachten Beweise
ihren Lohn für eine ihnen aufgetragene Blutthat in Goldmünzen empfangen, dem
reinen Genre beigezählt werden muß, weil keine bestimmte historische Persönlich¬
keit auf dem Gemälde erscheint. Mau sieht auch aus diesem Beispiele, wie
feine und umständliche Unterschiede bei der Einteilung der verschiednen Gattungen
der Malerei uach der alten Methode gemacht werden müssen. Piloty, den der
Tod bei der Arbeit an einem kolossalen Gemälde für die Berliner National¬
galerie: "Der Tod Alexanders des Großen," überraschte, hat übrigens in dem
venezianischen Genrebilde den Beweis geliefert, daß feine große koloristische
Kraft ihm bis an sein Lebensende tren geblieben ist. Die Charakteristik der
.Köpfe zeigt freilich wieder jene unheimliche Schärfe, die auf Pilvtyschcn Bildern
oft genug zur Übertreibung und Verzerrung ausgeartet ist.

Die Größe der Figuren sowie die Bedeutung des dargestellten Moments
geben zwei Bildern Adolf Menzels, der "Krönung König Wilhelms in Königs¬
berg" und "Friedrich und die Seinen bei Hvchkirch," den unzweifelhaften An¬
spruch auf den Namen von historischen Gemälden. Bei beiden wirken große
malerische Vorzüge sehr erheblich mit, um sie zu bedeutsamen, für die Berliner
Malerei charakteristischen Kunstwerken zu machen. Als Menzel mit ihnen be¬
schäftigt war, hatte er sich noch nicht in die barocke Ansicht verrannt, daß das
höchste Ziel malerischer Darstellung in flüchtiger, alles Wesenhafte summarisch
andeutender Slizzenhaftigteit zu suchen sei, wofür sein ebenfalls ausgestellter
"Gemüsemarkt in Verona" ein abschreckendes Beispiel liefert. Er sah damals
noch auf eine im wesentlichen plastische Formenbehandlung und auf Genauigkeit
und Schärfe der Konturen, was selbst bei dem Nachtsiücke "Friedrich und die
Seinen bei Hochkirch" noch zur Geltung kommt, soweit man ans diesem Bilde
Umrisse und plastische Formen überhaupt noch verfolgen kann. Das Problem,


Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

zahlreichen Köpfe für die Reizlosigkeit des Kolorits. Der alte, ursprüngliche
Defregger, der sich ein begründetes Anrecht auf die Liebe des deutschen Volkes
erworben hat, erscheint nur auf zwei ältern, durch Nachbildungen allgemein
bekannten Genrebildern, dem „Zitherspieler" und dem „Besuch auf der Alm."
Hier decken sich die Mittel der Darstellung mit dem Stoffe so vollkommen,
daß mau diese Bilder zu jenen Schöpfungen zählen darf, melche dereinst das
Kunstvermögen unsrer Epoche ehrenvoll charakterisiren werden.

Jenes Spcckbacherbild sowie eine Episode aus dem Leben Andreas Hofers,
die Überreichung der Geschenke des Kaisers Franz an den Volkshelden in der
Hofburg zu Innsbruck, würde man nach altem Brauche wegen ihres Inhalts,
nach neuer Meinung wegen der Kleinheit der Figuren in die Kategorie der
historischen Genrebilder einreihen müssen. Dahin gehört auch ein glatt und
gewandt durchgeführtes Kostümstück des Pilotyschülcrs Max Adamo: „König
Karl I. von England empfängt den Besuch seiner jüngsten Kinder bei Maiden-
head," während ein Bild seines in diesen Tagen verstorbenen Meisters „Der
Rat der Drei in Venedig," vor welchem drei Vravi nach erbrachten Beweise
ihren Lohn für eine ihnen aufgetragene Blutthat in Goldmünzen empfangen, dem
reinen Genre beigezählt werden muß, weil keine bestimmte historische Persönlich¬
keit auf dem Gemälde erscheint. Mau sieht auch aus diesem Beispiele, wie
feine und umständliche Unterschiede bei der Einteilung der verschiednen Gattungen
der Malerei uach der alten Methode gemacht werden müssen. Piloty, den der
Tod bei der Arbeit an einem kolossalen Gemälde für die Berliner National¬
galerie: „Der Tod Alexanders des Großen," überraschte, hat übrigens in dem
venezianischen Genrebilde den Beweis geliefert, daß feine große koloristische
Kraft ihm bis an sein Lebensende tren geblieben ist. Die Charakteristik der
.Köpfe zeigt freilich wieder jene unheimliche Schärfe, die auf Pilvtyschcn Bildern
oft genug zur Übertreibung und Verzerrung ausgeartet ist.

Die Größe der Figuren sowie die Bedeutung des dargestellten Moments
geben zwei Bildern Adolf Menzels, der „Krönung König Wilhelms in Königs¬
berg" und „Friedrich und die Seinen bei Hvchkirch," den unzweifelhaften An¬
spruch auf den Namen von historischen Gemälden. Bei beiden wirken große
malerische Vorzüge sehr erheblich mit, um sie zu bedeutsamen, für die Berliner
Malerei charakteristischen Kunstwerken zu machen. Als Menzel mit ihnen be¬
schäftigt war, hatte er sich noch nicht in die barocke Ansicht verrannt, daß das
höchste Ziel malerischer Darstellung in flüchtiger, alles Wesenhafte summarisch
andeutender Slizzenhaftigteit zu suchen sei, wofür sein ebenfalls ausgestellter
„Gemüsemarkt in Verona" ein abschreckendes Beispiel liefert. Er sah damals
noch auf eine im wesentlichen plastische Formenbehandlung und auf Genauigkeit
und Schärfe der Konturen, was selbst bei dem Nachtsiücke „Friedrich und die
Seinen bei Hochkirch" noch zur Geltung kommt, soweit man ans diesem Bilde
Umrisse und plastische Formen überhaupt noch verfolgen kann. Das Problem,


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[0269] Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung. zahlreichen Köpfe für die Reizlosigkeit des Kolorits. Der alte, ursprüngliche Defregger, der sich ein begründetes Anrecht auf die Liebe des deutschen Volkes erworben hat, erscheint nur auf zwei ältern, durch Nachbildungen allgemein bekannten Genrebildern, dem „Zitherspieler" und dem „Besuch auf der Alm." Hier decken sich die Mittel der Darstellung mit dem Stoffe so vollkommen, daß mau diese Bilder zu jenen Schöpfungen zählen darf, melche dereinst das Kunstvermögen unsrer Epoche ehrenvoll charakterisiren werden. Jenes Spcckbacherbild sowie eine Episode aus dem Leben Andreas Hofers, die Überreichung der Geschenke des Kaisers Franz an den Volkshelden in der Hofburg zu Innsbruck, würde man nach altem Brauche wegen ihres Inhalts, nach neuer Meinung wegen der Kleinheit der Figuren in die Kategorie der historischen Genrebilder einreihen müssen. Dahin gehört auch ein glatt und gewandt durchgeführtes Kostümstück des Pilotyschülcrs Max Adamo: „König Karl I. von England empfängt den Besuch seiner jüngsten Kinder bei Maiden- head," während ein Bild seines in diesen Tagen verstorbenen Meisters „Der Rat der Drei in Venedig," vor welchem drei Vravi nach erbrachten Beweise ihren Lohn für eine ihnen aufgetragene Blutthat in Goldmünzen empfangen, dem reinen Genre beigezählt werden muß, weil keine bestimmte historische Persönlich¬ keit auf dem Gemälde erscheint. Mau sieht auch aus diesem Beispiele, wie feine und umständliche Unterschiede bei der Einteilung der verschiednen Gattungen der Malerei uach der alten Methode gemacht werden müssen. Piloty, den der Tod bei der Arbeit an einem kolossalen Gemälde für die Berliner National¬ galerie: „Der Tod Alexanders des Großen," überraschte, hat übrigens in dem venezianischen Genrebilde den Beweis geliefert, daß feine große koloristische Kraft ihm bis an sein Lebensende tren geblieben ist. Die Charakteristik der .Köpfe zeigt freilich wieder jene unheimliche Schärfe, die auf Pilvtyschcn Bildern oft genug zur Übertreibung und Verzerrung ausgeartet ist. Die Größe der Figuren sowie die Bedeutung des dargestellten Moments geben zwei Bildern Adolf Menzels, der „Krönung König Wilhelms in Königs¬ berg" und „Friedrich und die Seinen bei Hvchkirch," den unzweifelhaften An¬ spruch auf den Namen von historischen Gemälden. Bei beiden wirken große malerische Vorzüge sehr erheblich mit, um sie zu bedeutsamen, für die Berliner Malerei charakteristischen Kunstwerken zu machen. Als Menzel mit ihnen be¬ schäftigt war, hatte er sich noch nicht in die barocke Ansicht verrannt, daß das höchste Ziel malerischer Darstellung in flüchtiger, alles Wesenhafte summarisch andeutender Slizzenhaftigteit zu suchen sei, wofür sein ebenfalls ausgestellter „Gemüsemarkt in Verona" ein abschreckendes Beispiel liefert. Er sah damals noch auf eine im wesentlichen plastische Formenbehandlung und auf Genauigkeit und Schärfe der Konturen, was selbst bei dem Nachtsiücke „Friedrich und die Seinen bei Hochkirch" noch zur Geltung kommt, soweit man ans diesem Bilde Umrisse und plastische Formen überhaupt noch verfolgen kann. Das Problem,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/269>, abgerufen am 22.07.2024.